Schon die Anreise. Der Flieger landet, aus Deutschland kommend, um 6.40 Uhr in Male. Vorher Frühstück mit Ei und Sonnenaufgang über den Atollen. Und: ein ganzer Tag gewonnen. Nur: Wo ist der Flugsteig für den Weiterflug? Der Shuttle-Bus kurvt an Fracht-Container-Landschaften vorbei, ehe er sich zwischen fantasielosen Verwaltungsbauten hindurch zwängt zu einem Steg, der am Ammersee liegen könnte, etwa in Dießen, Utting oder Herrsching. Nur eben statt mit Tretbooten mit Wasserflugzeugen und eben diesen Wasser-Farben, die es sonst wohl nirgendwo in der Welt gibt. Genau 50 Minuten und drei Dutzend Kalenderbilder später die Landung auf einem Bade-Ponton vor einem Eiland namens Landaa Giraavaru.
Einer der Gründe Deutschland gerade jetzt nach der Aufhebung der weltweiten Reisewarnung zu verlassen, heißt „M 1262 S R&LP“. Für meeresbegeisterte Touristen ist die Begegnung mit den Riesenrochen ein High-End-Erlebnis, für das man vor Ort nur Schnorchel und Taucherbrille braucht.
Wer ist also „M 1262 S R&LP“?
Ein Manta („M“), der 1262. identifizierte, weiblich (Zeichen für weiblich) mit einem kurzen Schwanz („S“ wie „small“). Ein Tigerhai oder ein Killerwal haben ihm wohl Stücke aus seinen beiden Brustflossen gerissen, deshalb „R&LP („L“ wie „Left“ & RP wie „Right Pectoral fins“). „M 1262 haben wir zuletzt vor elf Monaten im Süd-Ari-Atoll gesehen. 200 Kilometer von hier entfernt“, sagt Guy Stevens, während er Bilder des letzten Schnorchelausflugs prüft. Der 41-jährige englische Meeresbiologe ist einer der wenigen Forscher weltweit, die sich mit den schwarzen Schatten beschäftigen. Im Jahr 2006 hat er auf Landaa Giraavaru im Baa-Atoll eine Forschungsstation aufgebaut, das Identifikationssystem entwickelt und viele der Meeresbiologen ausgebildet, die den Gästen nun die wundersame Welt der Mantas erklären.
Ermöglicht wird diese Arbeit durch den Schweizer Armando Kraenzlin. Dank des Engagements des Generalmanagers, das weit über eine pure touristische Geschäftsidee hinausreicht, leistet sich das Hotel „Four Seasons“ seit über zehn Jahren eine Forschungsstation im Resort. Im Gegenzug kann das Resort seinen Gästen die Begegnung mit den schwarzen Schatten unter wissenschaftlicher Begleitung bieten. Eine gelungene Symbiose. Beim „Manta Talk“ erfahren wir, dass Mantas, wie auch Haie zur Gruppe der Plattenkiemer gehören, dass sie Plankton-Fresser sind und nicht rückwärts schwimmen können.
„Manta on call“ heißt das Programm, das den Urlaub auf Landaa Giraavaru zum leisen Thriller werden lässt. Gleich beim Einchecken bekommt man ein „Manta Phone“. Ein Handy, das nur eine Nummer zurückrufen kann. Nämlich dann, wenn „Manta-Alarm“ ausgerufen wird. In diesem Fall bleiben genau 20 Minuten Zeit bis zur Abfahrt des Bootes nach Hanifaru.
Hanifaru ist ein auf den ersten Blick unsichtbarer Platz. Eine geologische Besonderheit, die von der Unesco im Jahr 2011 zusammen mit dem gesamten Baa-Atoll zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Unsichtbar deshalb, weil Hanifaru ein Unterwasser-Riff ist, das sich nur einen Meter unter der Meeresoberfläche befindet: etwa so groß wie ein Fußballfeld in der Form eines Sacks mit nur einer einzigen schmalen Öffnung. In diese maritime Sackgasse werden in der Regenzeit von Mai bis November durch den Südwest-Monsun große Mengen an Plankton gespült. Die Konzentration an diesen Kleinstlebewesen ist somit extrem hoch. Wenn dann die Strömung, die Mondphase und die Gezeiten stimmen, dann ist der Tisch für die Mantas reich gedeckt und die Touristen haben ein Rochen-Erlebnis, das seinesgleichen sucht, denn ein derartiges Manta-Vorkommen an einem einzigen Platz ist weltweit ohne Beispiel.
Viele Feinde haben die zweihörnigen Mantas („Manta Birostris“) nicht. Eigentlich nur Orcas und Tigerhaie, die sie aber schon von Weitem sehen können, dank ihres 270-Grad-Blickwinkels. Der größte Feind der Mantas ist der Mensch –und das, obwohl die Fleischqualität der Tiere als minderwertig gilt. Wären da nicht die Kiemen, deren Verzehr in China eine große Wirkung im Ausfiltern von Umweltgiften zugeschrieben wird. Viele der Tiere verenden außerdem in Treibnetzen, denn Mantas können, wie schon erwähnt, nicht rückwärts schwimmen und haben deshalb keinerlei Chance, der tödlichen Falle zu entkommen.
Guy Stevens sieht den Manta-Schutz, der unter der einheimischen Bevölkerung durchaus umstritten ist, ganz pragmatisch: „Ich frage die Jäger und Fischer einfach: ,Überlegt einmal: Wie viel ist das Fleisch und die Kiemen eurer toten Mantas wert und wie viel die lebendigen Tiere, die all die Touristen Jahr für Jahr auf die Malediven locken?‘“ Über 140 Millionen US-Dollar wurden laut einer Untersuchung des „Manta Trust“ weltweit jährlich im vergangenen Jahrzehnt mit Manta-Tourismus erwirtschaftet. 8,3 Millionen Dollar allein davon auf den Malediven.
Der erste Manta gleitet in einer Steilkurve vorbei
Nach dem absolvierten „Coral Garden Talk“, dem Aufstellen eines selbst gebauten Korallenstocks und gerade rechtzeitig vor der sicherlich schweißtreibenden Anti-Gravitiy-Yoga-Session läutet das Telefon. Mantas! Mantas bei Hanifaru! Noch 20 Minuten Zeit! Wind und Regen bei 31 Grad, das Wasser aufgewühlt. Regenzeit eben und gar kein Tropentraum beim ersten Anblick. Ideales „Manta-Wetter“! Die Wissenschaftler vor Ort hatten schon vor Jahren herausgefunden, dass es eine eindeutige Korrelation zwischen Windgeschwindigkeiten, Fressaktivität und Fortpflanzungshäufigkeit gibt.
„Ruhig halten im Wasser…, die Mantas werden euch sehr nahe kommen…, Ihr braucht nicht auszuweichen, die Mantas tun das schon.“ Gut gemeinte Ratschläge. Diese Riesen haben vier Meter Spannweite.
Der Sprung ins Nichts. Wo sind sie? Mit einem Mal verdunkelt sich das rechte Blickfeld. Keinen halben Meter entfernt gleitet der erste Riesenrochen in einer Steilkurve vorbei. Und dann kommen sie – mit weit aufgerissenen Mäulern, die aussehen wie der Kühlergrill eines 50er-Jahre-Ami-Schlittens, untereinander geringfügig versetzt wie eine Düsenjäger-Staffel ohne Lärm. Man nennt dieses Sozialverhalten „Chain feeding“ („Fressen in der Kette“). So grasen die Tiere wirklich jeden Kubikzentimeter nach Plankton ab. Von unten schießen sie hoch in mehreren Stockwerken und schlagen einen Salto nach dem anderen auf dem Weg nach oben, um mit noch mehr Druck das Plankton inhalieren zu können. Sie sind gewaltig groß und gleichermaßen zart in ihren Bewegungen. Dutzende von schwarzen Schatten. Der Blick nach unten erschreckt kurzzeitig, wenn direkt unter den eigenen Flossen die schwarzen Mäntel („Manta“ = spanisch: „Mantel“) langsam und gelassen, nur Zentimeter entfernt, durchgleiten.
Nach 35 Minuten ist die lautlose Fressorgie vorbei. Die Mantas haben sich alles Plankton im Riff von Hanifaru einverleibt und verschwinden im Dunkel des Meeres. Wo war eigentlich M 1262, weiblich, die mit den angeknabberten Brustflossen? Und erst die Walhaie, die ja in Fressgemeinschaften mit den Mantas leben und noch seltener anzutreffen sind? Wenn es sein muss, dann auch noch am letzten Tag. Vielleicht klingelt das Manta-Telefon noch mal?
- Tauchen Eine eigene Tauch-Ausrüstung ist nicht erforderlich. Maske, Schnorchel und Flossen werden kostenfrei für die gesamte Dauer des Aufenthalts gestellt.
- Veranstalter „Airtours“ bietet in dieser Zeit sechs Übernachtungen im „Four Seasons“ auf Landaa Giraavaru incl. Flug, Transfer mit Wasserflugzeug und Übernachtung in einer Beach Villa Pool mit Frühstück ab € 5.336 pro Person an. Die Manta-Safari dauert, je nach Sichtung, drei Stunden und kostet € 150 pro Person. Weitere Informationen unter: www.airtours.de.
- Anreise Kleiner Tipp: Wer ab Frankfurt oder München mit Qatar Airways 069/ 260904400, www.qatarairways.com fliegt, kann die Reise quasi um zwei Tage verlängern, denn deren Flüge kommen früh am Morgen auf den Malediven an und verlassen die Inseln erst am Abend. Buchen dann über: www.fourseasons.com
- Corona Seit dem 15. Juli sind die Malediven für Touristen wieder zugänglich. Reisende müssen einen negativen PCR-Test, der nicht älter ist als 72 Stunden, vorweisen. Am Flughafen Malé und bei den Transfers besteht Masken-Pflicht, im Resort auf der ansonsten nicht besiedelten Insel Landaa Giraavaru nicht.
- Die Reise fand mit Unterstützung von Four Seasons statt.
Über die Malediven gibt es auch einen neuen Roman des Neuburger Autors Roman Ehrlich.