Was ist denn hier passiert? Das schöne Örtchen wirkt wie ausgestorben, dabei hatten wir doch gerade noch von den Demonstrationen gegen Massentourismus in Spanien gelesen. Aber das scheint nicht das Problem von Pedraza zu sein. Wir sind in Kastilien, weit abseits der Touristenströme. Da, wo Städte und Dörfer immer mehr ausbluten. Landflucht ist hier ein großes Thema. Dabei ist es hier am Rand der Sierra de Guadarrama wunderschön.
Wir sehen Orte wie aus der Zeit gefallen, so wie das gelbe, das rote und das schwarze Dorf. Kaum mehr als zehn Einwohner harren hier übers Jahr aus. Die meisten in Madrigues, dem roten Dorf, wo einige der Häuser teuer herausgeputzt wurden. Wochenendhäuser der Madrilenen. Die Hauptstädter, sagt Guide Mark Zoder, schmal, graue Haare, blaue Augen, „schwärmen am Wochenende über das ganze Land“. Und viele hätten eben ihre Wurzeln in Kastiliens Dörfern.
In Kastilien wurde spanische Geschichte geschrieben
Mark ist Deutscher, ihn hat es in den 1980ern nach dem Studium der Geschichte und Geografie hierher verschlagen – seine Frau ist Spanierin. Als Führer in Leon und Kastilien kann er seine Kenntnisse der spanischen Geschichte an Interessierte weiter geben. Denn hier gibt es viel zu erzählen – von Isabella der Katholischen, die Franco heiligsprechen lassen wollte. Von Philipp II., der Madrid zur Hauptstadt des Landes machte. Von der Inquisition, die noch bis ins Jahr 1857 als „Sittenpolizei“ tätig war. Vom Wollhandel, der die Gegend reich machte. Vom Adel, der auch in Pedraza die meisten Paläste inne hatte.
„Sauberes Blut“ war die Voraussetzung für die Erhebung in den Adelsstand, also keine jüdischen, muslimischen geschweige denn ketzerischen Ahnen. Noch heute tragen die Paläste stolz die Wappen ihrer Besitzer oder Erbauer. Ihre Privilegien nutzten die Herren ohne große Skrupel. Ein Adliger hatte sich einen ganz besonderen Logenplatz genehmigt und direkt an den Kirchturm einen Balkon bauen lassen, um bei den Stierkämpfen hautnah dabei zu sein.
In Kastilien brüten Gänsegeier in Felsenhöhlen
Die Sonne heizt die Städte auf, die wir uns anschauen, um noch mehr von der spanischen Geschichte zu erfahren. In Kirchen, Klöstern, in Palästen und Burgen. Kaum Schatten auf den Plätzen. Also lieber mal abtauchen ins kühle Nass – bei einer Kanufahrt auf den Hoces del Rio Duratón, einem tief eingeschnittenen Canyon. Scheinbar himmelhoch ragen die Felswände, durch die sich der Fluss gegraben hat.
Hoch über uns kreisen Riesenvögel, Gänsegeier. Sie brüten in den Nischen und Höhlen der Felsen. Kerry Harper, die 52-jährige braun gebrannte Kanu-Führerin aus Edinburgh, ist fasziniert von den großen Vögeln mit ihrer gigantischen Flügelspannweite. 800 Geierpaare leben inzwischen wieder in den Schluchten des Duratón, freut sich Kerry. Das sei die größte brütende Population in Spanien. Eigentlich ist Kerry Englischlehrerin. Aber ihre Liebe zur Natur brachte sie zum Kanufahren. Auch mit 52 Jahren hat sie bisher nicht genug. „Dazu macht mir der Sport zu viel Freude“, sagt sie. Nicht zu vergessen ihre Liebe zu den Geiern. In einer Nische ein paar Meter über unseren Köpfen füttert einer der mächtigen Vögel gerade sein Baby, ein winziges Federbällchen. Manolito haben die Kanuten es getauft. Der große Bruder ist schon fast ausgewachsen.
Wir paddeln auf dem grün schillernden Fluss, bewundern die Geier und bestaunen die Überreste des Klosters Nuestra Senora de los Angeles am Felsenrand. Im 13. Jahrhundert von Franziskanern gegründet, war das Kloster der lieben Frau von den Engeln eine Art Wallfahrtsort für Isabella die Katholische. Die Königin hatte im Kloster ihre eigenen Gemächer, wie Kerry weiß. Als das Kloster während eines Sturms einstürzte, sorgte sie für den Wiederaufbau. Doch 1835, als in Spanien die Klöster nach einem königlichen Dekret aufgelöst wurden, mussten die letzten Mönche auch dieses Kloster verlassen und es damit dem Verfall preisgeben. 2012 wurde die imposante Ruine zum Kulturgut erklärt.
Die Gegend um Segovia ist reich an Kulturgütern
An Kulturgütern ist diese Gegend nahe Segovia reich. Doch viele Ort wie Ayllon oder Cuellar wirken mit ihren Palästen, Kirchen und Burgen wie eine schöne Kulisse. Immerhin ist man auf Touristen eingestellt. In Sepulveda ist das Fremdenverkehrsamt in einem ehemaligen Kloster untergebracht, in Cuellar in der Burg. Die Altstadt mit den schönen Fachwerkhäusern ist menschenleer. Aber auf den Dächern, auf den Türmen und in Bäumen nisten Störche. Im Glockenturm haben sich gleich mehrere Storchenfamilien gemütlich eingerichtet. Reihenhäuser auf Storchenart. Zumindest die Störche haben keine Nachwuchssorgen.
Zurück in Pedraza staunen wir über die vielen Autos auf dem Parkplatz vor dem Städtchen und die Menge von Leuten, die sich die Straße hinauf ins Zentrum bewegt. Vor einem Fenster steht ein älterer Mann und befestigt Windlichter am Fenster seines Hauses. Ricardo Rodrigo Martín arbeitete beim spanischen Fernsehen und lebt in Madrid. Doch mindestens einmal im Jahr kommt der 71-Jährige in seine Heimatstadt zurück – zum Concerto de las Velas, wenn zwischen den mittelalterlichen Mauern alles elektrische Licht erlischt und nur Kerzen die engen Gassen erhellen. Wie fast alle Bewohner von Pedraza ist auch Martín Mitglied der Stiftung, die alljährlich die Konzerte vor der Burg organisiert.
Warum in Pedraza aus der Not ein Glück wurde
Die Idee dazu hatten die Menschen in Pedraza vor 30 Jahren, als die Orgel der Kirche San Juan de Batista repariert werden musste. Woher das Geld nehmen? Der Vorschlag, auf dem von Kerzen erleuchteten Platz vor der Burg ein Konzert zu veranstalten, setzte sich durch. Die Veranstaltung war so erfolgreich, dass sie im nächsten Jahr wiederholt wurde und im übernächsten – bis heute. Die Musiker kommen inzwischen aus ganz Europa. In diesem Jahr verzaubern die Virtuosen der Berliner Philharmonie die Zuschauer und der Solist Felipe Cohelo reißt sie geradezu zu Beifallsstürmen hin.
Das stille Städtchen, in dessen schweigenden Gassen wir uns am ersten Abend verloren hatten, ist nicht wieder zu erkennen. Pedraza summt und brummt, während an den Fenstern und in den Gassen die Kerzen flackern. Manche kunstvoll arrangiert zu Notenschlüsseln, Herzen, Geigen. Es ist eine magische Nacht in der kleinen Stadt, die gerade noch 350 ständige Einwohner hat. Doch an diesen Kerzen-Konzert-Abenden gewinnt Pedraza seine alte Herrlichkeit zurück.
Kurz informiert
Anreisen: Mit dem Flugzeug nach Madrid. Direktflüge ab Deutschland mit Lufthansa oder Iberia ab 169 Euro. Wer Kastilien näher erkunden möchte, sollte sich einen Mietwagen nehmen, z.B. Kleinwagen bei Sunny Cars für eine Woche ab 279 Euro.
Wohnen: In Pedraza das Hotel de la Villa, ein zentral gelegenes Boutique Hotel, DZ ab 109 Euro: Calle de la Calzada, Pedraza, http://el-de-la-villa.castile-leon-hotels.com/de/
Ebenfalls mitten im Ort gelegen ist die familiäre Posada de Don Mariano, DZ mit Frühstück ab 102 Euro: C/Mayor, 14, Pedraza, https://hoteldonmariano.com
Kanufahren: Für einen halben Tag im Duraton-Canyon zahlen Erwachsene 18 Euro, Kinder 10 Euro: www.bocanadaduraton.com
Essen & Trinken: Die Gegend ist berühmt für Spanferkel, z.B. im Restaurant El Figón de Ismael, C. Lope Tablada de Diego2, in Sepulveda, www.elfigondeismael.com
Informieren: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Reuterweg 51-53, 60323 Frankfurt, Tel. 069/725033, E-Mail: frankfurt@tourspain.es,
Spanisches Fremdenverkehrsamt München, Schubertstr. 10, 80336 München, Tel. 089/5307460, E-Mail: munich@tourspain.es www.spain.info, https://www.turismocastillayleon.com/en
Die Autorin recherchierte auf Einladung des Spanischen Fremdenverkehrsamtes.
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