Blaue Mauritius
Der Dodo gehört zu den berühmtesten ausgerotteteten Tierarten. Doch in den Wäldern von Mauritius leben noch immer seltene Vogelarten, für deren Überleben Naturschützer kämpfen. Nun hegen Gentechniker aus den USA die Hoffnung auf die Rückkehr des verlorenen Wappenvogels der Insel.
Paradiesisch hatte er es hier, der Dodo. Durch Palmwedel und mächtige Baumfarne blickte der plumpe, flugunfähige Vogel einst auf Wasserfälle, die von dschungelüberwucherten Bergflanken stürzen. Über üppiges Urwalddickicht reicht die Aussicht im Black-River-Gorges-Nationalpark auf Mauritius mancherorts bis zum blendenden Türkis des Indischen Ozeans. Flughunde flattern über dem Dschungel. Mit dem ersten Sonnenlicht, das durch die Baumkronen bricht, sind kleine Geckos mit leuchtend farbigem Fleckenmuster in Scharlach, Azurblau und Grellgrün aus ihrem Blätterversteck gekrochen. Im Geäst über ihnen tirilieren Mauritiusweber mit mohnroten Köpfchen.
Der Black-River-Gorges-Nationalpark am frühen Morgen
„Die meisten Touristen kennen einzig den Dodo, haben aber noch nie von den anderen besonderen Tierarten gehört, die allein auf Mauritius leben“, sagt Stacy Friquin. Wer der Rangerin am frühen Morgen durch das bekannteste Schutzgebiet auf Mauritius folgt, wähnt sich in einer vom Menschen unangetasteten Wildnis. Noch sind keine Touristen in der ehemaligen Heimat des Dodos unterwegs. Einzig das Geflüster von fremden Vogelstimmen durchbricht die Stille. „Das Lied des Mauritius-Rotschnabelbülbüls und des Mauritius-Raupenfängers kann man auf der Insel fast nur noch hier hören“, erklärt die 27-jährige Mauritierin. „Dieser Wald ist ihr letzter Zufluchtsort.“ Durchs Geäst am Wegrand hüpfen winzige aschgraue Singvögel und ein paar Tauben mit braunen Flügeln und blassrosa schimmerndem Gefieder. „Während die Graubrillenvögel auch in Gärten und Parks vorkommen, sind die Rosentauben auf naturnahe Wälder wie diesen angewiesen“, erklärt Friquin, „weil wir nur noch etwa zwei Prozent an urwaldähnlicher Vegetation auf Mauritius haben und ihr invasive Arten nachstellen, wäre diese Taubenart fast ausgestorben.“
Anfang der Neunzigerjahre soll es nur noch zehn Rosentauben gegeben haben. Sie gehörten damit zu den seltensten Vögeln weltweit und waren zeitweise wohl rarer als die berühmte „Blaue Mauritius“. Von der kostbaren Briefmarke, aufgrund derer viele Menschen überhaupt erst von der Insel etwa 900 Kilometer östlich von Madagaskar gehört haben, sind heute noch zwölf Exemplare erhalten. Nur wenig später kündigen sich Friquin zwei weitere äußerst seltene Mauritiussittiche mit ihrem unverkennbaren Tschilpen an. Das Pärchen flattert über den Wanderpfad und lässt sich auf einem nahen Baumwipfel nieder. Auch sie standen kurz vor dem Aussterben“, erklärt Friquin, „dass sie überlebt haben, verdanken sie einzig engagierten Naturschützern“.
Die Rosentaube zählt zu den seltensten Vögeln der Welt
Nicht nur die Rosentaube und der Mauritiussittich gehörten einst zu den seltensten Vögeln der Welt. Der Mauritiusfalke, ebenfalls ein Bewohner des Black-River-Gorges-Nationalparks, war mit nur noch vier überlebenden wild lebenden Tieren und einem einzigen Brutpaar 1974 wohl der seltenste Raubvogel der Welt. „Auf Mauritius sind wir mit Recht stolz darauf, dass wir gleich mehrere Arten vor dem Aussterben bewahren konnten“, sagt Friquin, „ihnen soll nicht das gleiche Schicksal widerfahren wie dem Dodo“. Heute gelten alle drei Vogelarten als Beispiele für besondere Erfolgsgeschichten des Artenschutzes. Konsequente Schutzmaßnahmen wie die strikte Überwachung ihrer Gelege und ihres Lebensraums sowie die Bekämpfung invasiver Tier- und Pflanzenarten haben dafür gesorgt, dass sie sich inzwischen wieder deutlich vermehrt haben. Mit rund 300 Mauritiusfalken, etwa 600 Rosentauben und mehr als 800 Mauritiussittichen, gelten die Tiere derzeit nicht mehr als vom Aussterben bedroht.
Der berühmteste aller Vögel von Mauritius starb indessen freilich lange aus, bevor das Wort Artenschutz überhaupt erst erschaffen wurde. Die letzten Dodos überlebten wohl bis um 1690, nur wenige Jahrzehnte nach der Erstbesiedlung von Mauritius durch niederländische Seefahrer. Auch wenn das Fleisch der knapp ein Meter großen und bis zu 17 Kilo schweren Tiere als wenig schmackhaft galt, wurde den zutraulichen Vögeln wohl zum Verhängnis, dass sie anscheinend keinerlei Fluchtverhalten kannten und somit als leicht erlegbarer Proviant für ausgehungerte Seeleute herhalten mussten.
Warum der Dodo auf Mauritius verschwunden ist
„Es ist wohl die erste Tierart überhaupt, deren Verschwinden dem Menschen bewusst wurde“, sagt Vikash Tatayah, „man könnte sagen, damals wurde die Idee für den Artenschutz geboren.“ Der Vorsitzende der wichtigsten Naturschutzorganisation des Landes, der „Mauritian Wildlife Foundation“, hat über Jahrzehnte die Schutzbemühungen für die endemische Fauna der Insel begleitet. Auf einigen vorgelagerten Inselchen wurden zum Schutz seltener Vögel und Reptilien invasive Arten beseitigt. Die Île Ronde ist der letzte Lebensraum von Arten wie Guenthers Taggecko, der Round-Island-Boa und der Flaschenpalme. Auf der Île aux Aigrettes übernehmen mittlerweile eingeführte Seychellen-Riesenschildkröten die ökologische Rolle ihrer auf Mauritius ausgestorbenen Verwandten. „Wir haben den Kampf für einige Arten vorerst gewonnen“, sagt Tatayah, „Wir können uns aber bei ihrem Erhalt und dem Schutz ihres Lebensraums noch lange nicht zurücklehnen“.
Ausgerechnet von ausgestorbenen Dodos sollen die mauritischen Artenschützer nun äußerst ungewöhnliche Schützenhilfe erhalten. Im letzten Jahr wurde bekannt, dass das US-amerikanische Biotechnologie-Unternehmen Colossal Biosciences den Wappenvogel der Insel wieder auferstehen lassen will. Das in Texas ansässige Start-up wurde 2021 von dem Technologie-Unternehmer Ben Lamm und dem Molekularbiologen und Genetik-Professor an der Universität Harvard, George Church, gegründet. Ziel sei es, ausgestorbenen Tierarten zur Auferstehung zu verhelfen. Weltweites Aufsehen erregte das Unternehmen mit der Ankündigung, an der Rückkehr das Wollhaarmammuts zu arbeiten.
„Es ist nicht möglich, ein Tier zurückzubringen, das hundertprozentig mit einer Art identisch ist, die einst gelebt hat“, sagt Beth Shapiro, die das Dodo-Projekt für Colossal leitet. Ihrem Team gelang es mit Unterstützung des Dänischen Naturkundemuseums in Kopenhagen, das Genom des Dodos zu sequenzieren.
Es gibt auch Kritiker an der Auferstehung des Dodo
„Wir ermitteln gerade, welche DNA-Sequenzen wir möglicherweise ändern müssen, um die Kragentaube, die nächste noch lebende Verwandte des Dodos, in eine Taube zu verwandeln, die dodoähnlicher wird“, erklärt Shapiro. Die flugfähige Kragentaube könnte in Zukunft auch einmal die Leihmutter für die ersten Dodo-Hybriden spielen, glaubt Shapiro. Die Wissenschaftlerin will jedoch keine Zeitangabe machen, wann das erste dodoähnliche Küken aus einem Ei schlüpfen könnte. Für seine Projekte zur Wiederauferstehung ausgestorbener Arten hat Colossal bis heute 245 Millionen US-Dollar eingesammelt. Kritiker werfen Colossal vor, inmitten einer Krise des weltweiten Artensterbens Millionen in eine Technologie zu investieren, deren Erfolgsaussichten für die Wiederauferstehung ausgestorbener Tiere fraglich sei.
Shapiro indessen sieht ihre Forschungsarbeit gerade aufgrund der Krise des Artensterbens als essenziell. Das Geld würde in keiner Weise auf Kosten klassischer Herangehensweisen im Naturschutz eingesetzt. „Es wird vielmehr in die Entwicklung von Werkzeugen und Technologien gesteckt, die letztendlich dem Schutz der Artenvielfalt zugute kommen“, sagt die Forscherin, „Es ist völlig klar, dass sich Lebensräume auf der ganzen Welt schneller verändern, als die Evolution durch natürliche Selektion mithalten kann. Wir arbeiten an Technologien, die diesen Arten helfen können, den Anpassungsprozess zu beschleunigen.“
Auch die Artenschützer um Vikash Tatayah hoffen auf die Arbeit von Colossal. „Wenn neue Werkzeuge entwickelt werden, um das Artensterben aufzuhalten, sollten wir diese nicht ablehnen.“ Und er sieht einen entscheidenden Nebeneffekt: „Wenn der Dodo irgendwann zurückkehren soll, heißt das schon jetzt, dass wir den Wald zurückbringen müssen, der einmal sein Lebensraum war.“ Die Mauritian Wildlife Foundation fördert auch Wiederaufforstungsprojekte.
Im Vallée de Ferney im Osten der Insel gelang es Naturschützern vor einigen Jahren, den Bau einer Autobahn zu verhindern, dem ein letzter Rest Urwald zum Opfer gefallen wäre. Üppig grün leuchten die Hügel in dem abgelegenen Tal. Tagesausflügler aus den Strandresorts, die ihren Urlaub nicht allein am Meer verbringen wollen, begeistern sich für die Entdeckung der einheimischen Fauna und Flora. „Man stelle sich einmal vor, was für einen großen, auch wirtschaftlichen Einfluss erst die Wiederkehr des Dodo auf den Tourismus hätte“, sagt Tatayah. Die seltenen Vögel der Tropeninsel dürften sich jedenfalls schon heute über den jüngsten Beistand aus dem Jenseits von ihrem ausgestorbenen Vetter freuen.
Kurz informiert:
Anreise: Condor (www.condor.de) und Lufthansa (www.lufthansa.de) fliegen nonstop von Frankfurt nach Mauritius, Edelweiss (www.flyedelweiss.com) und Swiss (www.swiss.com) ab Zürich, Austrian (www.austrian.com) ab Wien.
Hotels: Das Le Méridien Île Maurice liegt direkt an einem weißen Sandstrand an der Ostküste und ist vor allem für Familien ein idealer Ort für eine Winterflucht. www.lemeridien.com
Der Club Med La Plantation d‘Albion hat die weiträumige Resortanlage vorwiegend mit einheimischen Pflanzen aufgeforstet, die heute zahlreiche Vögel und Flughunde anlocken. Flitterwöchner und Familien sind hier gleichermaßen willkommen. www.clubmed.com
Veranstalter: Windrose bietet maßgeschneiderte Mauritius-Reisen an und kombiniert die schönsten Hotels mit Ausflügen in Schutzgebiete und zu vorgelagerten Inselchen.Tel.: 030-201721-0, www.windrose.de
Allgemeine Informationen: www.mymauritius.de
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