Munter gurgelt die Schwarze Lütschine zu Tal. Sie entspringt am oberen Grindelwaldgletscher und hat sich über die Jahrtausende tief in den harten Fels geschliffen. Sie sieht nicht schwarz aus, ganz im Gegenteil. Gletschermilch heißen diese Wasser, denn sie tragen feinstes Gesteinsmehl mit sich, was sie in der Sonne türkis erscheinen lässt. Nur sieht man das bei der Schwarzen Lütschine kaum, denn in ihrem Bachbett schäumt sie um manchen Felsen herum, sodass ihre Farbe nicht zur Geltung kommt. Schwarz heißt sie wegen des dunklen Schiefers im Flussbett, den es bei der Weißen Lütschine, die weiter unten hinzukommt, nicht gibt.
Man möchte es nicht meinen, aber Bergbäche wie dieser zählen zu den größten Pfeilern der Schweizer Energieversorgung: „57 Prozent des Schweizer Stroms stammt aus Wasserkraft“, erklärt Donat Zumbrunn, Fachspezialist des Wasserkraftwerks der Jungfraubahnen hier in Lütschental oberhalb von Interlaken. Er führt mich durch das Kraftwerk, das von außen anmutet wie eine große Villa mit hohen Fenstern. Die beiden Generatoren, deren Schaufelräder durch den Wasserdruck aus zwei massiven Fallrohren von weiter oben, wo die Lütschine angezapft wurde, angetrieben werden, erzeugen genug Strom für mehrere Bergbahnen und einige Ortschaften. „Das Minimum, das wir im Bach lassen müssen, sind 400 Liter Wasser pro Sekunde“, fügt Zumbrunn an, „denn so bleibt das Ökosystem intakt“. Zumbrunn gehört zu den rund tausend Angestellten der Jungfraubahnen.
So auch Sandra Kaiser, mit der ich kurz darauf am Terminal Grindelwald umsteige. Hier eröffnete vor nicht vier Jahren die Dreiseil-Umlaufbahn Eiger Express, die auf sechseinhalb Kilometern Länge nur sieben Masten braucht. Diese sind so hoch, dass keine Schneise in den Wald geschlagen werden musste. Die 44 Gondeln fassen je rund eine Busladung Passagiere und bringen diese unterhalb der mächtigen Eigernordwand vorbei zur Bergstation Eigergletscher. Von hier schaufelt die Jungfraubahn seit über hundert Jahren eifrig Touristen hinauf aufs Jungfraujoch, dem höchsten Bahnhof Europas, Top of Europe.
Ein Umweltaktivist und seine Liebe zu einem besonderen Hotel
„Pro Jahr kommen etwa eine Million Besucher aufs Jungfraujoch“, erklärt Sandra Kaiser. Auf der Sphinx – ein Buckel auf dem Grat zwischen Mönch und Jungfrau – tummeln sich Menschen aus aller Welt. Doch die Bergkulisse ist derart überwältigend, dass sie nicht weiter auffallen. Umrahmt von Viertausendern, stehe ich fast 3.600 Meter über dem Meer. Unter mir der Aletschgletscher. Mein Blick folgt dessen über 20 Kilometer langen Zunge. Auch sie schmilzt Jahr um Jahr schneller. Die Natur hat uns hier oben fest im Griff, doch viele Touristen scheinen das nicht zu spüren. Sie posieren mit der Schweizer Flagge für Fotos, lassen sich von einem Straßenkünstler bespaßen oder kaufen Souvenirs. Sandra Kaiser war schon so oft hier oben, dass die drahtige, junggebliebene Tourführerin im Gegensatz zu mir in der dünnen Luft und der gleißenden Sonne keinerlei Ausfallerscheinungen zeigt.
Auf der Talfahrt hänge ich erschöpft im Sitz der Zahnradbahn. Etwa zwei Drittel der Passagiere sind eingeschlafen. Sandra Kaiser lächelt: „Das ist immer so. Es ist dort oben viel anstrengender, als man meint“. Irgendwo unter mir wird der Motor des Zuges zum Generator und bremst dabei: „Zwei talwärts fahrende Züge erzeugen genug Strom, um einen dritten hinauf fahren zu lassen“ erklärt Sandra Kaiser. Mein Gewicht erzeugt also genug Strom, um einen halb so schweren Touristen oder zwei Kinder hier heraufzubringen. Diese Erkenntnis ist Balsam für meine von diesem doch recht anstrengenden Ausflug geschundene Seele.
Am Abend sitze ich erschöpft an der Hotelbar des Grand Hotel Giessbach. Das Hotel wird bald 150 Jahre alt und wurde im Laufe seiner Geschichte schon mehrfach vor Verfall und Abriss gerettet. Aktuell wird das Hotel genossenschaftlich geführt. Vera Weber, die Tochter des Schweizer Umweltschutzaktivisten Franz Weber, leitet es derzeit als Interimsdirektorin. Franz Weber ist berühmt, nicht nur in der Schweiz. Über 150 Tier- und Umweltschutzkampagnen gehen auf sein Konto. Er kämpfte mit Brigitte Bardot gegen den Robbenmord, bewahrte das antike Delphi vor einer Aluminiumfabrik und konnte 1983 mit der Spendenkampagne „Giessbach dem Schweizervolk“ das Hotel vor dem Abriss schützen und unter Denkmalschutz stellen. Das stilvolle Hotelgebäude liegt direkt an den Giessbachfällen, die in 14 Kaskaden über 500 Höhenmeter in den Brienzersee strömen. Man erreicht das Hotel am schönsten per Schiff und dann mit der hauseigenen Standseilbahn, der ältesten der Schweiz. Sie wird, wie auch das Hotel, mit Strom aus Wasserkraft aus den Fällen betrieben.
Das Schweizer Verkehrsnetz gilt in aller Welt als vorbildlich
Weiter mit Schiff und Panoramazug nach Luzern. Die öffentlichen Verkehrsmittel der Schweiz gelten als vorbildlich in Sachen Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Über 400 Verkehrsbetriebe sind untereinander koordiniert wie das sprichwörtliche Schweizer Uhrwerk. Auf meiner Reise musste ich nie weiter als vielleicht hundert Meter gehen von einem Verkehrsmittel zum anderen, ebenso musste ich nicht übermäßig lange warten. Selbst Schiffe und Bergbahnen sind abgestimmt auf Züge und Busse. Anlegestellen und Talstationen liegen oft direkt beim Bahnhof oder Busbahnhof, selbst in einer großen Stadt wie Luzern. Hier zeigt das Verkehrshaus der Schweiz, wie sich das Land sich ein Verkehrsnetz aufgebaut hat, von dem man sich im Rest der Welt eine Scheibe abschneiden kann. Tobias von Wartburg bildet hier die Guides aus, nimmt sich aber die Zeit, mich herumzuführen. Das Museum ist riesig. Hier gibt es alles zum Thema Verkehr, vom U-Boot bis zum Flugzeug. Auch das berühmte Krokodil steht hier, die Schweizer Gelenk-Elektrolok. „Sie fuhr schon vor über hundert Jahren mit Strom aus Wasserkraft über und durch den Gotthard“, erzählt von Wartburg.
Die Schifffahrt ist nicht nur in Luzern ein integraler Bestandteil der Schweizer Mobilität. Hier arbeitet die Schifffahrts-Gesellschaft Vierwaldstättersee (SGV) seit Jahren daran, ihre Flotte nachhaltig zu machen. „Das Hybridschiff ‚MS Diamant‘ war 2017 das erste klimaneutrale Schiff der Schweiz“ erklärt Marketingleiter Werner Lüönd. Es fährt hybrid mit Diesel und elektrisch. 2026 soll die „MS Saphir“ als erstes Schiff der Schweiz mit grünem Wasserstoff fahren. Der Umbau kostet fünf Millionen Franken, fast so viel wie der Neupreis. Sogar der kleine Ausflugsdampfer „Rütli“ von 1929 wurde auf Elektromotor mit Akkubetrieb umgerüstet, er allein hatte bisher 21 Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre geblasen. Insgesamt tanken die 19 Schiffe der SGV-Flotte rund 2,5 Millionen Liter Diesel im Jahr, das will man hier drastisch reduzieren.
Ein Kapuzinerkloster ist nun ein nachhaltiges Hotel
Viele Gastronomen der Schweiz bereiten ihre regionalen Rezepte ausschließlich mit lokalen Produkten zu. Das Culinarium Alpinum in Stans, nur wenige Bahnminuten von Luzern, treibt dieses Konzept weiter auf die Spitze. Während ich reinsortigen Saft von der Ottenbacher Schellerbirne trinke, erläutert Gründer und Inhaber Peter Durrer, wie aus dem ehemaligen Kapuzinerkloster ein nachhaltiges Hotel mit Restaurant wurde: „Meine Inspiration war nicht zuletzt das Buch ‚Das kulinarische Erbe der Alpen‘ von Dominik Flammer“. Die Philosophie dahinter ist der Erhalt des halb vergessenen Wissens der alpinen Küche, die sich hauptsächlich aus der Not, aus wenig viel zu machen, ergeben hat. „Auch die Kapuziner waren ein Bettelorden, daher wollen wir die Reduktion weiter erzählen“, sagt Durrer. Die Reduktion sei ein Geschenk. „Dank ihr bringen unsere Produkte die Vielfalt der Schweiz an die Oberfläche“. Und tatsächlich zaubert die Küche herrliche Gerichte. Gästen und Küche steht außerdem eine „essbare Landschaft“ rund ums Kloster zur Verfügung, in der sich nach Lust und Laune bedient werden darf, von der Himbeere bis zur Magnolienblüte. Hier finden sich 50 essbare Pflanzenarten, darunter eine winterharte Zitrone. Selbst der Reis stammt aus dem Tessin, Kaffee und Schokolade werden jedoch importiert. Die Reduktion findet nicht nur in der Küche statt, auch gibt es in den 14 geschmackvoll eingerichteten und nach alten regionalen Apfelsorten benannten Zimmern keine Fernseher, dafür aber Ferngläser. So kann ich bis zur Rigi sehen, der Königin der Berge, wo ich schon am Folgetag fast ganz oben in Rigi Kaltbad verdientermaßen im Panoramapool liege, auf die Alpen blicke und dann im Hotel übernachte. Auch die Rigi-Bahnen fahren mit 100 Prozent Ökostrom bergwärts, und mein Gewicht erzeugt beim Herunterfahren – na, das hatten wir doch schon. Hier schließt sich der Kreis.
Der Autor recherchierte auf Einladung von Schweiz Tourismus.
Weitere Informationen
Anreise: In diesem Fall mit der SBB München-Zürich.
Ticket: Swiss Travel Pass, verschiedene Ausführungen ab 190 €. Ohne Limit Bahn, Bus, Schiff fahren. Eintritte in über 500 Museen inklusive. Bergbahnen mit Ermäßigung, manche kostenlos.
Handy: Unbedingt beim Anbieter nach Roaming-Tarif für die Schweiz erkundigen.
Unterkünfte: Grandhotel Giessbach, Brienz, giessbach.ch, EZ ab ca. 120 €, Culinarium Alpinum, Stans, culinarium-alpinum.com, EZ ab ca. 205 €, Hotel Rigi Kaltbad, hotelrigikaltbad.ch, EZ ab ca. 204 €; Salzano, Interlaken, salzano.ch, EZ ab ca. 135 €.
Nachhaltig reisen: Im Tourismus gibt es das „Swisstainable“-Siegel. Es teilt sich in drei Level auf, „committed“ für Unternehmen, die sich dem Thema ernsthaft verschreiben, „engaged“ für solche, die schon Bemühungen umgesetzt haben und „leading“ für die, die einen hohen Grad an Nachhaltigkeit erreicht haben.
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