Startseite
Icon Pfeil nach unten
Schwabmünchen
Icon Pfeil nach unten

Ellgau: Ihre Kindheit endete im Alter von fünf Jahren

Ellgau

Ihre Kindheit endete im Alter von fünf Jahren

    • |
    ihre Erlebnisse während der Zeit der Vertreibung und danach prägen sie bis heute: Annelore Götz aus Ellgau.
    ihre Erlebnisse während der Zeit der Vertreibung und danach prägen sie bis heute: Annelore Götz aus Ellgau. Foto: Marcus Merk

    Annelore Götz präsentiert ihren größten Schatz: ein altes Fotoalbum. Sorgsam streicht sie über die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die sie im Kreis ihrer großen Familie „in der alten Heimat“ zeigen, wie sie erzählt. Dass die 76-Jährige heute in bebilderten Erinnerungen an ihre ersten fünf Lebensjahre schwelgen darf, ist wahrlich nicht selbstverständlich, denn ihre unbeschwerte Kindheit endete im Oktober 1945. Damals musste die Fünfjährige gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren zwei Brüdern, beide erst wenige Monate alt, die alte Heimat verlassen. Zeit, um Erinnerungsstücke zusammenzusammeln gab es bei der ersten Vertreibung nicht.

    Doch da Annelore Götz’ Geschwister noch so jung waren, sandte man die kleine Familie noch vor dem Transport zurück. Das war die Chance für ihre Mutter, ein paar von den russischen Soldaten zertrampelte Bilder aus glücklichen Tagen zusammenzusuchen, die heute den „Schatz“ der 76-Jährigen darstellen.

    Die Familie wurde in Viehwaggons abtransportiert

    Die Schonfrist währte jedoch nur wenige Monate und so musste die Familie im Januar 1946 endgültig ihren Heimatort Altstadt im Sudetenland verlassen. Die Viehwaggons mit losen Bodenbrettern, in denen Annelore Götz und ihre Familie abtransportiert wurde, fuhren direkt bis nach Augsburg.

    Die St. Georg Volksschule war ihre erste Unterkunft – allerdings ohne ihren jüngsten Bruder. Dieser wurde aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands durch die lange Fahrt im Viehwaggon sofort ins Krankenhaus gebracht, wo er drei Monate blieb. Und so zog Annelore Götz im März 1946 auch erst mit ihrer Mutter und einem Bruder nach Ellgau. Der Bürgermeister hatte damals die Aufgabe, die Vertriebenen, die vor der ehemaligen Lehrerwohnung (heute Hauptstraße 25) abgesetzt wurden, zu verteilen. Annelore Götz kam mit Bruder und Mutter bei einer Bäuerin mit bereits erwachsenen Kindern unter.

    Das überschaubare Hab und Gut, das die kleine Familie hatte, diente dem Überleben und der Versorgung: Die gewebten Handtücher, die Annelore Götz’ Mutter im Kinderwagen verstaut hatte, nutzte sie als Tauschgut und erhielt dafür Lebensmittel.

    Annelöre Götz schipperte zum Holzsammeln über den Lech

    Auch andere Handarbeitswerke, die sie selbst fertigte, konnte sie gegen Lebensmittel tauschen. Annelore Götz verdiente als „Kindsmagd“ Brot, Eier und andere wichtige Naturalien dazu. Zum Holzsammeln schipperte sie mit einem Kahn über den Lech. Mit 15 arbeitete sie als Hausmädchen in Augsburg. Für eine kurze Zeit verließ sie Ellgau, um in Ulm in der Kinderbetreuung und im Haushalt zu arbeiten. Abends besuchte sie dort Kurse in Stenografie und Buchhaltung. Diese Fähigkeiten konnte sie letztlich als Sekretärin im Gut Herrlehof gut brauchen. Dort arbeitete auch ihr Mann.

    Die Vertreibung aus der Heimat schmerzte Annelore Götz mehr als ihre Brüder, die nur wenige Erinnerungen an ihre frühe Kindheit haben. Und noch eins konnte sie selbst nie verwinden, wie Annelore Götz erzählt: „Ich habe immer gehofft, dass mein Vater zurückkommt.“ Der Offizier hatte sich noch in der alten Heimat von seiner Familie verabschieden müssen – mit ungewissem Ausgang. Zurückgekehrt war er nie. Jede Suchmeldung des Roten Kreuzes, die Annelore Götz mit der Hoffnung eines jungen Mädchens verfolgte, das sich wünscht „einmal ist mein Vater dabei“, endete mit einer Enttäuschung. Geblieben ist ihr nur die Erinnerung in Form von ein paar zerknitterten Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf denen das kleine Mädchen umringt von Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zu sehen ist.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden