Einundzwanzig, zweiundzwanz … - und es klirrt. Der Klang eines zerschellten Porzellantellers braucht knapp zwei Sekunden, ehe es aus dem Burggraben am Fuße der Leuchtenburg die gut 16 Meter wieder nach oben dringt. Ob der Wunsch, den man zuvor unter größter Geheimhaltung per UV-Stift auf den Porzellanteller schreiben durfte, irgendwann in Erfüllung geht?
Die Besucher der Leuchtenburg glauben jedenfalls fest daran, wenn sie den rund 20 Meter langen „Steg der Wünsche“ beschreiten, die Aussicht über das Saaletal genießen und ihren beschrifteten Teller schließlich in den Burggraben werfen. Scherben sollen schließlich Glück bringen. Der „Steg der Wünsche“ ist Teil der Dauerausstellung „Porzellanwelten“, die sich seit 2016 in der Leuchtenburg bei Seitenroda befindet. Sie ist beispielhaft für den Ideenreichtum, mit dem die Thüringer versuchen, ihre Burgen an den Touristen und die Touristin zu bringen.
Die Vielzahl an Burgen will unterhalten werden
Denn so schön die Zahlen klingen - 450 Burgen und Schlösser auf rund 16.000 Quadratkilometern -, so schwer ist es, diese Bauwerke auch zu erhalten und touristisch zu vermarkten. Vor allem zu DDR-Zeiten waren Burgen und Schlösser als sichtbares Zeichen feudaler Herrschaft häufig nicht erhaltungswürdig. Das änderte sich nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung. Der Verein „Burgenstraße Thüringen“ hat sich zum Ziel gemacht, die burgenreiche Landschaft in Thüringen entlang der Nord-Süd-Achse der A71/A73 sowie der West-Ost-Achse der A4 zu pflegen und deren Historie zu vermitteln. Rund 100 Burgen und Ruinen sind bislang touristisch erschlossen.
Ein Beispiel für das Erwachen nach dem Dornröschenschlaf nach der Wende ist die Veste Heldburg, im südlichsten Zipfel Thüringens gelegen und damit praktisch in Nachbarschaft zur bayerischen Veste Coburg. Auf einem erloschenen Vulkan angelegt, reicht die Geschichte der Veste Heldburg bis ins 12. Jahrhundert zurück. Die einstige Wehranlage ist in den äußeren Mauern noch erkennbar, ansonsten hat sich die Burg in Aussehen und Zweck deutlich verändert. Aus der wehrhaften Festung wurde unter Herzog Georg II. im ausgehenden 19. Jahrhundert ein repräsentativer Bau im Stil der Neurenaissance und Neugotik.
Als 1982 der sogenannte „französische Anbau“ einem Brand zum Opfer fiel, beließ es das DDR-Regime dabei. Die Burg verfiel und erlebte erst 1990 ihre Renaissance – als erstes deutsch-deutsches Wiederaufbau-Projekt. Heute beherbergt die Veste Heldburg das Deutsche Burgenmuseum. In einer Dauerausstellung wird dabei die Bedeutung und Funktion der Burgen über die Jahrhunderte vorgestellt. „Burgen regen die Fantasie an“, sagt Dr. Janis Witowski. Der 39-jährige Historiker ist Vorstandsmitglied des Vereins Thüringer Burgenstraße. „Aber das reale Leben von damals werden wir nie abbilden können. Dafür wurde jede Burg zu oft umgebaut.“ Und doch versuchen sie es, mit der zum Thüringer Burgenjahr 2024 passenden Sonderausstellung „Dein Burgenland Thüringen“, die noch bis 6. Januar 2025 läuft.
In Burg Leuchtenberg ist das „weiße Gold“ der Anziehungspunkt
„Burgen sind eine wunderbare Heimat für Museen“, schwärmt Witowski, während er auf eines der zahlreichen Modelle von Burgen blickt. Dabei muss es nicht immer eine Ausstellung zu Burgen sein. Die eingangs erwähnte Leuchtenburg hat sich eine andere Nische gesucht. Als sie 2006 aufgrund des Leerstands und ungewisser Zukunft versteigert werden sollte, trat der Tourismusexperte Sven-Erik Hitzer auf den Plan. Er richtet mit privaten Geldmitteln die Stiftung Leuchtenberg ein und kauft die Burg 2007. Weil 2010 der 250. Geburtstag des Thüringer Porzellans anstand und die Leuchtenburg in unmittelbarer Nähe zur Porzellanmanufaktur Kahla liegt, war die Idee zu den „Sieben Porzellanwelten“ schnell geboren. „Wir wollten alles sein, bloß keine langweilige Kaffeekannenausstellung mit Blümchen und verstaubten Vitrinen“, sagte Hitzer damals. „Wir wollen das Thema Porzellan wieder sexy machen.“ Er hielt Wort: Heute sieht man die größte Porzellanvase neben der kleinsten Teekanne ebenso wie eine Ming-Schale, die US-Schauspieler Kevin Costner einst dem Museum vermachte.
Besucher dürfen sich in einem Alchemielabor an der Rezeptur des „weißen Goldes“ versuchen, den Brennofen mit dem richtigen Fingerspitzengefühl zu befeuern und hoffen, dass die Vase darin nicht zerspringt. Am Ende der Porzellanwelten wartet dann der „Steg der Wünsche“. Inspiration kann man sich im Archiv der Wünsche holen. Ob eine Besucherin tatsächlich „eine Nacht mit David Beckham“ erleben durfte? Oder ob sich Wünsche nach einem „iPhone 6“ oder „nur noch gute Träume“ erfüllten? Und stand auch Bernd Ehbrecht einst auf dem „Steg der Wünsche“?
Warum nicht: Whisky erleben auf einer mitteldeutschen Burg
Der 67-jährige ehemalige Bankkaufmann und Geschäftsführer der Brauerei Neunspringe erfüllte sich jedenfalls einen Traum. Seit 2013 betreibt er in Worbis die Whiskybrennerei „Nine Springs“ - und auf der nahegelegenen Burg Scharfenstein ein Whisky-Erlebniszentrum. In einem Teil der Höhenburg aus dem 13. Jahrhundert erfährt der Besucher alles über die Herstellung und die unterschiedlichen Arten von Whisky. Der markante Duft des in Holzfässern gelagerten Whiskys strömt durch die Ausstellung und macht Lust auf ein Tasting im historischen Gewölbekeller. Wer danach den Heimweg nicht mehr antreten möchte, kann im Restaurant „12Hundert9“ ausgezeichnet essen und anschließend im Boutiquehotel der Burg Scharfenstein übernachten.
Die berühmteste Burg Thüringens – wenn nicht gar Deutschlands – darf natürlich nicht fehlen: die Wartburg. Seit 1999 gehört sie zum Unesco-Welterbe. Zu verdanken hat die Burg diesen Ritterschlag nicht nur ihrer Architektur, sondern vor allem ihrer historischen Bedeutung für Deutschland. Stichworte sind der mittelalterliche Sängerstreit, Martin Luthers Bibelübersetzung und das Wartburgfest 1817. Den legendären Tintenfleck in der Lutherstube gibt es zwar schon lange nicht mehr – schon im 19. Jahrhundert haben Touristen immer wieder Putzstücke besagter Stelle an der Wand mitgehen lassen -, dafür können Wagner-Fans den Tannhäuser samt Sängerstreit am Originalschauplatz erleben.
Doch auch Ruinen haben ihren Charme, wie die Burgruine Hanstein im westlichen Thüringen beweist. Direkt am ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen gelegen, steht die Ruine, deren Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. „Da drüben ist Hessen. Die einstige Grenze sieht man nicht mehr wirklich, hier hat sich die Natur ihr Gebiet zurückgeholt“, sagt Jürgen Beckmann, der als Ritter Klemens von der Wiese die Besucher durch die Gemäuer führt.
Der ehemalige Schulrat ist Mitglied der rund 40-köpfigen Eichsfelder Ritterschaft, die sich bei ihrer Gründung 1998 zum Ziel gesetzt hat, die Ruine zu erhalten und den Menschen vor Ort zugänglich zu machen. Das war nämlich nicht immer so. „Von 1945 bis 1989 durfte hier niemand hoch, die Burg war Sperrgebiet“, erzählt er. Mittlerweile beherbergt die Ruine ein kleines Museum sowie einen Rittersaal, der beispielsweise für Hochzeiten gern genutzt wird. Auch als Filmkulisse hatte Burg Hanstein schon ihren großen Auftritt: „Hier wurden die London-Szenen für den ‚Medicus‘ gedreht“, erzählt Ritter Klemens.
Die Zitadelle Erfurt erfährt man mit allen Sinnen
Ein Muss für den burgenbegeisterten Thüringen-Besucher ist schließlich die Landeshauptstadt Erfurt. Der höchstgelegene Punkt der Stadt, der Petersberg, beheimatet die Zitadelle. Die ehemalige Festungsanlage der Stadt zählt zu den größten und besterhaltenen Stadtfestungen Europas. Ein Besuch in den sogenannten Horchgängen ist dringend zu empfehlen, nur gut zu Fuß und nicht von Platzangst gestraft sollte man sein. In den engen Gängen am Fuße der Festungsmauern kann man erahnen, wie Soldaten hier einst gelauscht haben, ob sich ein Feind an den Mauern zu schaffen macht.
Auch oberirdisch wurde der Petersberg seit der Wende herausgeputzt, zuletzt zur Bundesgartenschau 2021. Heute beherbergt die Anlage auf ihrer rund zwölf Hektar großen Fläche unter anderem ein Stasi-Unterlagen-Archiv, ein Vier-Sterne-Hotel, ein Panorama-Restaurant, das Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie eine sehenswerte, interaktive Ausstellung im Besucherzentrum im Kommandantenhaus. „Andiamo, bewege den Kran. Das Holz musse auf die Festung!“ Nicht nur Kinder kommen hier auf ihre Kosten, wenn sie vom virtuellen Baumeister der Zitadelle, Antonio Petrini, mit italienischem Akzent aufgefordert werden, Holz zu sägen, zu hämmern, oder eben den Kran zu bewegen.
Hat man die Geschichte der Zitadelle eingehend erlebt, kann man die Aussicht vom Petersberg auf Erfurt genießen. Auch hier gibt es übrigens einen Panoramasteg, der von der Festungsmauer hinaus in Richtung Dom ragt. Allerdings ist der für einen Glasaufzug angelegt worden, um Besuchenden einen barrierefreien Zugang zur Zitadelle zu gewährleisten. Porzellanteller sollte man hier also auf keinen Fall in die Tiefe schmeißen.
Kurz informiert:
Anreise: Die großen Burganlagen in Eisenach (Wartburg) oder Erfurt (Zitadelle Petersberg) sind mit dem Zug und dem ÖPNV gut zu erreichen. Will man verschiedene Burgen in Thüringen besuchen, empfiehlt sich das Auto.
Übernachtung: Burghotel Scharfenstein, Scharfenstein 1, 37327 Leinefelde-Worbis OT Beuren; E-Mail: willkommen@burghotel-scharfenstein.de; Telefon: 03605/546060, Doppelzimmer ab 149 Euro/Nacht.
Burgen und mehr: Nähere Informationen zur Burgen-Region Thüringen gibt es unter www.burgenstrasse-thueringen.de oder www.thueringen-entdecken.de.
Der Autor recherchierte auf Einladung der Thüringer Tourismus GmbH.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden