Zügig durchmisst Conolly McCausland den Park von Drenagh. „Ich konnte einfach nicht aufhören, Rasen zu mähen", erklärt er seine Verspätung. Mit Grasflecken auf der Jeans, achtlos übergeworfener Jacke und schalkhaftem Lächeln entspricht der Sechzigjährige nur bedingt dem Bild eines Herrn über ein Schloss mit hundert Zimmern und 400 Hektar Land, darunter ein zwölf Hektar großer Park, der ihm viele meditative Stunden auf dem Rasentraktor beschert. Vor zwei Jahren begann er mit der Restaurierung der Gärten, die ihn vermutlich den Rest seines Lebens beschäftigen wird. Der ummauerte Garten, in dem einst Obst und Gemüse für die Küche sowie Blumen für die Tafel gediehen, war seit dem Zweiten Weltkrieg langsam verfallen; Vandalismus versetzte ihm in den siebziger Jahren den Todesstoß. Heute besitzt er akkurate Grünflächen und ein Pavillon für Hochzeitsfeiern. Der italienische und der englische Garten, der überwucherte Sumpfgarten, das Koniferen-Arboretum, ein Wald und das Flusstal benötigen ständige Aufmerksamkeit. Die meisten Teile der Anlage entstanden zwischen 1830 und 1840, einige sind deutlich älter. Seit dem 16. Jahrhundert sind die McCauslands zwischen dem Fluss Roe und dem Hügel Binevenagh im County Derry ansässig. Das erste Haus der Familie, Fruithill, wurde um 1640 erbaut; 1836 wurde es durch das heutige ersetzt. „Meine Vorfahren fanden das erste Haus nicht großartig genug", erzählt McCausland vergnügt. Den größten Teil seines Lebens hat er in dem georgianischen Prachtbau verbracht. „Es war unglaublich, hier aufzuwachsen. Als Kind war ich ganze Tage mit meinem Hund im Park, bis mich das Läuten einer Glocke ins Haus rief." Heute vermietet der studierte Forst- und Betriebswirt das Schloss an Hochzeitsgesellschaften und konzentriert sich auf seine große Leidenschaft: Bäume. Uralte Koniferen, mächtige Laubbäume, unter denen im Frühsommer Hunderte von Glockenblumen blühen, Kaschmir-Zypressen, riesige Rhododendren, das Rauschen des Flusses im Tal und nicht zuletzt die Feuchtigkeitsschleier eines nordirischen Herbsttags verleihen dem Anwesen nahezu unwirkliche Schönheit.
Gut, wenn die Vorfahren vorteilhaft heiraten
„Meine Vorfahren haben vorteilhaft geheiratet", erklärt McCausland, Vater von vier Töchtern, den Weg zum Großgrundbesitz. „Der erste heiratete die Nachbarin Elizabeth Gage, die 180.000 Hektar Land in die Ehe mitbrachte." Ihr älterer Sohn ehelichte wiederum eine Erbin. „Auch mein Großvater heiratete eine sehr reiche Frau, aber aus Liebe." Im „Heather House" im Park, dessen Restaurierung noch bevorsteht, hielt der Großvater um die Hand der Großmutter an, der Butler stand mit dem Teegeschirr daneben. Szenen pastoralen Glücks prägten indes nicht immer das Leben in Drenagh. Eine der Landreformen zur Besänftigung der aufgebrachten irischen Bevölkerung durch eine gerechtere Verteilung des Landes, das sich ganz überwiegend im Besitz weniger englischstämmiger Familien befand, verkleinerte den Besitz 1902 um 75 Prozent.
Auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts waren die Geschicke der McCauslands eng mit der unruhigen Geschichte Nordirlands verbunden. Conollys Großvater konvertierte nach seinen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg zum Katholizismus, was ihn aufgrund einer Verfügung seines Vaters sein Erbe kostete. Conollys Vater, den die Regelung nicht betraf, wurde 1972 von der IRA erschossen.
Seit jeher gehörten die großen Anwesen Nordirlands Mitgliedern der englischen Oberschicht, die die Krone seit dem 16. Jahrhundert dabei unterstützten, die Nachbarinsel zu besiedeln und ihre Bevölkerung in Schach zu halten. Das zwanzig
Kilometer von Belfast gelegene Hillsborough Castle war über Generationen die Heimat der Familie Hill. Fünf Jahre nach der Teilung Irlands Ende 1920 verkauften sie es an die englische Regierung. Fortan war es Residenz der Gouverneure, später der Minister für Nordirland sowie offizielle Residenz des Monarchen. Hier kämpfte Charles III. Tage nach dem Tod seiner Mutter mit einem
klecksenden Füller und fluchte vernehmlich über „the bloody thing". Schloss und Gärten werden seit 2014 von der Stiftung Historic Royal Palaces verwaltet. Entsprechend der Vorlieben Charles III., der bereits als Thronfolger die Entwicklung der Gärten überwachte, sind die Grünflächen heute nicht nur üppig, sondern auch von hoher Biodiversität.
Der Golfstrom macht den irischen Gärtnern das Leben leicht
Das Klima macht Gärtnern das Leben trotz eines oftmals brutalen Winds leicht. Denn der Golfstrom streichelt die Nordostküste und lässt sogar exotische Pflanzen prächtig gedeihen. Im Garten von Mount Stewart auf der Halbinsel Ards lässt sie ein besonders mildes Mikroklima buchstäblich gen Himmel schießen. Alles hier ist überdimensional: mannshohe Farne; die zu Hirschen und einer Irischen Harfe geformten Eibenhecken; Akazien, Riesenmammutbäume und die aus der südlichen Hemisphäre stammenden Keulenlilien. Edith Vane-Tempest-Stewart, Marquise von Londonderry, schuf die märchenhafte Landschaft in den 1920er Jahren. Heute ist Mount Stewart ein Besuchermagnet im Besitz des National Trust; nur ein Teil des Hauses wird noch von der Familie bewohnt. Es ist nicht leicht, Besitz über Jahrhunderte zu bewahren, und mancher Familie gingen schließlich Geld oder Nachwuchs aus. Maureen Bell, die 1999 verstorbene letzte der auf Killeavy Castle residierenden Bells, lebte zuletzt in einem Wohnwagen gegenüber des verfallenden Schlosses ihrer Ahnen. Der Sohn von Auswanderern aus dem Dorf, der in Australien als Bauunternehmer wohlhabend wurde, erwarb das Anwesen und eröffnete 2019 ein Schlosshotel. Auch Hazel Marion Radclyffe Dolling war die letzte ihres Clans, die den bei Cookstown gelegenen Familiensitz Lissan House bewohnte. Seit 1620 war die Familie Staples hier heimisch; somit ist es das am längsten von einer einzigen Familie bewohnte Haus auf der irischen Insel. Hazel wurde 1923 als Tochter von Robert Staples, dem 13. Baron von Lissan und Faughanvale geboren, und pflegte als Assistentin des Zahlmeisters auf der Transatlantik-Route der Cunard-Schiffe enge Kontakte zur Hautevolee der Zeit. Nach dem Tod des Vaters kehrte sie 1970 in ihr Elternhaus zurück, das der vierte Baron dank seiner Ehe mit einer Erbin 1650 erbaut hatte. Sodann heiratete sie den dreißig Jahre älteren Gutsverwalter des Vaters, der ihr indes weder Vermögen noch Erben schenkte. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2006 lebte sie ohne Elektrizität in Lissan House und hinterließ es mitsamt Inhalt und Land der Stiftung „Friends of Lissan", die es heute für Hochzeiten und Führungen öffnet.
„Es bräche mir das Herz, würde das alles hier ein Golfplatz ", hatte Hazel erklärt und noch versucht, bei der BBC-Fernsehsendung „Restoration" den mit drei Millionen Pfund dotierten Preis für die Sanierung eines historischen Baus zu gewinnen. Doch Lissan House landete auf dem zweiten Platz. „Jeder Penny, den wir einnehmen, geht für Versicherung und Instandhaltung drauf",
sagt Sharon Loughran, Vorstandsmitglied der Stiftung. Einen formellen Garten besitzt Lissan nicht, nur von Kamelien und chilenischen Araukarien gerahmte Rasenflächen und den ebenfalls vom vierten Baron errichteten ummauerten Garten.
Ehrenamtliche Helfer führen Gäste durch das mit Möbeln und Porträts vieler Generationen gefüllte Haus. Einige der Bilder sind Kopien von jenen des exzentrischen zwölften Barons und Künstlers Sir Robert Staples, der niemals Schuhe trug und mit Oscar Wilde und Edward VII. Umgang pflegte. Die Originale hängen in Museen.
In der ersten Etage fällt Putz von den Wänden, in einem Zimmer türmen sich Besitzstücke, die noch keinen Platz gefunden haben. In Kittys Ballsaal, der um 1830 für die Gattin des neunten Barons angebaut wurde, zeugen einzelne Stellen im Muster der 200 Jahre alten, handbemalten chinesischen Tapete von Hazels Versuchen, Schäden selbst zu reparieren. Das wie ein Puzzle ohne Nägel oder Schrauben aus nummerierten Dielen zusammengesteckte Parkett erinnert an Kittys sorglose Tanzabende. Sie und ihr Mann blieben kinderlos. Die Aufteilung ihres Erbes an den als „Naughty Nat" in Erinnerungen gebliebenen zehnten Baron, eine weitere Verwandte und ein Patenkind läutete den finanziellen Niedergang der Familie ein.
Tipps für Nordirland
Anreise: z.B. mit KLM von diversen Flughäfen über Amsterdam nach Belfast oder mit Air Lingus nonstop nach Dublin, von dort per Bus in zwei Stunden nach Belfast. Für die Einreise ins Vereinigte Königreich ist ein Reisepass erforderlich.
Schlafen: Wer feudal und ländlich nächtigen möchte, ist im Killeavy Castle Estate bei Newry im County Armagh richtig. Zum Hotel gehören außerdem nur komplett zu mietende Schlösschen (vier Schlafzimmer, Bibliothek, Kamin- und Esszimmer) ein Spa mit Pool, ein ummauerter Garten und knapp 150 Hektar Wald und Bio-Landwirtschaft. Die Erzeugnisse von Rind bis Radieschen finden im
Restaurant des Hauses Verwendung. Das DZ mit Frühstück kostet hier ab 225 britische Pfund. Im Torhaus befindet sich eine Ferienwohnung für sechs Personen. Näheres unter Tel. 0044/ 28 30 44 48 88 und www.killeavycastle.com Ein schönes Stadthotel innerhalb der Stadtmauern von Derry mit atmosphärischer Wig and Gown Champagne Bar ist das Bishop's Gate Hotel. DZ ab 150 Pfund .
Die Gärten: Drenagh Gardens: Täglich 9-16 Uhr geöffnet. Limavady, County Derry, https://drenagh.com ;Hillsborough Castle and Gardens: Gärten Mi-So, Schloss Sa/So geöffnet. Kurzfristige Schließung bei königlichem Besuch: www.hrp.org.uk/hillsborough-castle.; Mount Stewart: Garten April bis Oktober tgl. 10-17 Uhr, im Winter 10-16 Uhr. Glenarm Castle and Garden: Täglich 10-17 Uhr geöffnet.www.nationaltrust.org.uk/visit/northern-ireland/mount-stewart; Lissan House: Garten und Park sind täglich von 9 Uhr bis zur Dämmerung geöffnet; für Führungen durchs Haus muss man sich anmelden: www.lissanhouse.com
Lektüre: Von der Autorin dieses Artikels ist im Picus Verlag die Reportagensammlung „Gärten, Geister und Giganten: Lesereise Nordirland" erschienen (132 Seiten, 16 Euro).
Allgemeine Auskünfte: Irland Information, www.discovernorthernireland.com/gardens und www.ireland.com
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