Eigentlich ist es kaum zu fassen. Da fährt man in die Bretagne, eine Region voller Wind und Wetter, will Strandsegeln und es geht – kein Wind! Laurent, der in der malerischen Bucht von Kernic diese Sportart anbietet, schüttelt mit dem Kopf. „Das kommt hier bei uns in der Bretagne so gut wie nie vor“, sagt er und blickt etwas verzweifelt in den Himmel. Strandsegeln wird immer populärer und ist gleichzeitig ein recht ökologischer Zeitvertreib. Man braucht keinerlei Sprit. Und die Spuren im Sand, die die flotten Fahrzeuge hinterlassen, die spült die nächste Flut wieder weg. Wer also auf Nachhaltigkeit wert legt, kann sich beim Strandsegeln recht wohl fühlen. Die Bretagne mausert sich zwar zunehmend zu einem Paradies für Outdoor-Sportarten, behält aber dabei zweifelsohne ihren besonderen Charme: Man fährt zwar nach Frankreich – hat aber gleichzeitig das Gefühl, man ist in Schottland. Oder in Irland. Was ja auch kein Wunder ist, denn die Bretonen sind bekanntlich – wie die Schotten und Iren – Kelten.
Die Bretagne ist eine keltisch-romanische Mischwelt
Irgendwie ist die Bretagne also eine keltisch-romanische Mischwelt. Die sich als Alternative zu einem Ausflug ins Vereinigte Königreich anbietet. Man bleibt in der EU, der Brexit mit der Reisepasspflicht auf die Britischen Inseln kann einem Wurscht sein. Man zahlt mit Euro, ein Umtausch in Pfund ist nicht nötig. Man braucht sich nicht mit Linksverkehr abplagen. Man muss nicht zwingend fliegen, man kann per TGV mit Umstieg in Paris in die Hafenkapitale Brest fahren. Keine ganz kurze Reise, aber es geht immerhin auch ohne Flugzeug. Das wird manchem immer wichtiger.
Wenig später kommt in der Bucht von Kernic dann doch etwas Wind auf. „Gott sei Dank“, murmelt Laurent. Mit etwas Geduld und Einfühlungsvermögen gelingt es, mit dem Segelgefährt selbst als Anfänger eine Runde zu drehen. Auch wenn das Fahrzeug immer mal wieder stehen bleibt. „Wenn der Wind richtig gut steht, dann schafft man als Erwachsener bis zu 60 Stundenkilometer“, sagt Laurent. „Und Kinder schaffen sogar 80 Stundenkilometer, weil sie leichter sind.“ Bereits ab acht Jahren dürfen Kinder Strandsegeln.
Das Département Finistère und den Wind kann man normalerweise in einem Atemzug nennen. Es handelt sich um den westlichsten Zipfel des französischen Hexagons, der schon weit in den Atlantik hineinragt und durch zahlreiche Buchten, Halbinseln und Grotten charakterisiert ist. Für die Römer war Finis terrae, wie der Name schon sagt, das Ende der Welt. Der bretonische Name hingegen klingt fröhlicher: Penn ar bed. Das heißt nämlich „Anfang der Welt“. Oder auch „Haupt der Welt“. Nun, es ist alles, wie so oft, wohl nur eine Frage der Perspektive.
Mit dem Zodiac in eine Grotte in der Bucht von Morgat
Ein Perspektivenwechsel bietet sich etwa auf der Halbinsel Crozon des Départements Finistère an: der Wechsel aufs Wasser. Olivier Latin vom Centre Nautique de Crozon-Morgat wirft im Hafen des beschaulichen Ortes den Außenbordmotor eines Zodiacs, eines soliden Festrumpfschlauchbootes, an. Solche Boote kann man dort mieten. Sie haben kaum Tiefgang und eignen sich darum bestens, relativ gefahrlos einige der Hunderte von Grotten zu erkunden, die in der Bucht von Morgat zu finden sind.
Das Boot fährt eine Weile und Olivier Latin steuert einen freien, noch unbebauten Teil der Bucht an. „Eigentlich hätte dort ein großes Touristenzentrum entstehen sollen – in den Achtzigerjahren. Mit Bettenburgen, wie man sie von der Cote d’Azur kennt.“ Doch die Bretagne blieb von solchen Besiedelungen insgesamt verschont. Warum? Kurz vorher war ein Gesetz erlassen worden, das in Frankreich untersagte, neue Gebäude näher als 100 Meter an die Küstenlinie zu bauen, erzählt der Skipper. „Mit der Folge, dass die Bretagne vom Massentourismus verschont blieb.“ Was Olivier Latin offenkundig richtig gut findet, obwohl er Präsident des Verbandes der Tourismusunternehmen in Crozon-Morgat ist, die vom Wassersport leben, die Zodiacs, Katamarane, Kajaks, normale Boote oder Boards zum Stand-up-paddling vermieten. Doch die wilde, weitläufige Küste zieht Menschen an, die nicht unbedingt mit Menschenmassen zusammen Urlaub machen wollen. Sondern das Naturerlebnis suchen. Das wissen natürlich auch die Bretonen.
Der Zöllnerweg beginnt am Mont-Saint-Michel
Olivier Latin drückt den Gashebel nach vorn und das Boot rast mit 60 oder 70 Stundenkilometern durch das Meer. Der Motor wummert laut. Aber das Boot ist weit weg vom Ufer und der Wellengang der Bucht und des hier schon beginnenden Atlantiks verschlucken den Krach. Latin zeigt auf eine weitere wunderschöne Bucht. Die New York Times hatte vor einigen Jahren sie zu einer der zehn schönsten der Welt gekürt, erzählt er. „Mit dem Ergebnis, dass die Gemeindeverwaltung den Zugang zu der Bucht bis heute gesperrt hat, weil sie dann völlig überlaufen war. 135 Euro beträgt die Strafe, wenn man dort nun erwischt wird.“
Trotzdem sieht man vom Boot aus ein Pärchen in der Bucht, das sich dort dem Nacktsonnenbad hingibt. Wie sind sie dort hingekommen? Olivier Latin zeigt auf eine Jacht, die etwa Hundert Meter vor der Bucht vor Anker gegangen ist und im Wellengang auf und ab schwingt. „Vielleicht sind sie von der Jacht aus ins Wasser und von dort in die Bucht geschwommen.“ Wenig später steuert Latin eine der vielen Grotten an – und ein unglaubliches Farbenspiel offenbart sich im Innern. Mit Gesteinsschichten, die schon existiert haben, noch bevor es die Dinosaurier gab.
Wieder an Land geht es auf den so genannten Zöllnerweg (der amtliche Name lautet GR34), der 1791 bereits angelegt wurde, um Schmuggleraktivitäten einzudämmen. Die Franzosen haben ihn zu einem ihrer liebsten Fernwanderwege gewählt. Er ist bescheidene 2000 Kilometer lang, schlängelt sich mit rot-weißen Markierungen vom Mont-Saint-Michel die ganze Küste entlang bis zur Brücke von Saint-Nazaire.
Die Klippen an der Pointe de Dinan sind atemberaubend
An atemberaubenden Klippen geht es etwa an der Pointe de Dinan entlang, eine wilde, in den Atlantik ragende Steilküste auf der Halbinsel Crozon. Sie bietet schöne Plätze zum Picknicken und zugleich Ausblicke auf natürlich entstandene Arkaden, die im Wasser des Ozeans stehen.
Eine gute Autostunde westlich vom Strand von Kernic und ihren Strandseglern geht schließlich die Sonne langsam über der malerischen Bucht von Pospeder unter. Es offenbart sich eine Abendstimmung, die kaum schöner denkbar wäre. In der heideartigen Landschaft grasen friedlich schwarze Schafe. Und mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit beginnt es am Horizont auf einmal rhythmisch zu blinken. An der Küste der Bretagne thronen mehr als ein Drittel aller Leuchttürme Frankreichs. 52 von insgesamt 148 finden sich dort. Die größte Leuchtturmdichte der Welt überhaupt findet sich im Meeresnaturpark Iroise vor der Westküste der Bretagne. Manche stehen mitten im Ozean. Die Wärter müssen zum Glück mittlerweile nicht mehr wochenlang allein über der tosenden See ausharren. Denn seit 2003 sind die Türme automatisiert. Doch die zahlreichen Leuchttürme sind ein weiteres wunderbares Symbol für die Bretagne – als Land irgendwie am Ende der Welt, das bereits im Ozean liegt. Auch wenn der Wind tatsächlich mal – für einen Tag – nicht weht.
Der Autor recherchierte auf Einladung von Tourisme Bretagne.
Kurz informiert
Meeres-Hochseilgarten: Eindrucksvoller Kletterpark Bertheaume Iroise Aventure in Plougonvelin auf einer Insel, auf die man mit einem Seil über den Atlantik hinweg gelangt. Auf dem gleichen Weg geht es später wieder zurück. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Preis: 18 Euro.
Strandsegeln: Das Mieten der Fahrzeuge in der Baie du Kernic ist ab acht Jahren möglich. Infos gibt es unter www.plouescat.nautisme.fr
Zodiac-Tour: Die Festrumpfschlauchboote können in der Bucht von Crozon-Morgat gemietet werden. Preise für ein Sechs-Personen-Boot, für das man keinen Führerschein braucht, ab 97 Euro für drei Stunden. Infos: www.cncm.fr
E-Mountainbike: Empfehlenswert ist eine Tour auf den 330 Meter hohen Menez-Hom mit ausgezeichnetem Ausblick. Bikes gibt es für 30 Euro pro Tag unter www.cycles-du-bout-du-monde-29.fr
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