Wenn die Region Kaiserwinkl in Tirol jemals ein neues Wappentier sucht, sollten sich die Verantwortlichen an Aram wenden. Als Alpaka gehört Aram zwar nicht zur originär heimischen Tierwelt. Doch mit seiner grundsätzlichen Freundlichkeit und Abneigung gegen jegliche Hektik eignet sich das schneeweiße Flauschetier perfekt als Repräsentant einer bemerkenswert unaufgeregten Urlaubsregion.
Kaiserwinkl in Tirol: Die Urlaubsregion für Unaufgeregte
Aram lebt mit etwa 30 anderen Alpakas und Lamas auf dem Jodlerhof, den Andreas Gogl in vierter Generation bewirtschaftet. Wenn sie nicht auf den saftigen Wiesen weiden, gehen die Tiere mit Gästen spazieren und übertragen dabei ihre innere Entspanntheit auf die Besucher. Es sei denn, ein anderes Alpaka rückt ihnen zu nah an den pelzigen Popo – dann keilen manche Tiere aus. Aram nicht, dem ist das zu viel Aufregung. So kann ihn auch die Vierjährige problemlos eine Weile führen.
Er freut sich, wenn er bei der Pause auf halber Strecke ein paar Kräuter knabbern darf. Nicht zu viele. Und nur die, die man bequem vom Weg aus erreichen kann. Ansonsten lässt er sich gerne am Hals kraulen und steht für Selfies zur Verfügung. Es sieht sogar aus, als würde er lächeln. Doch das liegt eher am Überbiss, der ihm wie vielen Artgenossen zu eigen ist.
Andreas Gogl erklärt den Spaziergängen vor dem Start der Wanderung, was es zu Alpakas und Lamas zu wissen gibt. Er hat seinen Betrieb von einem klassischen Milchvieh-Hof umgestellt, züchtet Rinder und die südamerikanischen Paarhufer und verkauft ihre Produkte sowie die Eier seiner Bio-Hühner im Hofladen. "Wir haben die Entscheidung nie bereut. Die Tiere haben sich super eingewöhnt und die Zucht läuft gut", sagt er. Nur auf die hofeigene Alm auf 900 Metern Höhe dürfen die Alpakas und Lamas nicht: Würden Tiere von Wölfen gerissen, wäre das ein enormer finanzieller Verlust. Das Geschäft mit den Wanderungen sei ein Zubrot, aber nicht die Haupteinnahmequelle.
Einen Touristenzirkus veranstaltet man im Kaiserwinkl in Tirol nicht
Dieser Eindruck zieht sich durch die komplette Region rund um den Walchsee: Die Urlauber sind sehr willkommen, doch einen Touristenzirkus veranstaltet man hier nicht. So liegt am Ufer des malerischen Bergsees zwar Hotel neben Hotel, abseits der Durchgangsstraße sind die Orte aber hübsch und bemerkenswert normal.
"Aufregend – wenn Du es willst" lautet das Motto der Touristiker. Wo Attraktionen für die Gäste geschaffen werden, fügen sie sich ein: Auf dem gemütlichen Teil der Tiroler Ache gibt es Rafting-Touren für Familien. Auf dem Walchsee schwimmen aufblasbare Hüpf- und Klettergeräte, doch die sind so positioniert, dass sie die Aussicht auf die zerklüfteten Zinnen des Wilden Kaisers und die bewaldeten Hänge des Zahmen Kaisers nicht stören. In den Ecken des Kaiserwinkls verstecken sich Golfplätze, Moorerlebnisturm, Trampolinhalle und Sommerrodelbahn. Alles ist da, drängelt sich aber nicht marktschreierisch in den Vordergrund.
Triathlon, Kas-Fest und Bierzelt mit Blaskapelle
Das gilt auch für die Events: Es gibt Lauf-Wettbewerbe, einen Triathlon und für die nicht-sportlichen Besucher das Kas-Fest der einheimischen Käse-Produzenten und zu Pfingsten das "Egaschtfestl". Zur Zeit der "Egascht", der ersten Mahd der Wiesen, organisiert der Tourismusverband dieses Fest. "Das hat man vor 20 Jahren als Attraktion für die Gäste erfunden", sagt Thomas Schönwälder, der Geschäftsführer des Tourismusverbands. Nix Überkandideltes: Die Blaskapelle spielt im Bierzelt, es gibt Schnitzel, Kässpätzle und Bratwurst, ein Dutzend Kutschen rollen beim Umzug zweimal um den Festplatz. Den Jetset sucht man hier vergebens, dafür verbringen Einheimische und Touristen gemeinsam eine gute Zeit.
Am Handwerkermarkt mit einem Dutzend Ständen wird die Ruhein Kunst gegossen. Mathilde Dieser von der Klöppelgruppe Walchsee erzählt gern von ihrem Hobby – und arbeitet derweil selbstverständlich mit den 48 Klöppeln weiter. Hin und her, drüber und drunter, um Hunderte Stecknadeln herum. „Wenn man weiß, wie es geht, ist es gar nicht schwer“, meint sie schmunzelnd zum staunenden Zuschauer. Auf dem Kissen vor ihr entsteht so Stück für Stück ein Deckchen mit aufwendigem Spitzenmuster. Viel Geduld braucht sie dabei: In zwei Stunden schafft sie einen Streifen von etwa fünf Zentimetern. „Viele wissen gar nicht mehr, um was es beim Klöppeln eigentlich geht“, erzählt Mathilde Dieser. Beim Egaschtfestl klären die Frauen auf.
Auch die Arbeit von Wilfried Weiß nebenan sorgt erst mal für fragende Blicke. Kein Wunder: Er hat ein altes Handwerk zu neuem Leben erweckt und ist der Einzige, der noch Zinnstiftranzen herstellen kann, sagt er. Oder wieder herstellen kann. Zinnranzen sind Gürtel, die die Menschen vor langer Zeit, zwischen 1680 und 1820, getragen haben – erst als Schutz für den Unterleib, dann zur Tracht. Mit den napoleonischen Kriegen vor gut 200 Jahren verschwand das Handwerk: Die Gürtel wurden eingeschmolzen, das Zinn wurde für Kugeln gebraucht. „Es gibt keine Bücher darüber. Niemand wusste noch, wie man die Ranzen herstellt“, sagt Weiß.
Wilfried Weiß erweckt altes Handwerk zu neuem Leben
Er kann es. Das Einzige, was es für dieses Handwerk heutzutage noch gebe, seien 99,9-prozentiges Zinn und Leder. Alles andere habe er sich an kolorierten Zeichnungen abgeschaut und in unzähligen Versuchen über die Jahre selbst erarbeitet: die Werkzeuge, die Technik, das Können. Die Zinnnägel werden von Hand gegossen. Mit einer Pinzette steckt er sie ins Leder, dann drückt er sie an der Rückseite um und fixiert sie. So schmückt er die breiten Ledergürtel nun Mininagel für Mininagel mit kunstvollen Ornamenten. Bis zu 100.000 winzige Nägel und zwölf Wochen Arbeit stecken in einem Stück, erzählt der Tiroler. Klar, dass es seine Kunstwerke nur auf Vorbestellung und nach monatelanger Wartezeit gibt.
Die Wanderung mit den Alpakas ist schon nach etwa anderthalb Stunden geschafft. Aram darf sich mit einer Jungs-Gruppe auf einer Weide oberhalb des Hofes austoben. Wobei "toben" hier im Verhältnis zu sehen ist: Erst lässt er sich geduldig das Halfter abschnallen. Dann dürfen sich die Zweibeiner noch einmal ausgiebig mit Streicheleinheiten für den Ausflug bedanken. Danach bleibt er bei den Menschen stehen, knabbert ein paar Grashalme und genießt die Aussicht – während die anderen Tiere schon über die Weide sprinten. Erst als sicher ist, dass es keine Leckereien abzustauben gibt, trottet Aram den anderen Herdenmitgliedern hinterher. Zunächst ganz gemütlich, doch dann lässt er sich doch noch zu einer kleinen Hatz über die Weide hinreißen. "Aufregend – wenn Du es willst": Aram wäre wirklich das perfekte Wappentier.
Das ist der Kaiserwinkl
Anfahrt Die Region Kaiserwinkl liegt in Tirol, gleich hinter der deutschen Grenze. Die mautfreie Anreise von Augsburg aus über die A8 und A93 bis Oberaudorf dauert nur gut zwei Stunden - wenn einen kein Stau ausbremst, was auf der Strecke leider häufig vorkommt.
Übernachtung Das Hotel Seehof in Kössen liegt am Rande des Walchsees und bietet mit 4-Sterne-superior-Komfort für alle Altersklassen etwas: Wellnessbereich und Erlebnisbad, Tennishalle und Streichelzoo, Radverleih und Ponyreiten. Dank des hauseigenen Fußballplatzes kommen übrigens regelmäßig Fußballmannschaften ins Trainingslager dorthin - auch der FC Augsburg war schon mehrmals zu Gast.
Aktivitäten Für Familien gibt es zahlreiche Angebote: Flussrafting auf der Großache, dem österreichischen Teil der Tiroler Ache, Alpaka-Wandern auf dem Jodlerhof, Sommerrodelbahn und Spielplatz auf dem Zahmen Kaiser, das Moorerlebnis in der Schwemm oder den Themenwanderweg Schmugglerweg.
Infos gibt es im Internet unter kaiserwinkl.com
Die Autoren recherchierten auf Einladung des Tourismusverbands Kaiserwinkl.