Es ist kalt geworden in Taschkent. Von den Pappeln fallen die Blätter in Massen. Ein paar Frauen in Anorak und Kopftuch versuchen, die riesige Hauptstraße mit Reisigbesen vom Laub zu befreien. Ein harter Job, in Taschkent ist die legendäre Seidenstraße achtspurig. Die Seidenstraße! Da schwingt etwas von 1001 Nacht mit. Seide, Gewürze, Kamele … Natürlich sind die Karawanen längst Geschichte und der Verkehr verrückt. Gut also, dass man die Seidenstraße auch mit dem Schnellzug bereisen kann. Bis zu 300 Stundenkilometer schnell geht es mit dem windschnittigen Afrosiyob von Taschkent nach Samarkand und Buchara. Eine Reise zu blauen Kuppeln und Erkenntnissen, woher unser heutiges Wissen seinen Ursprung hat. Mit an Bord: Gerhard Birkl aus Neufahrn, der eine Woche lang stets mit Trachtenhut, einem bayerischen Krawattl und Lederjacke unterwegs sein wird. Sein klassisches Usbekistan-Outfit. Gerhard, ein überzeugter Bayer, der sein Herz an das zentralasiatische Land verloren hat. Eigentlich ist er Verkäufer bei Apple, aber in Usbekistan war er bereits Wahlbeobachter, hat mit einer Blaskapelle aus Ingolstadt bei einem Musikfestival teilgenommen und er betreibt seit Jahren eine Usbekistan-Fotogalerie. Dieses Mal hat er eine besondere Mission. Er will altes Wissen nach Usbekistan bringen. Im Gepäck deutsche Klassiker. Jeder Titel abgesprochen mit der usbekischen Botschaft in Berlin. Dazu aber später.
Taschkent – Samarkand, eineinhalb Stunden Fahrzeit: Wer nach Usbekistan reist, hofft auf blaue Wunder. In Samarkand gibt es jede Menge Orte für das blaue Staunen: Das Amir-Timur-Mausoleum, die Gräberstadt Schah-i-Sinda, blau, blauer, am blauesten. Diese Fliesen! Mit Blumenmustern, reliefartig eingeschnitten, grafisch angeordnet in allen erdenklichen Blautönen. Man kann nicht sagen, dass zur damaligen Timuriden-Zeit klein gedacht wurde. Die Bibi-Chanin-Moschee aus dem 14. Jahrhundert war einst beeindruckende 67 Meter hoch. Kriegsherr Amir Timur befahl den Bau der Moschee nach seinem erfolgreichen Indienfeldzug, gekaperte Handwerker und 95 Elefanten wurden beim Bau eingesetzt. Doch das gigantische Gebäude begann kurz nach der Fertigstellung zu bröckeln, ein Erdbeben im 19. Jahrhundert gab ihm den Rest. Inzwischen wurde es in weiten Teilen „nur“ 47 Meter hoch wieder aufgebaut. Viel von dem Blau, das die Touristen und Touristinnen in Usbekistan staunen lässt, ist neues Blau. Man erkennt es an den Farben der Fliesen, die alten blasser, die neuen kräftiger. Und viel weiteres neues Blau soll folgen. Etwa die komplett zerstörte Pilgerherberge direkt an der Moschee. 1001 Nacht reloaded sozusagen. „Nie zuvor konnte man in Usbekistan so viel sehen“, sagt Gerhard Birkl, in seinem sanften bayerisch das ein wenig an den Monaco Franze erinnert. Dass historische Vorlagen nur bedingt Grundlage waren, stört ihn keineswegs. „Wegen Ruinen würde doch kein Tourist nach Usbekistan kommen“, ist der 67-Jährige überzeugt und lächelt unter seinem Trachtenhut hervor. Das gelte natürlich auch für den Registan in der Mitte von Samarkand. Früher gingen in den prächtig gefliesten Gebäuden die Gelehrten ein und aus. Besonders legendär, der weise Timuriden-Fürst Ulugh Beg, der hier einen einzigartigen Ort des Wissens schuf. Selbst entdeckte der Astronom 1080 Sterne. Von hier kam das Wissen in das Land und über die Seidenstraße bis nach Europa - in Form von Büchern. Durch eine besondere Technik gelang es in Samarkand erstmalig Papier beidseitig zu beschreiben. Das Samarkand-Papier war Grundlage für die Buchkunst. „Deswegen war hier einst so viel Wissen“. Gerhard ist begeistert.
Samarkand – Buchara, eine Stunde vierzig Minuten Fahrzeit: „Samarkand ist die Stadt mit Stolz und Make-up und Buchara ist die Stadt mit Stolz und ohne Make-up“, lautet ein Sprichwort in der Oasenstadt. Auch in Buchara wurde und wird viel renoviert. Das Blau fällt hier allerdings etwas dezenter aus. Den schönsten Blick auf die Altstadt hat man vom höher gelegenen Emir-Palast. Das meiste der einst üppigen Anlage wurde von Sowjettruppen zerstört. Doch was für ein Blick auf Buchara. Das große Minarett, die türkisblauen Kuppeln, die großen Torbögen … Unweigerlich stellt man sich das Kommen und Gehen der Karawanen vor, wie die Tiere durch eines der alten Stadttoren geführt, die Waren abgeladen wurden, wie die Händler sich später im Hammam den Sand von der Haut schrubbten. Eine Fatamorgana? Aber nein! Also hinein ins Herz der Altstadt an den Labi Chaus, wie der Platz mit den Maulbeerbäumen und dem Wasserbecken heißt. Gleich um die Ecke die Synagoge aus dem 17. Jahrhundert. Die älteste Synagoge Zentralasiens hat eine besondere Geschichte. Sie wurde von einem Muslim gegründet. Bis zur sowjetischen Revolution lebten 23.000 Juden in Buchara, erzählt Abraham Ishakov. Die Synagoge ist die Lebensaufgabe des 75-Jährigen. Er wird nicht müde, vom guten Verhältnis zwischen Juden und Muslimen zu erzählen und es ist klar, auf welchen Konflikt er anspielt. Das Prachtstück der Synagoge ist eine über 1000 Jahre alte Thora, aus der jede Woche trotz ihres Alters gelesen wird. Nur ein paar Gehminuten von der Synagoge geht es weltlicher zu. Unter einer geräumigen Basarkuppel werden Kappen in allen Formen und Farben verkauft. Doch früher war dies ein Ort des Wissens, an dem kostbare Bücher ihre Besitzer wechselten. Vorallem Sternenkunde war für die Karawanen wichtig, um in der Wüste Orientierung zu finden. Noch ahnt er es nicht. Am Ende der Reise wird Gerhard ein kleines blaues Wunder erleben. Er wird einen Blick in ein astronomisches Buch werfen, das im Jahr 1085 in Buchara geschrieben wurde. „Das alte Wissen aus Usbekistan ist die Basis, warum wir heute zum Mond fliegen können“, erklärt Gerhard, der Usbekistan-Kenner. Nur wisse das keiner.
Buchara – Taschkent, Fahrzeit 4 Stunden 20 Minuten: Taschkent ist der Gegenentwurf zu einer Oasenstadt. Nachts leuchten die Hochhäuser in allen Farben, gerade wurde die neue Shopping-Mall eröffnet und an die Vergangenheit erinnern imposante Gebäude mit Sowjetcharme. So großstädtisch man sich hier gibt, im Plov-Centrum kommen sie alle zusammen. Plov, das ist das usbekische Nationalgericht, das hier in zweieinhalb Meter großen Kupferkesseln gekocht wird. Baumwollöl, Reis, Paprika und gesottenes Fleisch - ein Gericht, das angeblich von Feldherren erfunden wurde, weil es Krieger den ganzen Tag satt machte. Aus den Kupferkesseln im Plov-Center dampft es, und im benachbarten mehrstöckigen Gastraum wird tausendfach nur Reisfleisch serviert. Welche Rolle der Plov spielt, sieht man auch daran, dass er unter Usbeken schlicht „Osch“ genannt wird: Essen. Sprich: Am Plov kommt in Usbekistan niemand vorbei.
Taschkent verändert sich: Viele Frauen tragen Kopftuch, das ist auch Gerhard aufgefallen. „Früher war das nicht so“. In Nachbarschaft des historischen Platzes Hastimam entsteht ein riesiges neues Gebäude. Hier soll das Center for Islamic Civilization einziehen, das unter anderem ein Museum für Islamische Kultur und eine Bibliothek beherbergen wird. Nach seiner Fertigstellung in zwei Jahren soll es das größte seiner Art in Zentralasien sein. Klein wird in Usbekistan auch heute nicht gedacht. Auch die Nationalbibliothek, in die es Gerhard nun endlich ziehen wird, überzeugt mit seinem riesigen Eingangstor nicht durch Bescheidenheit. Acht Millionen Bücher in 74 Sprachen werden in der Nationalbibliothek von Taschkent aufbewahrt. Nun sollen noch ein paar Besondere aus Deutschland dazu kommen. „Um den kulturellen Austausch zu fördern zwischen Deutschland und Usbekistan“, sagt Gerhard. In einem Antiquariat hat er für 500 Euro deutsche Klassiker erworben.
Die Tracht hat er heute in einen Anzug getauscht. Nun packt er im Büro von Gulbakhor Kabiljanova ein Buch mit Goethes Meisterwerken aus. Zudem landen auf dem Schreibtisch der Leiterin der Internationalen Abteilung ein Buch über Schuberts Leben, die Biographie von Schopenhauer, Thomas Mann-Novellen und ein Lexikon der Handelskorrespondenz. Künftig sollen diese Werke in altdeutscher Schrift Anschauungsmaterial für Wissenschaftler und Professoren sein. In der Abteilung für seltene Bücher. „Hier weiß ich, dass die Bücher gut ankommen“, sagt Gerhard. Wenn er könnte, würde er wohl Stunden in der Nationalbibliothek zubringen. Das älteste Fotobuch Zentralasiens aus dem Jahr 1872 … Und dann eben dieses astronomische Buch auf gelbem Samarkand-Papier von 1085. An den Seitenrändern handschriftliche Notizen des Lehrers von Ulugh Beg. Wenn er dürfte, würde Gerhard wohl jede einzelne Seite fotografieren. Doch Gerhards Mission ist auch so für dieses Mal erfüllt. „Das war eine Sache, die Sinn macht“, sagt er schließlich stolz. „Da hat man Spuren hinterlassen an der Seidenstraße.“
Die Autorin recherchierte auf Einladung der Botschaft von Usbekistan.
Informationen zur Reise nach Usbekistan
- Anreise: Usbekistan Airways fliegt direkt ab München nach Taschkent. Die Flugzeit beträgt etwa sieben Stunden.
- Zeitverschiebung: plus vier Stunden
- Einreise: mit dem gültigen Reisepass
- Schnellzug: Der Afrosiyob steuert die wichtigsten Städte in Usbekistan an. Der Schnellzug ist nach einer antiken Stadt in Usbekistan benannt, die durch Dschingis Khan zerstört wurde. Es ist empfehlenswert rechtzeitig zu buchen.
- Veranstalter: Viele Reiseveranstalter haben Usbekistan im Angebot. Weitere Informationen unter www.usbekistan.de. Gerhard Birkl betreibt eine Usbekistan-Galerie: flickr.com/usbekistan_news/sets
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