Mitte November bin ich nach Turkmenistan eingereist. Der iranische Polizist verabschiedet mich mit einem Lächeln. Dahinter begegne ich einer Gruppe blaubemützter turkmenischer Soldaten, die einen kritischen Blick in meinen Ausweis und auf mein Visumschreiben werfen: Wohin wollen Sie reisen? Nach Usbekistan. Wie lange haben Sie vor in Aschgabat, der Hauptstadt Turkmenistans, zu bleiben? Eine Nacht oder vielleicht zwei Nächte. Sie bleiben eine Nacht und reisen auf direktem Weg nach Usbekistan. Alles klar, eine Nacht. Ich habe ein Transitvisum, ich weiß. Das heißt, mein Aufenthaltsrecht beschränkt sich auf fünf Tage. Umwege sind in dieser Zeit unerwünscht.
Aschgabat ist eine aus weißem Marmor hochgezogene Geisterstadt, der Stein gewordene Selbstdarstellungswahn des Präsidenten auf Lebenszeit, Gurbanghuly Berdimuhamedov. Wochen vor der Einreise beginne ich, den Namen auswendig zu lernen, bis er mir endlich ohne Stocken über die Lippen kommt. Dann treffe ich im Hotel Anna. Die russischstämmige Turkmenin ist die Erste, die Englisch spricht und mir meine wichtigsten Fragen beantwortet. Anna führt mich in die Raucherecke hinter dem Nebenhaus und beginnt mit den Regeln, die ich befolgen soll: keine Bilder von Soldaten, Polizisten und Regierungsgebäuden. Straßen nur auf dem Zebrastreifen überqueren. Rauchen ist in der Öffentlichkeit verboten.
Politische Gespräche solle ich vermeiden, aber wahrscheinlich werden sich in Aschgabat eh nur wenige Menschen mit mir unterhalten. Das Kamerasystem des Präsidenten, mit dem auch das Hotel überwacht wird, sieht alles. Internet kann ich in einem Fünf-Sterne-Hotel in der Innenstadt finden, aber das Internet ist streng reguliert. Geldwechseln übernimmt Anna für mich. Für Reisende ist das verboten. Ich frage, ob in Aschgabat wirklich nur weiße Autos erlaubt sind. Das habe „Papa“ etwas gelockert, sagt sie. Papa. So nennt sie den Präsidenten.
Aschgabat glänzt gold-weiß in all seiner Fassadenhaftigkeit
Noch nie habe ich in einer Stadt, geschweige denn in einer Hauptstadt so wenige Menschen und so viele Kameras gesehen. Polizisten beobachten mich und verbieten mir regelmäßig Fotos von Monumenten, die Papa zeigen. Ansonsten sehe ich hauptsächlich Straßenkehrer und Gärtner. Die Stadt glänzt gold-weiß in all ihrer Fassadenhaftigkeit. Es sprechen mich in zwei Tagen neben Anna und der Hotelbelegschaft lediglich zwei Frauen an, die sich prostituiert haben. Eine erzählt mir in einem vom Tourismusministerium finanzierten British Pub, dass sie alleinerziehende Mutter ist, von den umgerechnet etwa 150 Dollar im Monat, die sie zuvor in ihrem staatlichen Job verdient hat, sich kaum die Wohnung leisten kann. Ihren Sohn hat sie auf eine Englischschule geschickt, damit er das Land irgendwann verlassen kann.
Das Internet auf meinem Handy gleicht einem Intranet. Ich bin überrascht, als ich entdecke, dass lediglich eine App funktioniert, in der man Bier bewerten kann und das Ergebnis mit seinen Freunden teilt. Ich bewerte zwei turkmenische Biere und schreibe nach Deutschland: „Es ist irre. Meine einzige Möglichkeit mit der Welt zu kommunizieren ist im Moment die Bier-App. Das ist kein Witz!“ Und: „Im Iran seit vier Tagen Internet zum Großteil gesperrt. In drei Tagen Usbekistan. Prost.“
Ich reise weiter Richtung Norden und habe ein Ziel. Ich will den Gaskrater beim ehemaligen Dorf Derweze sehen. Das „Tor zur Hölle“ ist ein Betriebsunfall aus Sowjetzeiten. Als 1971 ein Gasfeld unterirdisch erschlossen werden sollte, kollabiert die Anlage. Ein Gaskrater mit 70 Metern Durchmesser entsteht und verbrennt seitdem unaufhörlich das ausströmende Gas inmitten der Wüste Karakum. Ich steige im Schnee aus einem Bus und treffe lediglich auf zwei Polizisten an einem Häuschen und ein paar eingeschneiten Kamelen inmitten eines Niemandslandes, das mehr als 90 Prozent der Fläche Turkmenistans einnimmt. Es hat zum ersten Mal seit etwa vier Jahren in dieser Gegend geschneit. Und als ich nach einem Taxi frage, schreibt der Polizist „20 Dollar“ in den Schnee. Ich streiche die 20 durch und schreibe 10. Er streicht die 10 durch und schreibt 15. Wir haben einen Deal. Ein Polizist heizt sein Privatauto ein und wenige Minuten später bringt er mich zum seltsamsten menschengemachten Naturschauspiel, das ich je gesehen habe. Die Polizisten sind nach meiner Rückkehr glücklich über unsere Begegnung und die 15 Dollar. Sie stoppen die ankommenden Autos für mich und die Reise geht weiter mit zwei Geschäftsmännern Richtung Norden.
Der Fahrer spricht Englisch und erzählt mir von den guten Seiten Turkmenistans. Strom, Elektrizität und Gas sind kostenlos für die Bevölkerung. Im Westen am Kaspischen Meer gebe es schöne Urlaubsorte. Er verdient gut im Baugeschäft, will sich bald einen BMW kaufen und war in Europa, um sich Gewächshäuser anzuschauen. Ich verlasse Turkmenistan über die historischen Stätten von Konye-Urgench und werde ein letztes Mal überrascht. Auf einer Straße sehe ich Menschen, die sich massenweise durch einen Basar und vorbei an den kreuzenden Autos pressen. Gibt es hier Kameras? Das wahre Leben in Turkmenistan scheint sich auf dem Land abzuspielen – das ich vermutlich niemals kennenlernen werde.
Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan ziehen zu schnell an mir vorbei. Ich muss China erreichen, bevor die Visa-Frist verstreicht, und wegen des plötzlichen Todes eines Freundes zwischendurch nach Deutschland zurückkehren. Als ich am 14. Januar die Grenze nach China im Nachtzug aus dem kasachischen Almaty überquere, ist die Verunsicherung nicht geringer, als bei der Einreise nach Turkmenistan. Xinjiang wird ähnlich wie Tibet strikt überwacht, der Bahnhof im Ürümqi gleicht einem Hochsicherheitstrakt. In 48 Stunden durchlaufe ich 15 Kontrollen und versuche das Heimatland der Uiguren, Xinjiang, so schnell wie möglich zu verlassen.
Mit etwas Glück und Ausdauer gelingt die Fahrt nach Chengdu in der Provinz Sichuan. 41 Stunden verbringe ich an Bahnhöfen und in Zügen – eine Nacht auf einer Bahnhofsbank, eine auf dem Restauranttisch im Zug. Doch bereits zu dieser Zeit verfolgen mich die Unterhaltungen meiner Bekanntschaften. Was hat es mit diesem Corona-Virus auf sich?
Wie Bastian Sünkel China und die Furcht vor dem Coronavirus erlebte, lesen Sie hier.