Wanderführerin Michelle Hughes pflückt ein Schilfrohr vom Rand des Weges und beginnt, es kunstvoll zu knicken. Aus solchen robusten Gräsern stellen die Menschen im ländlichen Irland seit vielen Jahrhunderten sogenannte Saint Brigid‘s-Kreuze her, erklärt sie, „weil wir daran glauben, dass es böse Geister von unseren Häusern fernhält.“ Hughes steht auf einem Wanderweg im Nordwesten Irlands, ein paar Meter entfernt grast eine Herde Bergschafe. Hughes, kurze graue Haare, herausfordernder Blick, Multifunktionsklamotten, kommt nicht rüber wie eine, die Angst vor bösen Geistern hat, aber: „Bei mir zu Hause hängt auch ein Saint Brigid‘s-Kreuz über der Tür.“
Schon wenige Schritte weiter eröffnet sich die unendliche Weite des Atlantischen Ozeans, die Wolkendecke bricht auf und taucht die Mooswiesen an der Küste in goldenes Licht. Wind, Wasser und Meersalz haben die Küstenlinie Donegals zerfurcht und steile Klippen hinterlassen. 600 Meter fallen die Klippen Slieve League (gälische Schreibweise Sliabh Liag) im Südwesten der Grafschaft hinab. Sie gehören damit zu den höchsten Meeresklippen Europas. Ein Ort, der jeden noch so nüchtern-weltlichen Menschen an Übernatürliches denken lässt.
Der Wild Atlantic Way schlängelt sich die ganze Westküste Irlands entlang
Auf dem Wild Atlantic Way, der 2.500 Kilometer langen Küstenstraße an der Westküste Irlands, reihen sich viele solcher atemberaubender Ausblicke aneinander. Ein paar Worte zur Route: Die Küstenstraße beginnt in Kinsale, einige Kilometer südlich von Cork und schlängelt sich dann die Westküste Irlands entlang bis zum nördlichsten Punkt der Insel, Malin Head. Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Auf der ganzen Insel gibt es kaum ein Stück Küste, das gerade verläuft.
Klippen, Buchten, Halbinseln, Flussbetten, auf der einen Seite grüne Landschaften, auf der anderen Seite die Weite des Atlantischen Ozeans. Auf kurvigen Straßen, Wanderwegen und Trampelpfaden weist im Schnitt alle 300 Meter ein kleines Symbol, die weiß-gezackte Welle auf blauem Hintergrund, die das Akronym „WAW“ für „Wild Atlantic Way“ bildet, auf die Panoramastraße hin.
Der Wild Atlantic Way führt dabei durch viele irische Grafschaften und an berühmten Sehenswürdigkeiten vorbei. Ring of Kerry, Cliffs of Morher, Skellig Michael – viele der touristischen Orte im Südwesten Irlands sind allerdings längst keine Geheimtipps mehr. Fern des Trubels bietet die Grafschaft Donegal im Nordwesten Irlands Ruhe und schier unendliche Weite. Die Natur ist dabei nicht minder eindrucksvoll und auf die Gastfreundschaft der Iren ist auch im rauen Norden Verlass.
Die Steilküste bei Slieve League gehört zu den höchsten Meeresklippen Europas
Bei der Teilung Irlands im Jahr 1921 wurde Donegal geografisch gewissermaßen von der restlichen Republik getrennt. Wer von Dublin aus Richtung Donegal fährt, durchquert für kurze Zeit Nordirland. Donegal ist landwirtschaftlich geprägt und dünn besiedelt, die Landschaft eignet sich nicht für Massentourismus, sagt Guide Hughes, die Straßen seien für nicht-irische Autofahrer abenteuerlustig, an Reisebusse sei gar nicht zu denken.
Auf der Wanderung bei den Klippen von Slieve League trifft man deshalb mehr Bergschafe als andere Menschen. Die schottischen Schafe, die man an ihren schwarzen Köpfen erkennt, fühlen sich in der bergigen Landschaft wohl und begleiten die Wanderung durch eine immer dramatischer werdende Kulisse. Hughes erklärt, dass die Tiere ganzjährig hier auf den Wiesen leben und ihren Rhythmus an die Witterung im rauen Nordwesten Irlands angepasst haben. Junge bekommen sie demnach später als üblich erst im Frühsommer.
Nach einem Aussichtspunkt mit Kaffeestand wird der Weg etwas anspruchsvollerer. Die Rundwanderung ist ungefähr neun Kilometer lang, man sollte etwa vier Stunden Zeit einplanen. Ein schmaler Grat, der „One Man’s Path“, windet sich zum höchsten Punkt der Slieve League. Die Wege führen nah an der Abbruchkante des Steilufers entlang, für die knackigen Streckenabschnitte wird man mit unvergleichlichem Panorama belohnt. Der Atlantik liegt satt blau weit unter den Wanderern. Vom Westen her kann es kräftig wehen, der Wind kracht hier schließlich ungebremst auf die Steilküste. Bergab führt ein gemächlicher Pilgerpfad durch malerische Landschaften, am Wegesrand der blüht der Fingerhut.
Mythen und Legenden an jeder Ecke
Im nahegelegenen „Glencolmcill Folk Village“ reist man in die bäuerliche Vergangenheit des Countys zurück. In dem Freilichtmuseum sind mehrere, traditionell mit Stroh bedeckte Cottages eingerichtet, wie es in den vergangenen 300 Jahren in der Gegend üblich war. Über den Kaminen hängen auch hier Saint Brigid‘s-Kreuze. Das Kreuz ist eines der wichtigsten Symbole des Landes, sagt auch Tourguide David Fuller. Viele Familien in Donegal hängen am Vorabend des Saint Brigid‘s Day, der am ersten Februar gefeiert wird, ein Kreuz aus Stroh über der Haustür auf. Die geflochtenen Schilfkreuze sollen ursprünglich Feuer und Hunger aus den Häusern fernhalten.
Folklore und Mythen spielen auf der grünen Insel eine wichtige Rolle. Die Irinnen und Iren sind größtenteils meisterhafte Geschichtenerzähler und teilen sie für gewöhnlich gerne mit den Touristen, die sich für ihre Heimat interessieren.
Nach einigen Stunden an der frischen Luft schmecken das Pint Guinness oder der Irish Coffee in einem der Pubs entlang der Route besonders gut. Übrigens: Der Irish Coffee wird nach irischem Brauch nicht umgerührt. Den warmen Kaffee und den wärmenden Whiskey trinkt man durch die kalte Sahne hindurch.
Bei einer Fahrt durch den Glenveagh Nationalpark entfaltet sich die Bandbreite der irischen Natur vor den eigenen Augen. Mehrere Hektar Moorlandschaft, über die geradlinigen Kanten der Torfstecher vergangener Tage ist eine dünne Moosschicht gewachsen. Dann erhebt sich der beeindruckende Mount Errigal, Donegals höchster Berg, aus der kargen Landschaft. Inmitten des Parks in einem Gletschertal liegt ruhig der Lough Veagh und auf einer Felsenklippe am Ufer das Glenveagh Castle, ein 1870 errichtetes Schlösschen aus grob behauenen Granitblöcken mit hübschen Türmchen und Zinnen.
Beim Alpaka-Spaziergang auf Filmkulissen schauen
Die Reise auf dem Wild Atlantic Way geht weiter Richtung Norden, zu einem der zahlreichen Leuchttürme entlang der Panoramastraße. Auf die Plattform des Fanad Lighthouse führen 76 Stufen. Bei einer Führung lernt man viel über das Leben der Leuchtturmwärter, vom Erstellen der Wetterberichte bis zum Bestücken der Leuchtturm-Bücherschränke.
Dann den Lough Swilly mit der Fähre überqueren von Rathmullan nach Buncrana, nördlich den Wild Atlantic Way weiter nach Ballyliffin, wo in Nancy‘s Barn ein fantastischer Seafood Chowder gekocht wird – selbst proklamiert der beste der Welt. Von der cremigen, kräftigen Fischsuppe gestärkt lässt sich der nördlichste Abschnitt des Wild Atlantic Way, der hier die Halbinsel Inishowen umrundet, auf eine ganz besondere Weise erkunden.
Die Alpaka-Herde von John McGonegal ist hier am Malin Head zu Hause. Auf einem windzerzausten Spaziergang durch die Heidelandschaft am nördlichsten Punkt Irlands zeigen die flauschigen Tiere ihre Persönlichkeit, stehen gerne an den besten Foto-Spots Modell. Von McGonegals Land aus bietet sich ein wirklich großartiger Blick auf den nahen Five Fingers-Strand mit seinen Dünen und über die Trawbrega-Bucht bis auf die Isle of Doagh.
Wer hier auf der Halbinsel Inishowen ist, sollte sich einen weiteren magischen Ort nicht entgehen lassen. Die Landzunge Malin Head diente der neuen Star Wars-Trilogie als dramatische Kulisse. Die Felsformationen in diesem besonders wilden Küstenabschnitt tragen bezeichnende Namen wie Hell‘s Hole und Devil‘s Bridge.
Am Wegesrand stehen Steinmännchen. Was früher als Wegzeichen der Orientierung in Wanderregionen galt, ist heutzutage vor allem ein Fotomotiv für Touristen - und damit ein Dorn im Auge der Einheimischen. Wander-Führerin Hughes schleudert die kunstvoll aufeinandergestapelten Steine in alle Himmelsrichtungen. „Die Leute wollen selbst diesem magischen Ort ihren Stempel aufdrücken. Das ist nicht angebracht. Das ist ein Ort, an dem der Mensch Demut gegenüber der Natur zeigen sollte“, sagt sie und wendet sich der ungestümen See entgegen.
Infos, Tipps, Praktisches:
Anreise: Für die Reise nach Donegal empfiehlt sich ein Flug nach Dublin oder Belfast (Nordirland). Reiseveranstalter und Fluggesellschaften bieten günstige Fly&Drive-Angebote an. In Donegal gibt es auch einen Regionalflughafen Nahe Carrickfinn. Es lohnt sich auch, nach direkten Fährverbindungen über Großbritannien oder Frankreich zu schauen. Der nächstgelegene Bahnhof ist in Derry (Londonderry) in Nordirland.
Klima: Bedingt durch den Golfstrom herrscht das ganze Jahr hindurch ein mildes, ausgeglichenes Klima. Die Temperaturen steigen selten unter 0 oder über 25 Grad, Schnee und Frost kennt man auf der grünen Insel kaum.
Beste Reisezeit: April bis Oktober, wobei es im Juli und August häufiger regnen kann. Regenfeste Kleidung lohnt sich.
Aktivitäten: Die grüne Insel eignet sich ideal für Aktivurlaub. Wandern, Rad fahren, golfen (irlandweit über 400 Plätze), angeln, reiten und Bootsurlaub gehören zu den beliebtesten Aktivitäten in Irland. Außerdem lohnt sich ein Besuch für Liebhaber von Gärten, die wegen ihrer üppigen und exotischen Flora sehenswert sind.
Die Autorin recherierte auf Einladung von tourismireland.com.
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