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Island: Die meisten Reisenden zieht es in den Süden Islands. Ein Fehler.

Island

Die meisten Reisenden zieht es in den Süden Islands. Ein Fehler.

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    Sehenswert im unbekannten Osten Islands: der Wasserfall Hengifoss.
    Sehenswert im unbekannten Osten Islands: der Wasserfall Hengifoss. Foto: Gunnar Gunnarsson

    „Ich hasse Island“, schrie ein schottischer Reisender im Frühjahr 2010 in die TV-Kamera. Er saß wie viele andere nach dem Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull fest. Eyjafjällajökull! Ja, das ist das Wort, das wir Isländer verwenden, wenn wir fremde Zungen verwirren wollen. Nur dass der Schotte mit seiner Meinung allein war. Andere Passagiere sahen sich fasziniert in den Fernsehnachrichten Bilder von Islands wilder Natur an, anstatt wütend auf das Land zu sein. Ascheausbrüche dauern selten lange, obwohl sie in kurzer Zeit großen Schaden anrichten können. Und als das Schlimmste vorüber war, strömten nicht nur die Isländer, sondern immer mehr Besucher und Besucherinnen zu den Eruptionszentren, um dieses einzigartige Naturwunder aus weitgehend sicherer Entfernung zu betrachten.

    Nach dem Bankencrash im Jahr 2008 war die Arbeitslosigkeit in Island relativ hoch und der Wechselkurs der Krone schwach. Deshalb war es für Reisende günstig, nach Island zu kommen. Auf der Website des isländischen Fremdenverkehrsamtes gibt es Daten über die Zahl der Touristen, die bis ins Jahr 1949 zurückreichen. In diesem Jahr waren es 5300. 1986 übersteigt die Zahl zunächst 100.000, zehn Jahre später über 200.000, 2003 über 300.000, 2006 über 400.000 und in den Jahren 2006 bis 2010 liegt die Zahl bei etwa 500.000. Aber dann kommen die Sprünge. Fast 673.000 im Jahr 2012, über 800.000 ein Jahr später, fast eine Million im Jahr 2015, 2,2 Millionen im Jahr 2016. So wie der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg als Wirtschaftswunder bezeichnet wird, könnte man in Island im Jahrzehnt nach dem Ausbruch von Eyjafjallajökull von einem Tourismuswunder sprechen.

    Tourismus auf Island ist nach Corona wieder sehr gut angelaufen

    Natürlich sind diese Zahlen in den Corona-Jahren zurückgegangen. Vergangenes Jahr ist der isländische Tourismus aber wieder gut angelaufen. Auch wenn man dabei bedenken muss, dass die Zahlen auf Ankünfte am internationalen Flughafen in Keflavík basiert. Isländische Fluggesellschaften aber haben ihr Geschäftsmodell darauf aufgebaut, Passagiere zwischen Europa und den Vereinigten Staaten mit einem Zwischenstopp in Island zu befördern. Es ist daher schwierig zu schätzen, wie viele Reisende tatsächlich ins Land gekommen sind, obwohl aus allem hervorgeht, dass ihre Zahl exponentiell gewachsen ist.

    Der beeindruckende Fjord Borgarfjordur im Osten Islands.
    Der beeindruckende Fjord Borgarfjordur im Osten Islands. Foto: Gunnar Gunnarsson

    Dem Tourismusboom folgten einige Wachstumsschmerzen. Zunächst einmal ist die Ruhe mancherorts verschwunden. Zweitens veränderte sich der Wohnungsmarkt durch Airbnb. Drittens leidet das typisch Isländische. Isländer arbeiten seltener in Restaurants, was bedeutet, dass es schwieriger wird, Essen auf Isländisch zu bestellen. Überall, wo Dinge auf Englisch vermarktet werden, haben Unternehmen englische Namen. Und nicht zuletzt sind die Straßen deutlich voller. In Island gibt es keine Autobahnen. Nirgendwo darf mehr als 90 km/h Höchstgeschwindigkeit gefahren werden. Und selten gibt es mehr als eine Fahrbahn. Ausländer sind das isländische Winterwetter nicht gewohnt. Dazu gehört, dass Straßen plötzlich unpassierbar werden können. Manchmal haben Rettungsteams viel zu tun, um Menschen, die in Schwierigkeiten geraten sind, zu helfen. Und natürlich bedeutet dieser wachsende Tourismus einen Eingriff in die Natur. Ein Beispiel: Fjardárgljúfur war wenig bekannt, bis Justin Bieber dort ein Video drehte. Daraufhin musste dort die Schlucht geschlossen werden, damit tausende von Neugierigen nicht die Vegetation zerstören. Auch andernorts mussten aufwendige Projekte zum Schutz der Natur durchgeführt werden.

    Auf ganz Island leben so viele Einwohner wie in Augsburg und Umgebung

    Solche Phänomene führen regelmäßig zu Diskussionen. Der Schriftsteller und Guide Thórarinn Leifsson, der ironischerweise den Roman „How to kill tourists“ (Wie man Touristen tötet) veröffentlichte, sagte kürzlich, genug sei genug. Der Geschäftsführer der größten Umweltschutzorganisation befürchtet, dass die Infrastruktur des Landes mehr Reisende nicht mehr aushalten könne. Der Ökonom Gylfi Zoega hat mehrfach den Zorn der Tourismusbranche auf sich gezogen, weil er behauptete, Tourismus schaffe keine gut bezahlten Jobs und daher nicht genug Gewinn für Island. Schließlich forderte auch der berühmteste Musiker der Nation, Bubbi Morthens, auf Facebook, dass das Land geschlossen werden sollte, weil es zermalmt werde.

    Aber Island ist nicht überall voll. Das Land hat eine Fläche von 103.000 Quadratkilometern, so groß wie Baden-Württemberg und Bayern zusammen. Andererseits leben 375.000 Menschen in Island. Rund 300.000 Menschen leben in Augsburg – kommen Gersthofen, Friedberg und Neusäß hinzu, ist die Einwohnerzahl von Island erreicht. Bisher hielten sich die meisten Touristen im Süden und in der Nähe der Hauptstadt Reykjavík auf. Statistics Iceland verfolgt die Übernachtungen im Land. Im Juli 2019 befanden sich 55 Prozent von ihnen in der Hauptstadtregion und in Südisland, jenes Gebiet, das viele der berühmtesten Sehenswürdigkeiten bietet: Gullfoss, Geysir und den bereits erwähnten Eyjafjallajökull. Keine der anderen sechs Regionen kann da mithalten.

    Seydisfjordur im Osten Islands.
    Seydisfjordur im Osten Islands. Foto: Gunnar Gunnarsson

    In anderen Regionen kämpfen Tourismusanbieter deshalb um einen größeren Anteil vom Kuchen. Die Ursache des Engpasses besteht seit langem darin, dass es nur regelmäßige internationale Flüge über einen Flughafen in Keflavík gibt. Aber auch die Flughäfen in Akureyri im Norden und Egilsstadir im Osten sind vollwertige internationale Flughäfen. Es gab einige Versuche, diese Airports häufiger anzufliegen, sie waren aber nur von kurzer Dauer.

    Die Lebensqualität hat sich durch den Tourismus auf Island verbessert

    Vergangenes Jahr wurde im Norden gehandelt und NiceAir gegründet, die regelmäßig von Akureyri nach Kopenhagen und Teneriffa fliegt. Condor wollte eigentlich diesen Sommer nach Akureyri und Egilsstair fliegen und NiceAir zwischen Düsseldorf und Akureyri. Doch die Flüge nach Deutschland verkauften sich nicht gut genug, der Abflug war zu spät, sodass die Unterkünfte in Nord- und Ostisland bereits ausgebucht waren. Die Kapazitäten sind begrenzt und im Sommer schnell ausgebucht. Aber die Nachfrage reicht dennoch nicht aus, damit Investoren den Nutzen eines Hotelbaus erkennen.

    Was auch immer Wirtschaftswissenschaftler oder andere sagen, ich habe die Zunahme der Touristenzahlen immer begrüßt, weil sich dadurch unsere Lebensqualität stark verbessert hat, auch wenn ich manchmal irritiert bin, zum Beispiel wenn ich in den Süden nach Reykjavík fahren muss. Ich sehe immer noch gerne all die Landhotels, die gebaut wurden, die kleinen Restaurants, oder auch, dass es im kleinen Vík in Mýrdal einen Supermarkt und eine Reihe neuer Häuser gibt.

    Auch in meinem kleinen Kreis Fljótsdalur im Osten Islands, wo ungefähr 100 Menschen leben, gibt es Jobs rund um den Tourismus. Meine Frau kam 2016 aus Deutschland, um im Wilderness Center zu arbeiten, das um das alte Haus herum auf dem Land meines Vaters gebaut wurde. Wir haben uns dort kennengelernt. Ihr Einkommen basiert seitdem auf dem Tourismus. Sie ist die einzige Isländerin, die Schafsmilch verarbeitet, und betreibt seit zwei Sommern einen Imbisswagen am Hengifoss, eine der größten Touristenattraktionen im Osten. Es stimmt, Island hat sich in den letzten Jahren verändert.

    Die nordöstliche Ecke Islands ist wenig besucht

    Ich habe letztes Jahr mit einem Deutschen gesprochen, der vor 20 Jahren als Backpacker ins Land kam und viele Beispiele dafür aufzählte. Das Land ist aber immer noch groß genug, um abgelegene Gebiete zu finden. Die nordöstliche Ecke ist wenig besucht. Es ist ein großartiges Gebiet für Vogelbeobachter. Die Zahl der Übernachtungen ist im Nordwesten am niedrigsten, was jedoch ein ideales Gebiet für Islandpferde-Interessierte ist. Und noch immer werden neue Orte entdeckt. In wenigen Jahren hat sich Studlagil zu einem der beliebtesten Orte in der Region entwickelt, nachdem ein Foto in einer Zeitschrift erschienen war. Der Tourismus fördert die Kreativität der Isländer. Ständig entstehen neue Freizeitgeschäfte: Mountainbiken, Wandern, Kajakfahren. Mein Büro ist in Egilsstadir. Dort kann ich nun in mehreren Restaurants essen gehen. 

    Viele Menschen wollen den Goldenen Kreis sehen, eine Route, die im Süden die wichtigsten Sehenswürdigkeiten verbindet. Aber es gibt noch viele andere Orte. Ich rate Leuten, die nach Austurland kommen, nach Borgarfjördur eystri zu gehen, einem Dorf mit 100 Einwohnern inmitten bunter Berge mit einer Auswahl an Wanderwegen. Oder nach Seydisfjördur, einer Kulturstadt mit alten norwegischen Häusern. Oder nach Mjóifjördur, wo durchschnittlich zehn Menschen leben. Hier sollte es ausreichend Platz geben.

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