Vom Fahrradsattel aus gesehen, ist man immer nah dran: nicht nur an den Blechlawinen von Rom, sondern auch an den wunderbaren Palazzi, den maroden Häusern in den engen Gassen ebenso wie an verführerischen Eisdielen. Einfach mal halten: kein Problem! Denn schon nach den ersten Metern mutiere ich vom ordentlichen deutschen Fahrradfahrer Meter um Meter und Straße um Straße zu etwas, dass es eigentlich gar nicht gibt: zu einem römischen Fahrradfahrer. Rechtsabbiegespuren werden zum fast Track der Geradeausfahrer. Und Radler, die sich brav in die Geradeausspur einreihen, fühlen sich schnell wie in einem Bienenschwarm aus Autos. Überall brummt es und im Hirn summt es … Schnell wird klar: Rom ist Weltkultur, hat 900 Kirchen und 13 Obelisken, aber schlechte Straßen. Immer wieder Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster, aber: Die Autofahrer sehen dich und sie umkurven dich. Elegant und gekonnt! Da ist nichts Eigensinniges wie auf unseren Straßen und: Die Römer können sehr gut Auto fahren.
In Rom werden aus zwei Fahrbahnen drei gemacht
Als Fahrradfahrer mogelt man sich an der roten Ampel meistens ganz nach vorne in die erste Reihe. Im Rom ist das anders: Erstens gibt es keinen Platz zum Durchmogeln, weil aus zwei Fahrbahnen drei gemacht werden und aus drei gerne auch mal vier, aber auch weil die erste Reihe stets besetzt ist. Für zehn bis zwölf Motorräder ist Platz, große und kleine, Scooter und Roller. Die Moto Guzzi, Vespa, Aprilia und andere reihen sich dann auf wie zum Massenstart. Und wenn es grün wird, heulen die Motoren, als sei die einfache Via eine Rennstrecke.
Ich suchte mir den Sonntag aus. Sonntags ist der Verkehr in Rom wie in München an einem geschäftigen Freitagnachmittag – für römische Verhältnisse also relativ ruhig. In der Drei-Millionen-Stadt ohne Radlwege treffe ich an diesem Sonntag auf acht Fahrradfahrer, Lieferdienste und die Radler am Tiber-Ufer nicht mitgerechnet.
Am Tiber geht es wunderbar mit dem Rad entlang
Ohne Radlwege stimmt allerdings nicht ganz: Der Fahrradweg entlang des Tibers ist wunderbar und die Strecke von der Tiberinsel bis zur Engelsburg kann man auf jeden Fall als einen Genusstripp empfehlen. Wer aber zwischendurch Abstecher in die Stadt machen will, der muss seinen Drahtesel schweißtreibend vom Flussbett über steile Treppen nach oben schleppen. Über rund 50 Stufen, ohne Lift, das sollte man schon wissen … Die anderen Fahrradwege, meist Pop-ups, während der Pandemie entstanden, sind inzwischen kaum noch auszumachen: Meist ist die Markierungsfarbe von den Autos bereits weggefahren worden …
Berichte, wonach die Römer während der Pandemie Hundert Kilometer Radwege gebaut oder wenigstens markiert haben sollen, können nicht stimmen. Die wenigen Fahrradfahrer, die ich treffe, sagen unisono: „No, no, no! Die haben nichts gemacht für uns! Ich kenne keine neuen Fahrradwege und ich fahre jeden Tag quer durch Rom. Ich fühle mich wie vor Covid, wie ein Exot mit meinem Fahrrad“, sagt Cristina, 25, Assistentin, ausgerechnet in einer Filiale von Fiat. Es ist Sonntag, ihr Freund ist dabei. „Zum Spaß Fahrrad fahren ist ok, aber als Verkehrsmittel ist ein Rad einfach nicht cool. Ich fahre zur Arbeit mit der Vespa“, erklärt Flavio stolz. „Du musst wissen, wir Römer lieben unsere Vespa …“ Auch als Sportgerät sei das Fahrrad etwas anders, sagt Flavio weiter: „Mit Rennrädern in der Gruppe auf der Landstraße Speed machen: Ja, das ist cool!“
Eine gemütliche Runde am Circus Maximus
Flavio war an diesem Tag der einzige Mann auf einem Fahrrad, von den Lieferdiensten und den anderen Radlern am Tiber-Ufer erneut abgesehen. Auch ich finde nur eine rot markierte Fahrradbahn im Zentrum von Rom: Sie führt vom Tiber zum Circus Maximus, wo einst die Wagenrennen vor mehr als 100.000 Besuchern stattfanden. Heute drehe ich dort gemütlich eine Runde auf Schotter, fahre weiter übers Kolosseum zum Vittoriano, dem Nationaldenkmal in Rom: Die mickrige Fahrradspur dort wird aber weitgehend von den Massen der Fußgänger beansprucht.
Infos zur Rom-Radeltour
Preise: Fahrrad 13 €, E-Bike 25 €, jeweils pro Tag: bicibaci.com oder easybikerent.it
Restaurant: Im Ineo führt der deutschsprachige Chef Heros de Agostinis von Rom nach Indien, von den Abruzzen nach Syrien, von Sizilien nach Peru, 7 Gänge für 140 €, anantara.com/palazzonaiadi
Unterkunft: Anantara-Hotel Palazzo Naiadi, moderner Luxus in einem Palast auf einer Weltkulturerbestätte, Golf-Cart-, Vespa- und Oldtimer-Touren mit einem Fiat 500, DZ ab 350 €, anantara.com/palazzonaiadi
Weitere Auskünfte: turismoroma.it
Auch Franca fuhr rund 50 Jahre mit dem Fahrrad. Immer von daheim zum Campo de Fiori und zurück. Ihr dortiger Marktstand ist ihr zweites Zuhause: „Ich bin jetzt 88 Jahre alt, da geht das mit dem Fahrrad nicht mehr so gut. Schade …“ Jetzt fährt sie U-Bahn. Doch auch deren Ausbau geht nur zäh voran. Kein Wunder: In Rom wurden Autos und Scooter immer bevorzugt, auch weil Rom eine Stadt auf der antiken Stadt ist. Wird irgendwo gegraben, stößt man schnell auf das antike Rom. Dann müssen erst die Archäologen kommen, Ausgrabungen finden statt und der U-Bahn-Bau dauert auf einmal doppelt oder dreifach so lange wie geplant. Franca lässt mich verschiedene Oliven und einen alten Balsamico probieren, ich kaufe etwas Obst und mache mich wieder auf ins Einbahnstraßengewirr von Rom. Das kann zuweilen müde machen, weil man schnell mal vom Weg abkommt.
Also befahre ich auch Fußgängerzonen und Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung. Ich bin ja schließlich etwas, das es eigentlich gar nicht gibt. Ein Fahrzeug der Carabinieri kommt mir entgegen. Doch ich habe das Gefühl, ich werde mehr als ignoriert. Die Augen hinter den schwarzen Sonnenbrillen interessieren sich nicht im geringsten für einen Fahrradfahrer, der mitten in Rom, gegen die Verkehrsregeln verstößt. Für die Schwarzhosen mit ihren eleganten roten Nahtstreifen ist der Straßenverkehr ja sowieso eher unwürdig, denn eigentlich gehört man als Carabinieri dem Militär an. In den Kriegen waren sie hinter den heimischen Reihen und passten auf, dass niemand desertierte. Da interessiert doch kein Fahrradfahrer! Er wird ja, wie gesagt, nicht mal wahrgenommen. Aber auch die Stadtpolizei stört sich nicht daran, dass ich mir meinen Weg zur Spanischen Treppe im Gewühl der Fußgängerzone bahne. Radler gibt’s halt einfach nicht.
Die Politesse schickt mich in die falsche Richtung
Schließlich mache ich das römische Meisterstück und frage eine hübsche römische Politesse nach dem Weg zur Piazza Navona. Das sei ein wenig kompliziert, meint sie zunächst. Dann zeigt sie in die Einbahnstraße hinter ihr: „Fahren Sie am besten durch diese Straße. Das ist am einfachsten!“ Sie deutet wohlgemerkt gegen die Fahrtrichtung und wünscht noch „Una buona Giornata“. Abermals keinerlei Reaktionen: Niemand hupt, keiner schimpft. Dabei können die Römer schimpfen wie die Rohrspatzen!
Roms Zentrum ist übersichtlich, eigentlich recht klein und weitgehend flach. Die berühmten sieben Hügel markierten schon zu Caesars Zeiten die Stadtgrenzen. Und als Fahrradfahrer parkt man selbstredend direkt vor dem Petersdom, am Pantheon oder Kolosseum. Ein paar Tage später erzähle ich dem Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt, von all dem und meiner Erfahrung in seiner Stadt. Er dreht sich ungläubig zu mir nach hinten um, schaut mich genau an und sagt: „Wahnsinn! Und Sie leben noch!“