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Die Faszination der Monsterwellen von Nazaré

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Das Surfer-Mekka Nazaré: Von Wallfahrern und Wellenreitern

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    Die Wellen von Nazaré - für Surfer das, was für Bergsteiger der Mount Everest ist.
    Die Wellen von Nazaré - für Surfer das, was für Bergsteiger der Mount Everest ist. Foto: Manuel Meyer, dpa-tmn

    Ein Strand an der portugiesischen Atlantikküste an einem kühlen Wintertag, an der langen Uferpromenade sitzen in Cafés einige Urlauber vor ihrem Kaffee, auch ein paar Surfer mühen sich schon im Wasser, paddeln, stehen, stürzen, paddeln, stehen, stürzen … die Wellen scheinen für Anfänger recht ordentlich, also ordentlich zu hoch, für Profis aber, nun ja, ein Witz? Und das also soll nun das Mekka der Big-Wave-Surfer sein? Falsche Adresse vielleicht, das falsche Nazaré? Genau so ist es. Der falsche Teil von Nazaré zumindest. Denn wer in dem alten Fischerort ins Staunen geraten will, der muss erst einmal ganz nach oben steigen oder mit der Seilbahn fahren, falls sie in Betrieb ist: Vom Neubauviertel mit all seinen Ferienwohnungen unten am Strand hoch in den alten Teil oben auf dem Felsplateau, wo sich jahrhundertelang die Wallfahrer hoch mühten, um in der Kirche Nossa Senhora da Nazaré die kleine Holzskulptur der stillenden Maria anzubeten. Der heilige Josef soll sie einst geschnitzt, der heilige Lukas dann bemalt haben. Die modernen Wallfahrer aber ziehen weiter, vorbei an einer meterhohen Surferstatue mit Hirschkopf, hin zur alten Festung São Miguel Arcanjo aus dem 17. Jahrhundert, von der aus man den besten Blick auf die mittlerweile größte Attraktion des Ortes hat: die Monsterwellen.

    Kopfsteingepflasterte Altstadt mit imposanter Wallfahrtskirche: Zur Nossa Senhora da Nazaré kann man mit der Seilbahn gelangen.
    Kopfsteingepflasterte Altstadt mit imposanter Wallfahrtskirche: Zur Nossa Senhora da Nazaré kann man mit der Seilbahn gelangen. Foto: Manuel Meyer, dpa-tmn

    Seit Jahrhunderten türmen sie sich hier am Nordstrand unterhalb der Festung vor allem in den Wintermonaten auf, gigantische Wasserberge, die Richtung Land donnern. Genau hier nämlich endet ein bis zu fünf Kilometer tiefer Unterwasser-Canyon, verengt sich die Schlucht, wird das Wasser durch eine Art Trichter gepresst und bäumt sich auf. Wenn alle Faktoren stimmen, Wind und Strömung, werden die Wellen bis zu 30 Meter hoch, bevor sie mit Getöse brechen. An solchen Tagen brandet hier dann die andere Welle an: Tausende Schaulustige mit ihren Ferngläsern, mit ihren Kameras, mit ihren Smartphones, die davor in den Wetter- und Wellenbericht geschaut haben, vielleicht auch auf eine der Webcams und die nun Großes erwarten: den nächsten Weltrekord im Wellensurfen zum Beispiel. Zuletzt im April dieses Jahres. Da ritt der Nürnberger Sebastian Steudtner eine 28,5 Meter hohe Welle – das wäre, noch fehlt die offizielle Bestätigung, neuer Weltrekord.

    Dass diese Wellen in der Surfwelt jahrelang sozusagen übersehen wurden, klingt, nun ja, auch wie ein Witz. Die Geschichte, wie ein Mann daran etwas änderte, ist mittlerweile zur Legende geworden und darf in keiner Schilderung über Nazaré mehr fehlen. Die Provinzregierung suchte damals Ende der Nullerjahre einen Helden, einer, der es wagt, das Monster zu surfen, und fand ihn im Amerikaner Garrett McNamara. Wobei man McNamara angeblich auch deswegen anschrieb, weil er der einzige Big-Wave-Surfer war, der netterweise seine E-Mail-Adresse auf der Website angegeben hatte. McNamara surfte nicht nur das Monster von Nazaré, 2011 mit Weltrekord, er entpuppte sich auch als der perfekte Werbeträger, einer, der überall schon war, die großen Brecher dieser Welt kennt, Jaws auf Maui, Teahupo‘o in Tahiti, und der nun schwärmte: „Ich habe schon viele große Wellen gesehen. Aber ich habe noch nie größere Wellen gesehen als hier. Es gibt einfach keinen besseren Spot.“

    An wilden Wellentagen steht man hier auch mal im Stau

    Seitdem ist Nazaré auf der Landkarte der Surfer, gilt als Mount Everest der Szene, oder mit den Worten McNamaras auch als „Heiliger Gral“ und auch im Winter ist nun Hauptsaison. Wird einem später auch der Brasilianer Arthur erzählen, der vor 15 Jahren an den Küstenort kam und miterlebt hat, wie sich die andere Welle aufbaute: Wie erst die Surfer, dann die Journalisten und die Sponsoren kamen, wie die Sozialen Medien mit Bildern der Wasserwand von Nazaré geflutet wurden, wie die spektakulären Bilder und Videoschnipsel dann wiederum noch mehr Schaulustige anzogen und wie durch all das Geld in die Kasse der Gemeinde gespült wurde. An wilden und vielversprechenden Wintertagen steht man hier mit dem Auto nun auch gerne mal im Stau. „Dann braucht man mit dem Taxi eine Stunde hoch in die Altstadt“, sagt Arthur, der im Fischlokal „Mama Celeste“ als Kellner arbeitet. Auch das genießt schon einen gewissen Legendenstatus als Stammlokal der Helden. Hier nämlich lässt sich McNamara gerne bekochen, preist auf seiner Website die vegetarischen Gerichte an, auch der Deutsche Sebastian Steudtner und all die anderen Stars sind regelmäßige Gäste. „Schade, sie haben ihn um einen Tag verpasst“, sagt Arthur, bevor er einen dampfenden Topf mit weißen Bohnen und Meeresfrüchten vor einem auf den Tisch stellt.

    Spotter machen die Surfer auf besonders hohe Wellen aufmerksam

    Aber zurück hinauf zur Festung und dem mittlerweile ikonischen Leuchtturm, von dem man aus das Spektakel beobachten kann: Weit genug, um sich sicher zu fühlen, nah genug, um nur vom Donnern der Wellen eingeschüchtert zu werden. Jetskis ziehen die Surfer in die Welle, sammeln sie später wieder inmitten der Gischtberge ein. Die Fachkundigen oben am Leuchtturm wissen, wer gerade auf welcher Welle ist. Es gibt die sogenannten Spotter, die die Surfer über Walkie-Talkies auf besonders hohe Wellen aufmerksam machen. Die anderen staunen nur. So klein der Mensch, so groß die Welle. Und so gefährlich: Im vergangenen Jahr forderte sie ein erstes Opfer unter den Big-Wave-Surfern: Der brasilianische Surf-Veteran Marcio Freire kam bei einem Sturz in den Wellenbergen ums Leben. Als die Bank, die Witwen macht, wurde sie einst von portugiesischen Fischern getauft.

    Bretter, die die Wellen ritten: Im Surf-Museum in der alten Leuchtturm-Festung sind unter anderem handsignierte Arbeitsgeräte von Star-Sportlern zu bestaunen.
    Bretter, die die Wellen ritten: Im Surf-Museum in der alten Leuchtturm-Festung sind unter anderem handsignierte Arbeitsgeräte von Star-Sportlern zu bestaunen. Foto: Manuel Meyer, dpa-tmn

    Im kleinen Museum in der Festung werden die Heldinnen und Helden geehrt, die sich auf der Suche nach der perfekten Welle in die sogenannte Todeszone wagen: Neben einem Modell des Unterwassercanyons und etlichen Schautafeln, Bildern und Filmen stehen da als Hauptattraktion die handsignierten Bretter der Szenegrößen, ihre Biografie auf einem Schild darunter – jede mit einem Zitat versehen. Auf dem Schild von Sebastian Steudtner steht in Großbuchstaben: „Wir definieren, was möglich ist, und wir können alles erreichen, wenn wir an unsere Träume glauben und den Mut haben, sie zu verwirklichen.“ Daneben die Daten seines eingetragenen Weltrekords: 26,21 Meter am 29. Oktober 2020 - eine Welle, ein paar Zentimeter höher noch als das Brandenburger Tor. Er will noch viel höher hinaus, hier am Nordstrand in Nazaré, madre mia, wo auf der Welt auch sonst.

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