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Augsburg/Königsbrunn: Wie viel müsste Essen wirklich kosten? Forscher-Duo rechnet "wahre" Preise aus

Augsburg/Königsbrunn

Wie viel müsste Essen wirklich kosten? Forscher-Duo rechnet "wahre" Preise aus

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    Bio-Gemüse oder herkömmlich erzeugt? Forschende erklären am Donnerstag beim Königsbrunner Campus, warum die meisten Lebensmittel eigentlich teurer sein müssten.
    Bio-Gemüse oder herkömmlich erzeugt? Forschende erklären am Donnerstag beim Königsbrunner Campus, warum die meisten Lebensmittel eigentlich teurer sein müssten. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Herr Dr. Gaugler, Frau Michalke, sie berechnen, wie viel Lebensmittel kosten müssten, wenn man auch die Folgekosten der Produktion einbeziehen würde beispielsweise für Klimaschäden oder die Reinigung von mit Düngemittel verunreinigtem Wasser. Fleisch müsste nach Ihrer Rechnung 173 Prozent mehr kosten, bei Bio-Fleisch wären es immer noch 113 Prozent. Bei Tomaten wären zwölf Prozent mehr fällig. Warum schneiden tierische Lebensmittel so schlecht ab?

    Dr. Tobias Gaugler: Tierische Lebensmittel sind ökologisch grundsätzlich schwieriger, weil ihre Erzeugung sehr ineffizient ist. Man muss acht Energieeinheiten hineinstecken, um eine zu erzeugen. Dazu kommen Wasserverbrauch und Düngemitteleinsatz in der Futterproduktion. Bei Rindern ist der Fußabdruck größer, bei Hühnern geringer. Bei pflanzlichen Nahrungsmitteln fällt der nötige Aufpreis kleiner aus, wobei Flugware schlechter abschneidet als regional erzeugte Bio-Produkte.

    Amelie Michalke: Wir haben bei unserer Studie vier Faktoren einbezogen: die nötige Energie, die entstandenen Treibhausgase, Schäden aus der Überdüngung und Landnutzungsänderungen. Beim Fleisch sind die Folgekosten auch bei Bio-Produktion relativ hoch, weil die Tiere länger leben und viele Exkremente und Stickstoff ausstoßen. Bezieht man mehr Faktoren ein, fällt das Ergebnis für die Bio-Produkte besser aus.

    Die angesprochene Studie haben Sie im Auftrag des Discounters Penny angefertigt. In einem Markt in Berlin wurden 16 Produkte neben dem Verkaufspreis mit ihren wahren Preisen ausgezeichnet. Welche Resonanz haben Sie darauf bekommen?

    Michalke: Ich finde es gut, dass wir die Aktion mit Penny gemacht haben. So haben wir vermutlich mehr Menschen erreicht, die sich noch nicht so viel mit dem Thema Bio-Lebensmittel beschäftigt haben, als bei einem Bio-Markt. Natürlich geben sich Märkte mit solchen Aktionen und mehr Bio-Lebensmitteln im Regal gerne einen grünen Anstrich. Aber wir sind da auch pragmatische Wissenschaftler: Wenn niemand das Problem wahrnimmt, kann sich auch nichts ändern. Aus der Aktion haben wir nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch neue Erkenntnisse gewonnen: Befragungen der Markt-Kunden haben ergeben, dass viele den Bio-Zertifikaten nur bedingt vertrauen. Hier ist also noch einiges an Aufklärungsarbeit zu tun.

    Gaugler: Wir hatten nach dem Start Anfragen von vielen Medien und zahlreichen Politikern, die sich unsere Forschungsmethode und die Ergebnisse erläutern ließen. Anton Hofreiter von den Grünen, Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali, Volker Ullrich von der CSU, die SPD über die Friedrich-Ebert-Stiftung. Wir hoffen, dass wir Diskussionen zu dem Thema anregen können. Denn den von uns theoretisch berechneten Preis zahlen wir alle jetzt schon: Jährlich kommt durch die Umweltfolgen unseres Konsums ein zweistelliger Milliardenbetrag zusammen. Die Lösung dieses Problems ist eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik.

    Bio-Lebensmittel schneiden in ihrer Analyse deutlich besser ab, sind aber auch vergleichsweise teuer. Welche Hebel gibt es, um dies zu ändern?

    Gaugler: Man könnte Landwirte noch stärker als bisher für ressourcenschonendes Arbeiten belohnen. Mit einer niedrigeren Mehrwertsteuer auf regionale und Bio-Produkte könnte man für einen Nachfrageschub sorgen. Mit einem höheren Marktanteil für Bio-Produkte könnte ihnen das die bisher fehlenden Größen- und Verbundvorteile bringen, die momentan noch für einen Teil des Preisunterschieds verantwortlich sind: Wegen der kleineren Mengen sind bei Bio-Waren die Fixkosten höher. Steigen die Mengen, sinken diese Kosten. Und wenn sie die ganz große Lösung haben wollen: Man könnte eine CO2-Abgabe verlangen, die alle Menschen abhängig von ihrem Verbrauch bezahlen müssen. Das vom Staat so eingenommene Geld sollte dann – in gleichen Teilen – an alle Bürgerinnen und Bürger ausbezahlt werden. Am Ende bekommt jeder Geld zurück, der weniger CO2-Emissionen verursacht als der Durchschnitt. Wer also wenig Heizkosten hat, öffentliche Verkehrsmittel nutzt und wenig Flugreisen macht, hat am Ende mehr Geld in der Tasche. Das wäre eine sozial gerechte Lösung, die Menschen mit weniger Geld entlasten würde. Aber natürlich sind wir Wissenschaftler und reden uns leicht. Politiker müssen das entscheiden und ihren Wählern vermitteln.

    Haben Sie Wünsche oder Hoffnungen, was eine neue Bundesregierung bewegen sollte?

    Michalke: Weniger Lobbyismus, mehr soziale Gerechtigkeit, denn das ist auch ökologische Gerechtigkeit. Es reicht nicht, den Menschen zu sagen: Verhalte Dich nachhaltig. Aber diese Verantwortung dem Individuum zu übertragen, ist nicht möglich. Bestimmte Probleme muss die Politik lösen. Aber was wir momentan sehen, ist selbst im besten Falle nur ein grüner Kapitalismus: Kaufe weiter viel ein, aber halt schonender erzeugte Produkte. Auf der anderen Seite sieht man Probleme, aber geht sie nicht an: Man weiß zum Beispiel, dass Fliegen schlecht für das Klima ist, besteuert aber Flugbenzin nicht. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen, die bereit sind, etwas zu ändern. Dazu brauchen sie aber verlässliche Vorgaben der

    Dr. Tobias Gaugler und Amelie Michalke beschäftigen sich auf wissenschaftliche Weise mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Ernährung: Sie rechnen aus, was Lebensmittel kosten müssten, damit auch die Umweltfolgen mit eingerechnet würden, die bei Erzeugung und Transport entstehen. Die Folgen wären deutlich höhere Preise, vor allem für tierische Produkte aus konventioneller Landwirtschaft. Tobias Gaugler forscht an der Uni Augsburg. Amelie Michalke hat dort studiert, arbeitet mittlerweile an der Uni in Greifswald an ihrer Promotion und unterhält eine Forschungskooperation mit ihrem Augsburger Kollegen. Am Donnerstagabend berichten sie um 19 Uhr beim Königsbrunner Campus im Infopavillon 955 über ihre Forschungsergebnisse.

    Eine vorherige Anmeldung für den Vortrag ist erforderlich – unter kulturbuero@koenigsbrunn.de oder Telefon 08231/606-260.

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