Ein bisschen anrollen, mit dem Fuß abstoßen und los: Um Italien zu erkunden, reicht manchmal ein Fahrrad. Freilich gehört ein für weitere Reisen ein kleines bisschen mehr dann doch dazu, aber dazu später mehr. Für den Moment reicht es aus, die Pedale unter den Füßen zu spüren, den Fahrtwind im Haar und die Sonne auf der Nase. Vor besagter Nase erstrecken sich mal weite Täler, mal grüne Gipfel, kleine Dörfer oder ein reißender Fluss. Und – weil es hier schließlich um Italien geht: Einmal abbiegen und siehe da: Auch eine Ruine aus römischen Zeiten ist nicht weit entfernt. Verbunden sind all diese Orte, auch wenn sie manchmal grundverschieden sind, durch die „Ciclabile dell‘Oglio“, einen Fernradweg, der immer wieder den Fluss Oglio kreuzt, oder an ihm entlangführt.
Einmal angerollt geht es dabei (fast!) immer bergab: Vom Passo del Tonale – dem Tonalepass – in den lombardischen Alpen auf immerhin knapp 1900 Höhenmetern führt der Radweg hinab bis nach San Matteo delle Chiaviche am Fluss Po. Das liegt dann nur noch gute 16 Meter über dem Meeresspiegel. Für wen die insgesamt etwas mehr als 270 Kilometer dazwischen eine Ecke zu weit sind: Auch Teile der Strecke lohnen sich bereits und erlauben es, sehr verschiedene Seiten Italiens der Provinz Brescia quasi im Schnelldurchlauf zu erleben. Die Radtour für diesen Artikel endete zum Beispiel nach knapp hundert Kilometern an den Ufern des Lago d‘Iseo, des Iseosees.
Aber bevor der See mit seinen türkisblauen Weiten zum Baden einlädt, noch einmal einige zig Radkilometer zurück zum Anfang: Die Alpen im Norden der Provinz Brescia sind nämlich ebenso sehenswert, auch wenn die Stimmung in den Bergen ein wenig anders ist, als weiter südlich in Italien. In einem Sommer, der teilweise genauso verregnet war wie hierzulande, sind die Wiesen sattgrün und die – sonst eher kleinen – Bäche stürzen sich reißend ins Tal. Wolken hängen noch in den Tannen am Hang, hier und da hat sich ein kleines Dorf dazwischen eingenistet.
Mitten in dieser Szenerie liegt der Ort Ponte di Legno. Sich noch einmal strecken, Flaschen auffüllen und eine kleine Proberunde drehen: Ab hier wird es nun erst einmal nur mit dem Rennrad weitergehen. Tourguide Riccardo passt eben noch die Sattelhöhe an und erklärt, wie die Schaltung funktioniert, sein Kollege Luca von „Road Bike Tours Italy“ lädt währenddessen das letzte Gepäck in den Minivan.
Einmal quer durch das Tal Valcamonica
Er wird dieselbe Strecke fahren – nur eben mit dem Auto, als Begleitfahrzeug. Sollte einem also irgendwann auf der Strecke die Puste ausgehen, das Fahrrad einen Platten haben oder man doch den Pulli ausziehen möchte: Alle paar Kilometer steht Luca mit seinem Van auf einem Parkplatz oder wartet am Rand der Strecke, um nach dem Rechten zu sehen.
Vom Gepäck und allen sonstigen Sachen befreit, die beim Radeln stören, kann es dann tatsächlich losgehen: Tourguide Riccardo fährt vorne weg, anfangs führt die „Ciclabile dell‘Oglio“ vor allem an Feldern entlang und durch kleine Dörfer. Dabei lernt man die Bremsen des Fahrrads gut kennen – ein wenig bergab geht es hier so gut wie immer – Zeit, um Aussichten, Gerüche und Atomsphäre in sich aufzusaugen, bleibt aber auch.
Die 104 Felsen sind Teil des Unesco-Weltkulturerbes
Die „Ciclabile dell‘Oglio“ schlängelt sich dabei einmal quer durch das Tal Valcamonica, benannt nach der Bevölkerungsgruppe, die hier schon lange Zeit lebte, bevor sich die Römer auch nach und nach in diesen Teil Italiens vorarbeiteten. Das Volk der Camunen hinterließ unzählige Zeichnung und Gravuren in den Felsen des Tals, die teilweise noch aus der Steinzeit stammen, viel über den damaligen Alltag verraten und bis heute sichtbar sind.
104 dieser Felsen sind Teil des Unesco-Weltkulturerbes: 1979 wurde der Parco Nazionale delle Incisioni Rupestri di Naquane in Capo di Ponte als erste italienische Stätte anerkannt – und damit unter anderem noch vor den historischen Zentren Roms, Venedigs oder Florenz. Die prähistorischen Felszeichnungen von Hirschen, die auch als Götter verehrt wurden, von mysteriösen Labyrinthen und vielem mehr, dürften dabei aber wohl zu Italiens deutlich weniger bekannter Geschichte gehören.
Mit den Felszeichnungen lässt man auf der „Ciclabile dell‘Oglio“ zunehmend die Berge hinter sich. Wo zunächst noch häufig Wälder Schatten spenden, lichten sich die Bäume. Nun geht es nicht mehr ständig bergab – mit Ausnahme von ein paar Anstiegen, die es in sich hatten – wie zu Beginn, sondern vielmehr geradeaus, Bergpanorama inklusive. Auch der Fluss Oglio kreuzt jetzt deutlich häufiger die Strecke.
Radelnde nehmen die Umgebung viel intensiver wahr
Tourguide Riccardo zeigt an, wenn der Weg dann doch wieder ein wenig bergauf führt und ruft durch, wenn Radlerinnen oder Radler entgegenkommen. Mit dem Fahrrad zu Reisen ist für ihn die beste Art, um eine neue Gegend zu erkunden, erzählt er nebenbei. Man könne die Umgebung viel besser wahrnehmen, kommt näher heran, ist viel eher Teil davon.
Direkt am Iseosee wartet ein außergewöhnliches Kleinod
Angetrieben von einem angenehm warmen Wind endet die Tour dann schneller als gedacht. Kurz vor der Zielgerade wartet im Ort Pisogne direkt am Iseosee mit einer kleinen Kirche jedoch noch ein Kapitel der weniger bekannten italienischen Geschichte: „Santa Maria della Neve“ mag von außen nicht besonders aufsehenerregend wirken, drinnen ist sie jedoch mit unzähligen Fresken verziert. Sie sind das Werk des italienischen Malers Girolamo Romanino aus Brescia.
Romanino ließ sich für die Gemälde wohl von den weltberühmten Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle inspirieren, er verwendete als Vorbilder für seine Zeichnungen jedoch echte Menschen aus dem Pisogne im 15. Und 16. Jahrhundert – anstelle von Michelangelos perfektionierten, idealisierten Gestalten. „Santa Maria della Neve“ wird deswegen auch als „Sixtinische Kapelle für Arme“ bezeichnet. Romanino selbst wollte damit jedoch eher eine Kirche für alle schaffen – statt nur einem Ort für gut gebildete Eliten.
Abgekühlt durch die Kühle der Kirche – und ein obligatorisches Gelato – steht den letzten Kilometern nichts mehr im Weg. In der Nachmittagssonne auf einem Fahrradweg direkt entlang des Ufers des Iseosees fühlen die sich nun wie eine Belohnung an. Und auch wenn es anstrengend war: Ein wenig möchte man noch weiterfahren. Vielleicht beim nächsten Mal dann die gesamte „Ciclabile dell‘Oglio“.
Kurz informiert
Anreise: Am einfachsten reist man zunächst nach Mailand oder Brescia. Weiter geht es mit dem Auto – aber auch mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln kann man hier ans Ziel kommen.
Fahrradverleih: In der Provinz Brescia kann man sich an vielen Orten Fahrräder ausleihen. Geführte Fahrradtouren mit dem Mountainbike durch die Alpen bietet zum Beispiel „ItrekItaly“ an. Einen Komplettservice mit Gepäcktransport gibt es unter anderem bei „Road Bike Tours Italy“.
Mountain Bike Trails: Wer sportlicher Radfahren möchte, findet im Skigebiet des Orts Borno auf dem Monte Altissimo unter anderem einige Abfahrten, die gezielt für Mountain Bikes angelegt wurden.
Die Autorin recherchierte auf Einladung von Visit Brescia.
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