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Ausflug: Wie eine kreative Szene München etwas besser machen möchte

Ausflug

Wie eine kreative Szene München etwas besser machen möchte

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    Bunt geht es beim Bahnwärter Thiel in München zu.
    Bunt geht es beim Bahnwärter Thiel in München zu. Foto: Lino Mirgeler, dpa

    Da schau an: München, gern als Hauptstadt der Schicki-Micki-Szene apostrophiert, als Laufsteg der Adabeis, derjenigen, die unbedingt dazugehören wollen, kann auch ganz anders. Anarchisch, bunt, alternativ, vegan, nachhaltig. Da kann man zum Beispiel im Hotel Augustin übernachten, in dem auch Großfamilien willkommen sind oder Jugendgruppen. Gleich neben der Wiesn und das noch günstig. Die U-Bahn ist nah, auch eine Bushaltestelle. Das Auto kann also getrost zu Hause bleiben.

    Die E-Rikschas radeln auch bei Regen durch München.
    Die E-Rikschas radeln auch bei Regen durch München. Foto: Lilo Solcher

    Noch viel schöner ist es, sich mit einer Fahrrad-Rikscha durch Münchens Altstadt kutschieren zu lassen. Ganz ohne schlechtes Gewissen und ohne Mitleid mit dem Fahrer haben zu müssen. Das E-Bike macht's möglich. 170 angemeldete Fahrrad-Rikschas gibt es in München, sagt Falk Hilber – schwarzes Käppi, dunkler Bart –, der seit 2007 schon München-Touren mit der Fahrrad-Rikscha anbietet. Zehn Jahre später hat er die Plattform rikschaguide.com gegründet und eine Ausbildung zum Rikschaguide initiiert. Die Fahrer kommen aus allen Bereichen, sind Studenten und Rentner, Handwerker und Akademiker, Teilzeit- und Vollzeitradler. Er ist überzeugt davon, dass die E-Bike-Rikschas eine Zukunft haben. Deshalb setzt er sich auch dafür ein, die Rikschas als „Mobilitätsangebot“ zu etablieren. „Das wird kommen“, sagt der 38-Jährige mit Nachdruck. Drei feste Standplätze für die Fahrrad-Rikschas gibt es schon, zum Beispiel am Marienplatz.

    München: Im Bellevue de Monaco ist jede Menge geboten

    Jetzt steht die Rikscha vor einem hohen Eckhaus in der Müllerstraße. Der Schriftzug „Bellevue Monaco“ leuchtet einladend. Im gut besuchten Café sitzen vor allem junge Leute, manche vor ihren Laptops. Christian (Grisi) Ganzer – graumelierter Bart, Brille, gestreifte Mütze – freut sich über den Andrang, auch wenn viele der Café-Gäste wohl nicht wüssten, dass sie in einem sozialen Projekt ihren Latte trinken. Der 54-Jährige war von Anfang an dabei und hat das Wohn- und Kulturzentrum für Geflüchtete und Bedürftige mit gegründet. Nur mit viel Engagement konnte die Stadt davon abgehalten werden, die lange vernachlässigten Häuser abzureißen und auf dem Areal neu zu bauen. Dabei half, dass 2015 Platz für Geflüchtete gesucht wurde. Inspiriert wurden die Aktiven auch vom Grandhotel Cosmopolis in Augsburg. „Unsere große Schwester“, sagt Grisi.

    Grisi Ganzer auf dem höchsten Bolzplatz Münchens.
    Grisi Ganzer auf dem höchsten Bolzplatz Münchens. Foto: Lilo Solcher

    Geboten wird im Bellevue de Monaco so einiges – von der Jugendlichen-WG und Kulturveranstaltungen über Sprachunterricht und offenen Werkstätten bis zu Sport. Dafür hat das Bellevue buchstäblich ein Highlight. Über 112 Stufen gelangt man hinauf aufs Dach und zum wohl spektakulärsten Bolzplatz der Stadt. Hier liegt einem München zu Füßen. Der Bolzplatz ist nach Anmeldung sogar frei zugänglich. Grisi Ganzer, der eigentlich Film studiert hat, ist sichtlich stolz auf das Bellevue-Projekt. „Es ist schon so, dass wir alle hier mehr machen als in einem normalen Job“, räumt er ein. Doch ohne die Unterstützung der Stadt und die 7500 Mitglieder der Genossenschaft könnte das Bellevue wohl kaum überleben. So kann man sogar expandieren – in eine kleine Pension mit zehn Zimmern ganz in der Nähe.

    Ein besonderer Weihnachtsmarkt beim Bahnwärter Thiel

    Münchens Innenstadt ist mit U- und S-Bahn, aber auch mit Bus und Tram gut erschlossen. Also rein in die U-Bahn bis zur Haltestelle Pocci-Straße. Ein kurzer Fußweg und schon ist man in einer anderen Welt. Auf dem Gelände des alten Viehhofs hat sich eine bunte Szene breitgemacht. Seit sieben Jahren lädt das Gelände unter dem Namen Bahnwärter Thiel zu Partys, Konzerten, Lesungen, Flohmärkten oder Workshops – und seit Ende November auch zu einem Weihnachtsmarkt. Hier fühlen sich Künstler und Kunsthandwerkerinnen wohl, Hobby-Gärtnerinnen und Sprayer. Es gibt einen Atelierpark, ein Fotostudio und Platz für „urban gardening“, wo ganze Familien „ihre“ Gemüsebeete pflegen. Eigentlich sollte diese alternative Oase mit den bemalten Bahnwaggons und den bunten Containern, der langen Graffiti-Wand und den originellen Installationen bis Ende des Jahres geräumt werden – die Bebauungsplanung steht bereits. Aber inzwischen wurde der Mietvertrag bis 2027 verlängert – und Mieter wie Francesca Pellegrini atmen auf. 

    Die Italienerin mit den dicken schwarzen Locken hat in diesem „special place“ mit seiner ganz eigenen „Community“ ihren Secondhand-Laden „Seconda pelle“ eröffnet. Die 30-Jährige ist Überzeugungstäterin, trägt seit zehn Jahren nur mehr gebrauchte Klamotten. Ihre Ware kommt zum größten Teil aus Neapel und ist bei Kunden und Kundinnen mit ausgefallenen Wünschen gefragt. Auch Francescas Freund Alperen Istanbuli fühlt sich in Secondhand-Shirts und Hosen am wohlsten. Kennengelernt haben sich die Italienerin, die über ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Deutschland kam, und der Türke, den das Studium nach München brachte, im Laden.

    Die Alte Utting ist die Attraktion auf der Brücke

    Und den wollen beide so lange wie möglich im Bahnwärter Thiel führen, wo sie viele Freunde gefunden haben. In der Buchstaberei zum Beispiel, wo Anna Müller nicht nur ihre Schwarz-Weiß-Grafiken anbietet, sondern auch klassische Polsterarbeiten – Handwerkskunst vom Feinsten. Gleich um die Ecke riecht es nach frischem Gebäck, nach Zimt und Kardamom. Der Duft kommt aus Maries Sauerteig-Bäckerei „Bageri“, und die kunstvoll geflochtenen Zimt- und Kardamom-Knoten schmecken lauwarm einfach himmlisch. Auch die 29-jährige Pharmazeutin mit dem Pferdeschwanz hat im Bahnwärter Thiel die Möglichkeit gefunden, ihren Traum zu verwirklichen. Die Tische in dem kleinen Raum hinter der Graffiti-besprühten Fassade sind weiß von Mehl, hier wird geknetet und gerollt. Neben den süßen Knoten backt Marie Hermann mit zwei Helferinnen Brote und Kuchen – alles vegan.

    Einfach spektakulär: die Alte Utting in München.
    Einfach spektakulär: die Alte Utting in München. Foto: Lilo Solcher


    Möglich gemacht haben diese alternative Szene in München die drei Hahn-Brüder Daniel, Julian und Laurin. Das kreative Trio ist neben dem Bahnwärter Thiel auch dafür verantwortlich, dass gleich in der Nähe ein Schiff auf einer Brücke gelandet ist. Die Utting, ein ehemaliger Ammerseedampfer, wurde von den Brüdern vor dem Verschrotten bewahrt und zu einem Kulturprojekt umgewandelt. Eine stillgelegte Eisenbahnbrücke sollte der neue Hafen werden. Doch der Transport vom Ammersee nach München geriet zu einem Abenteuer, das weltweit Schlagzeilen machte. „Unschaffbar“ hieß es zunächst von der Bayerischen Seenschifffahrt. Vor fünf Jahren konnte der ehemalige Ausflugsdampfer dann an seinem neuen Standort andocken. Und wie Bahnwärter Thiel wird er dort noch weitere fünf Jahre stehen dürfen. Was im Restaurant auf den Tisch kommt, ist regional und zum großen Teil auch vegan.

    Die vegane Weißwurst war in München nur der Anfang

    Ja, vegan. Das geht auch in der Weißwurstmetropole München. Im Restaurant Herrschaftszeiten im Tal, dem ehemaligen Paulaner, kamen sogar die ersten veganen Weißwürste auf den Tisch. „Eigentlich ein Gag zum Oktoberfest“, sagt Thomas Isermann – blonder Bart, halblange blonde Haare –, der Gründer von Greenforce („Unsere DNA ist rein pflanzlich, wir töten keine Tiere“). Der gebürtige Stuttgarter sieht sich als „veganer Daniel Düsentrieb“. Weg vom Billigfleisch, hin zu gesunden Produkten aus weitgehend regionalen Grundstoffen. Isermann definiert sich als Genussmensch, will keine Verbote, sondern setzt auf Verführung. Schmecken sollen die veganen Alternativen auch Flexitariern. Aber Fleisch sollte nichts Alltägliches sein. „Zurück zum Sonntagsbraten“ fordert der umtriebige Greenforce-Gründer, der sich als Sportmanager schon einen Unterstützerkreis erarbeitet hat.

    Tradition mal anders: die vegane Weißwurst.
    Tradition mal anders: die vegane Weißwurst. Foto: Lilo Solcher

    Die Idee für das vegane Unternehmen kam ihm auf der Plant Based Food Messe in New York, auch in diesem Jahr war er weltweit unterwegs „bei den Nestles dieser Welt“. Unterstützt wird Isermann von Promis wie dem FC-Bayern-Torjäger Thomas Müller, aber auch von Feinkost Käfer, der die Greenforce-Frikadellen als „das beste Fleischersatzprodukt auf dem Markt“ auch in seinen Läden führt. „Wir sind ein Wachstumsmarkt“, ist der Unternehmer überzeugt. 

    Eine Stadtführung unter ungewöhnlichen Voraussetzungen

    Zeit für einen Verdauungsspaziergang? Der Archivar Max Zeidler – schwarzer Dufflecoat, Brille – steht schon bereit für eine „öko-soziale“ Führung. Sie beginnt mit einer außergewöhnlichen Ausstellung in der Galerie des Museums des Bezirks Oberbayern, die sich als „niederschwellig“ und „ganzheitlich“ versteht, barrierefrei und kostenlos ist. Unter dem Titel „We are plants“ verbirgt sich die Zusammenarbeit zweier Künstler, die Naturnähe und die Selbstermächtigung von Menschen mit Handicap thematisieren. „München wird besser“, diesen Slogan hat sich Max Zeidler für seine Stadtführungen zu eigen gemacht, bei denen er sich mit Interessierten „durch dieses verrückte

    Besonders am Herzen liegt ihm die soziale Nachhaltigkeit, „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“. Aber wir sind ja in München, und da ist man von Haus aus optimistisch. „A bisserl was geht immer“, tröstet sich auch der Stadtführer und verweist auf den Kiosk „Fräulein Grüneis“ bei der Eisbachwelle. Dass das gastfreundliche Häuschen in grün-weiß einmal ein Toilettenhäuschen war, wissen nur Eingeweihte. Aber die Verwandlung passt ins Konzept der Tour. Wie sagte Zeidler am Anfang: „Für die Nachhaltigkeit sind ein langer Atem und viel Humor nötig.“

    Adressen und Tipps für München

    Wohnen. Jugend- und Familienhotel Augustin, Am Bavariapark 16, 80339 München, Tel. 089/5108831-0, www.augustin-hotel.com
    DZ mit Frühstück 79 Euro pro Person
    Pension Bellevue, Klenzestrasse 45, 80469 München, Tel. 089/202517-0, https://persionbellevue.de DZ mit Frühstück ab 142 Euro 

    Kunst: Galerie im Museum Bezirk Oberbayern, Prinzregentenstr. 14, 80538 München, www.bezirk-oberbayern.de/Kultur/Galerie-Bezirk-Oberbayern/Zur-Galerie-/

    Erleben: Bahnwärter Thiel: Tumblingerstr. 45, 80337 München, Tel. 089/45215063, www.bahnwaerterthiel.de
    Es gibt auch Führungen durch das Quartier: www.einfach-muenchen.de/fuehrung-viertel
    Essen & Trinken. z.B. vegan im Soy Vegan, Theresienstr. 93, einem vietnamesischen Restaurant, das sich an der buddhistischen Küche orientiert: https://soy-muenchen.com
    oder sozial im Ausbildungsrestaurant Röcklplatz, Isartalstr. 26, wo junge Menschen aus schwierigen Lebensverhältnissen die Chance auf einen sozialpädagogisch begleiteten Ausbildungsplatz haben: https://roecklplatz.de

    Sozio-Ökologische Stadtführung: www.stadtfuehrer-max.de, Stadtrundfahrten mit der Rikscha: rikscha-guide-muenchen.de

    Sparen: Freie Fahrt im Nahverkehr und bis zu 70 Prozent Rabatt bei vielen Angeboten verspricht die MünchenCard. Für 24 Stunden kostet sie 16,90 Euro: www.turbopass.de

    Informieren: München Tourismus, Herzog-Wilhelm-Str 15, 80331 München, www.simply-munich.com

    Hinweis: Die Autorin recherchierte auf Einladung von München Tourismus.

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