Startseite
Icon Pfeil nach unten
Geld & Leben
Icon Pfeil nach unten

Reise: Abwechslung und Abenteuer: Warum zieht es uns in die Welt hinaus?

Achill Moser auf einer seiner Reisen durch die Wüste. Der Hamburger hat 28 Wüsten durchreist und mit Nomaden gelebt.
Reise

Abwechslung und Abenteuer: Warum zieht es uns in die Welt hinaus?

    • |

    Der Traum vom Ausbruch aus dem Alltag, vom freien und unbekümmerten Leben – wer hätte ihn nicht schon mal geträumt? Alles hinter sich lassen, den gepackten Rucksack schultern und einfach loswandern… Ist nicht von mir. Ist von Achill Moser, einem der Großmeister des Reisens. Er hat 28 Wüsten durchwandert und bei Nomadenvölkern gelebt. Bücher darüber geschrieben. Filme gemacht. Seit einem halben Jahrhundert lebt er für das und fast ebenso lange vom Reisen. 

    Ich blättere in Mosers Buch „Zu Fuß hält die Seele Schritt“, in dem die eingangs zitierten Sätze stehen. Es ist ein Plädoyer für die einfachste Form der Fortbewegung. Das Gehen. Das Wandern. „Denn das Gleichmaß der eigenen Schritte“, schreibt Moser, „ist der Nährboden für einen beflügelten Geist.“ 

    Ein beflügelter Geist? Käme mir gelegen, denn ich möchte einer Frage nachgehen, die mich schon länger umtreibt. Wir verreisen immer öfter, weiter, rastloser. Ich reise, also bin ich: Ein Selbstverständnis, das selbstverständlich geworden scheint, weil … ja, warum eigentlich? Was ist es, das uns wieder und wieder hinauszieht in die weite Welt? Und was macht das mit dieser Welt?

    Um Antworten zu finden, so dachte ich mir, würde ich mich am besten selbst auf eine Reise begeben. Eine Reise zu Profis für nachhaltiges, naturnahes, umweltbewusstes Reisen. Eine Reisereise sozusagen, die sich selbst zum Gegenstand hat.

    Erste Etappe: Wandern beflügelt den Geist

    Die erste Etappe soll meinen Geist beflügeln. Eine Wanderung. Zu Wüstenwanderer Achill Moser. Praktischerweise wohnt er in Hamburg, nur ein paar Stadtteile nordöstlich von mir. Eine letzte Gewichtskontrolle des Rucksacks – 12,1 Kilo. Noch einmal öffne ich den Rucksack. Obenauf liegt Mosers „Zu Fuß“-Buch. Das bleibt hier. 400 Gramm Ballast gespart. „Der Mut zum Weniger steigert die Intensität des Erlebens.“ Steht in dem Buch.

    Ein sonniger Sonntagnachmittag. Zwei nach zwei. Die Tür fällt ins Schloss. Die Reisereise beginnt.

    Reisen – klingt ja erst mal positiv. Da schwingt Weltoffenheit mit, Neugier, interkulturelles Interesse. Andererseits: Bergsteigerstau auf dem Mount Everest. Besuchermassen, die Venedig, Barcelona, Amsterdam für Einheimische unbewohnbar und unbezahlbar machen. Bettenburgen. Zugemüllte Strände.

    Aber auch bei Reisenden, die rücksichtsvoller, nachhaltiger, „bewusster“ unterwegs sein wollen, gibt es blinde Flecken. Der Beitrag zum Klimawandel etwa, den jede und jeder Reisende mit dem Unterwegssein leistet. Manche mehr. Manche weniger. Alle zusammen, hat die University of Sydney ausgerechnet, sind verantwortlich für acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Viermal so viel, wie Deutschland mit allem drum und dran –Industrie, Wohnhäuser, Verkehr – ausstößt.

    Eine knappe Stunde laufe ich nun schon durch Hamburg. Knirschen unter den Wanderschuhen. In dieser Gegend ist der Gehweg unplaniert. Hier irgendwo muss der Wüstenwanderer wohnen.

    Er empfängt mich vor einer steil aufragenden Bücherwand, an der, zur Besteigung, eine kleine Holzleiter lehnt. In der Zimmerecke knistert ein Kaminfeuer. Achill Moser war 17 bei seinem ersten Ausbruch aus dem Alltag. Für die Sommerferien hatte der Schüler auf ein Interrail-Ticket gespart. „Und das weiteste Ziel, was du damals damit erreichen konntest, war Marrakesch. Marokko.“ Von dort trampte er in die Wüste. Begegnete Beduinen, durfte einige Tage mit ihnen verbringen. „Das hat mich sehr berührt. Dieses Unterwegssein. Das Reduzieren auf das Wesentliche.“

    Es waren Eindrücke, die er fortan in seinem „inneren Rucksack“ mit sich getragen habe, so der heute 67-Jährige. Sie wiesen seinem Leben den Weg: zum Unterwegssein. Zu Fuß. Moser hat nie den Führerschein gemacht.

    Mal abgesehen davon, dass Wandern die umweltfreundlichste Art des Reisens ist, worin liegt sein Wert? „Es schafft hautnahe Erlebnisse. Man hat ein Auge für die kleinen Dinge. Dinge am Wegesrand.“ Außerdem sei Gehen gesund – für Körper und Geist. „Beim Wandern nimmst du auch Sorgen und Probleme mit“, sagt Moser. „Den Kopf hat man ja nun mal immer dabei.“ Mit der Zeit aber, mit den Kilometern, kämen die Gedanken ins Fließen. „Die Schwere dessen, was uns so beutelt, entschwindet ein bisschen. Manchmal finden sich auch Lösungen.“

    16:49 Uhr. Weiter geht’s, zur Alster. Vogelgezwitscher. Tannenduft. Teil zwo der Stadtwanderung. Mir bleiben ein paar Stunden. Um 21 Uhr fährt am Zentralen Omnibusbahnhof mein Flixbus ab. „Wer mit knappem Budget reist und dennoch umweltfreundlich unterwegs sein möchte, sollte Busverbindungen eine Chance geben!“, habe ich im Buch „Green Travelling“ gelesen, Untertitel: „Einfach nachhaltig reisen“. Mein Bus ist der N33, Endstation Luzern. Ich fahre mit bis Hannover (zwei Stunden Fahrt, 11,99 Euro). Dort treffe ich Julia-Maria Blesin, die Autorin des Buchs.

    Zweite Etappe: Wie klimafreundlich ist das Reisen im Camper?

    Der Weg ist das Ziel. Diese Weisheit sei ein bisschen in Vergessenheit geraten, sagt Julia-Maria Blesin, als wir am nächsten Nachmittag vor einem Café in der Innenstadt sitzen. „Viele Leute wollen heute möglichst schnell am Ort der Entspannung ankommen.“ Was ironischerweise in Stress ausarten kann. Mit ihrer Familie vereist die 33-Jährige im Miet-Campingbus. „Diese Art zu reisen hat uns begeistert – vor allem, wenn man kleine, naturnahe Campingplätze oder Bauernhöfe ansteuern kann.“ Allerdings bedeutet Naturnähe nicht notwendigerweise Klimafreundlichkeit. 

    So klein der CO2-Fußabdruck einer Campingbus-Übernachtung, verglichen mit einem Hotelzimmer, ist, so überdimensioniert ist er bei der Anreise in solch einem Riesengefährt. „Ich war überrascht zu erfahren, dass – wenn man allein Hin- und Rückweg betrachtet – ein Campervan zu zweit nicht klimafreundlicher ist als ein Flug“, sagt Blesin. Die Pro-Kopf-Klimabilanz verbessere sich aber, je mehr Leute im Campingbus mitfahren. Und je länger der Urlaub, stehenderweise, dauert.

    Dritte Etappe: Die Selbstverständlichkeit des Fliegens

    Mein Verkehrsmittel der Wahl für Tag drei ist der ICE, laut Bahn-Eigenwerbung „Deutschlands schnellster Klimaschützer“. Von Hannover geht’s tief in den deutschen Süden, nach Freiburg. Hier wohnt Jana Strecker. Die 31-jährige Ingenieurin, Schwerpunkt erneuerbare Energien, ist Mitgründerin von Terran. Im Namen des Vereins steckt das lateinische „terra“, Erde, denn er setzt sich für flugfreies, erdnahes, eben „terranes“ Reisen ein. Wir treffen uns in einem Café direkt am Hauptbahnhof, mit Blick auf die stadtnahen Schwarzwald-Ausläufer.

    Bis vor ein paar Jahren, erzählt Strecker, sei sie geflogen, beruflich, privat, „ohne darüber nachzudenken – was ja irrwitzig ist, wenn man sich, wie ich, beruflich mit der Energiewende beschäftigt“. Aber Fliegen fühlte sich eben selbstverständlich, alltäglich an. Aus diesem Alltagstrott wurde sie herausgerissen, als sie die Klimabilanz von Flugreisen einmal detailliert vorgerechnet bekam. „Wie schädlich das Fliegen ist, hat mich geschockt.“ Und so stieß sie 2019 mit anderen zusammen Terran an. „Wir wollen das Fliegen nicht verbieten“, sagt Strecker. „Aber wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, was es für das Klima bedeutet –und wie einfach und schön oft die Alternativen sind.“

    Vierte Etappe: Lügen wir uns beim Reisen in die Tasche?

    Tag vier, 6:46 Uhr. Der IC 267 rollt an. In einer Nordschleife geht’s um den Schwarzwald … über die Schwäbische Alb … durch Oberbayern … Der Weg ist das Ziel.

    Auf der Zugfahrt schmökere ich ein wenig im Buch „Lovely Planet“ der Reisejournalistin Maria Kapeller – keine Nachhaltig-reisen-Tippsammlung, sondern eine kluge Reflexion darüber, was wir machen, wenn wir reisen, und was das mit uns macht. Am Nachmittag sind wir zu Kaffee und Kuchen in der pittoresken Salzburger Altstadt verabredet.

    „Es geht mir darum, einfach mal genau hinzuschauen“, sagt Kapeller. Bei ihren Reisen, als Touristin, als Journalistin, habe sie genau das getan und immer öfter ein ungutes Gefühl verspürt. „Dieser Öko-Urlaub in Costa Rica: Ist der wirklich nachhaltig? Oder lügen wir uns dabei in die Tasche?“

    Die Gefahr des In-die-Tasche-Lügens sieht Kapeller auch beim „Kompensieren“ von Flügen, beispielsweise durch spendenfinanziertes Bäumepflanzen. Gut gemeint, findet sie, und immerhin mache das Kompensieren einem die CO2-Emissionen des Fliegens bewusster – ungeschehen aber mache es sie nicht. Und: „Wer Kompensationszahlungen als Rechtfertigung dafür sieht, noch öfter zu fliegen, schadet dem Klima sogar mehr, als er es schützt.“ 2018 hat sie mit dem Flugfasten begonnen.

    Fünfte Etappe: Mit dem Zug in die Ferne

    Der vorletzte Tag meiner Reisereise führt mich weit in den Osten. In Wien möchte ich jemanden treffen, der sich mit terranem Reisen auskennt wie wenige andere: Elias Bohun, 22, Mitgründer des Zugfernreisebüros Traivelling. Es entstand aus Bohuns eigener Erfahrung heraus, wie kompliziert es sein kann, flugfrei in die Ferne zu reisen. 2018 fuhr er per Zug nach Ostasien und zurück.

    Bohun erzählt, wie er, Umweltschützer seit Teenager-Tagen, nach dem Abitur zunächst einen Flug nach Sri Lanka buchte –nur, um ihn kurz darauf schlechten Gewissens wieder zu stornieren. Stattdessen buchte er eine Bahnreise, Wien – Vietnam. Zug um Zug, bis die letzte Lücke auf der Strecke geschlossen war. „Umweltschutz heißt Verzicht“, mit diesem Gedanken habe er die Reise angetreten, sagt Bohun. „Aber dann war dieser vermeintliche Verzicht einfach der coolste Teil der Reise.“

    Sechste Etappe: Abschied

    Ich verabschiede mich von Elias Bohun. Und nutze, was noch vom Nachmittag bleibt, für eine kleine Wien-Wanderung.

    Mein Nachtlager wartet am Wiener Hauptbahnhof auf mich. Gleis 8. Nightjet 490, Wien–Hamburg. Um kurz nach acht mache ich es mir in meinem Nachtzug-Liegewagen gemütlich, getreu dem Terran-Slogan: „Lieber chillig liegen als billig fliegen!“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden