Unterrichtsstunde im Wald, es steht Vokabeltraining an. „Ima bê kiè“ – was ist dein Name. „Mischka“ – lass uns gehen. Und „miamia“? Vor der Gruppe steht der 65-jährige Catato López und rattert Lernstoff herunter. Man solle gut aufpassen, am Ende nämlich werde es ein kleines Wissensquiz geben, sagt der Vorsteher und Medizinmann des kleinen Dorfes Watsi und lächelt dabei breit. Weil: Ums Auswendiglernen geht es natürlich nicht. Was López neben ein paar Worten seiner Sprache an diesem Tag vor allem vermitteln möchte, wie an allen Tagen, wenn ein kleiner Bus vor dem Dorf wieder eine Ladung Urlauber auswirft: etwas Wissen über Heilpflanzen, über die Jagd mit Giftpfeilen und Speeren, über die Herstellung von Kakao und damit eine Ahnung davon, wie das Leben seines Stammes hier an der Karibikküste von Costa Rica einst aussah – lange bevor die Touristen kamen.
2,5 Millionen waren es letztes Jahr, die ins mittelamerikanische Land reisten auf der Suche nach Faultieren, Brüllaffen und Pfeilgiftfröschen, nach Vulkanen und Tropenwald, und natürlich nach Sonne, Strand und Meer. Von all dem hat Costa Rica reichlich, etwa sechs Prozent der weltweiten Tier- und Pflanzenarten lassen sich hier finden, allein über hundert Fledermausarten, 27 Prozent der Landfläche stehen unter Naturschutz und selbst von den Meeren gibt es zwei. An der schmalsten Stelle sind es nur 100 Kilometer, die zwischen dem Pazifik und der Karibik liegen. Die meisten Touristen aber zieht es von der Mitte hin zu der einen Seite, der westlichen, wo die wilden Wellen des Pazifiks anbranden und die Sonnenstunden noch ein bisschen zahlreicher sind. Die Karibikküste? Wenn noch Zeit bleibt.
Der Nationalpark Tortuguero ist nur mit Boot zu erreichen - schon das die Reise wert
Zeit zum Beispiel für einen Abstecher in den kleinen Ort Tortuguero, wo man ab Juli Schildkröten bei der Eiablage beobachten kann und der nur mit dem Boot quer durch den gleichnamigen Nationalpark zu erreichen ist: vorbei an dösenden Krokodilen, links und rechts verschlingend-schönes Dschungelgrün. Schon das ist die Reise wert. Oder aber Zeit für ein paar entspannte Strandtage im Hippie- und Surferstädtchen Puerto Viejo: Baden, Bummeln, ab und an sollte man auch mal oben schauen, ob da im Baum nicht ein Faultier baumelt. Und Zeit für einen Besuch bei den Bribris, einer von acht indigenen Volksgruppen Costa Ricas.
Einst war die Gegend hier im Süden an der Grenze zu Panama am Rande der Talamanca-Bergen ein vom Rest des Landes isoliertes Gebiet. Dann kam die Eisenbahn, kamen die Kakaofarmer, die Bananenzüchter, die Viehzüchter, dann über eine erst Ende der 70er Jahre von der Hauptstadt aus gebaute Verbindungsstraße die Touristen. Heute gehört den Bribris, der größten indigenen Gemeinschaft, nur noch ein Teil und auch um den müssen sie kämpfen, wie einem später an diesem Tag im Kéköldi-Reservat auch Këswar Mayorga erzählen wird.
Nur Frauen können Land vererben, nur sie dürfen Kakao zubereiten
„Mischka“ – „lass uns gehen“. Jetzt führt einen Catato López erst einmal durch den Wald auf eine Art Lehrpfad. Hält den Besuchern zum Kosten Kakaofrüchte hin und freut sich über erstaunte Gesichter: Schmeckt ja wie Litschi. Der Kakao ist für die Bribris mehr als nur ein Baum, sondern auch Heiligtum. Ihrem Glauben nach ist die Pflanze weiblich, vermählt mit dem übermächtigen Gott Sibu. Ein Bribri darf weder einen Kakaobaum fällen, noch Holz davon verbrennen, aber dafür die Frucht nutzen – als Lebensmittel, als Medizin, gegen Moskitobisse, zur Reinigung als Getränk bei heiligen Zeremonien. „Kakao ist für uns das Blut des Baumes“, sagt Catato López. Die Zubereitung ist nur den Frauen erlaubt, die in den Clans von jeher eine wichtige Stellung einnehmen: Nur sie können das Land vererben. Lopez übergibt nun an seine Frau Virgilia Schuar Arias, die die getrockneten Bohnen röstet, malt und innerhalb weniger Minuten eine Paste erzeugt: Dünn aufgestrichen auf einer Banane wird sie zum Schokosnack, verdünnt mit Wasser zum heißen Kakaogetränk. Boi boi – gut!
60.000 Leguane hat die Familie aufgezogen und in Freiheit entlassen
Etwa 100.000 Menschen zählen sich in Costa Rica zur indigenen Bevölkerung, viele wohnen immer noch weitgehend abgeschottet in ihren Territorien, auch, um sich und ihre Kultur zu schützen. Mit der Folge jedoch, dass die Armut unter ihnen viel größer ist als im Rest des Landes. In Costa Rica leben etwa 20 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, bei den Bribris sind es laut einem Bericht der United Nations etwa siebzig Prozent. Auch deswegen versuchen immer mehr Clans den Mittelweg und laden nun diejenigen zu sich ein, die seit einigen Jahren viel Geld ins Land bringen: die Touristen. In einigen Reservaten können Reisende übernachten, sich durch den Regenwald führen lassen, Vögel beobachten, etwas über die Kultur lernen, die Sprache, die Geschichte. Oder über grüne Leguane wie bei der Familie Mayorga, die im Kéköldi-Reservat vor Jahren mit der Aufzucht begann. Iguanas, so der spanische Name, werden bis zu zwei Meter lang. Weil immer mehr Jagd auch auf die Weibchen gemacht wurde, nahm die Population ständig ab. „Wir jagen schon immer Iguanas, aber nur die Männchen. Als wir mit der Farm begannen, gab es kaum mehr welche in den Wäldern“, erzählt Këswar Mayorga, 31 Jahre alt. 60.000 Tiere habe sie hier mittlerweile aufgezogen und in die Freiheit entlassen, die meisten Käfige sind leer. „Wir haben unser Ziel erreicht. Wir wissen, das sind genug“.
Die Bribris „denken nicht in Geld, sondern in Nahrung“
Wie ist das Leben im Reservat? Këswar Mayorga sagt, es ist ein ständiger Kampf. „Ein Kampf um unsere Kultur, unsere Traditionen, unsere Philosophie, unsere Sprache. Die Welt ist, wie sie ist. Man muss sich anpassen. Aber gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, wer wir sind und woher wir kommen.“ Ein Beispiel, er zeigt aufs wuchernde Grün – „Für uns ist es nicht wichtig, dass wir einen flachen, grünen Garten haben, von dem man aus die Straße sehen kann. Uns gibt der Dschungel Sicherheit. Wir fühlen uns als Teil der Natur und durch sie geschützt.“ Deswegen bauen sie hier auf ihrer kleinen Farm auch nicht mehr an, nutzen nur so viel Land wie nötig, die Regierung aber würde das nicht verstehen. „Wir denken nicht in Geld, sondern in Nahrung.“
Rund 6000 Hektar umfasst das Kéköldi-Reservat, nur 50 Prozent seien aber tatsächlich im Besitz der Bribris. Der Rest wird von Nicht-Indigenen genutzt, als Farmland, als Bauland. Es ist ein seit Jahrzehnten ungelöstes Problem. Laut Gesetz von 1977 stehen den indigenen Stämmen etwa sieben Prozent der Landesfläche zu, ihr unveräußerliches Eigentum. Aber Teile des Landes waren schon damals bewohnt, die Regierung müsste die Besitzer entschädigen, andere Flächen wurden geraubt und gerodet. Dem Staat werfen die indigenen Stämme Hinhaltetaktik und ständige Verzögerung vor. „Die Regierung ist für uns wie ein kleiner Stein im Schuh, den man immer spürt“, sagt Këswar Mayorga. Ein ständiger kleiner Schmerz.
Vier der acht indigenen Stämme habe ihre Sprache verloren
Mit Sorge betrachtet er die Entwicklung an der Karibikküste: Der wachsende Tourismus bringe zwar Fortschritt, von dem auch die Bribris profitieren: Mayorga arbeitet als Tourguide, andere Dorfbewohner in Hotels oder Restaurants, für den Besuch der Leguan-Farm wird Eintritt verlangt. Und der Tourismus bringt Aufmerksamkeit für das Leben und die Anliegen der indigenen Gemeinschaft: Die Reisenden „hören die Stimmen der Natur und die von uns Menschen, die wir hier leben.“ Der Fortschritt sei jedoch ohne Kontrolle: „Es ist, wie wenn man eine Bierflasche schüttelt und öffnet“, umschreibt es Këswar Mayorga. Wenn er an den Strand fährt, entdeckt er immer häufiger gerodete Flächen, wo noch vor Kurzem ein Wald stand.
Wie sieht er die Zukunft der Bribris? Spricht in zwanzig Jahren noch jemand ihre Sprache? Vier der indigenen Stämme haben ihr Idiom bereits verloren, auch in den Schulen werden die indigenen Sprachen kaum unterrichtet. Es fehlt vor allem an Lehrerinnen und Lehrern. Këswar Mayorga, der einen kleinen Sohn hat, sagt, es sei an ihm, dass es nicht dazu kommt. So wie einst seine Tante gibt er am Wochenende kostenlosen Sprachunterricht im Reservat für alle Kinder, hier auf der Veranda seines Holzhauses.
In Watsi versucht Catato López den Besuchern zumindest ein paar Brocken mit auf den Weg nach Hause zu geben. Alle aufgepasst? López fragt ab. Mischka? . „Ima bê kiè“, „miamia“. Was hat das noch einmal bedeutet? „Danke.“
Anreise Viele Fluggesellschaften bieten Verbindungen nach San José mit einem Zwischenstopp an. Von Frankfurt aus kann direkt mit Lufthansa fliegen.
Reiseveranstalter: Costa Rica als eines auf Ökotourismus spezialisierten und begehrten Reiseziele Mittelamerikas findet sich in den Programmen vieler Reiseveranstalter. Bei Meiers Weltreisen zum Beispiel kann man eine zwölftägige Autorundreise „Aktiv & Relax“ ab San José buchen: Inklusive elf Übernachtungen im Doppelzimmer und diversen Mahlzeiten, kostet die Reise pro Person ab 1809 Euro, inklusive Flug und Mietwagen ab 3599 Euro pro Person. Mehr unter: www.meiers-weltreisen.de
Aktivitäten: Der grüne Ara ist vom Aussterben bedroht und wurde durch die Initiative Ara Manzanillo wieder erfolgreich in die Tropenwälder Costa Ricas eingeführt. Die Tour bei Punta Uva führt zu einem Aussichtspunkt mit spektakulärem Ausblick auf den Wald und das Meer. Von einer Plattform kann man die Papageien und viele weitere Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten.
Weitere Informationen: Costa Rica Tourism Board.
Die Autorin recherchierte auf Einladung von Meiers Weltreisen und dem Costa Rica Tourism Board.
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