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Weltreise: Immer ostwärts: Im Kaukasus der Nase nach unterwegs

Weltreise

Immer ostwärts: Im Kaukasus der Nase nach unterwegs

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    Von den Bergen bei Mestia, Georgien, geht die Reise weiter durch eine faszinierende wie zerrüttete Region der Welt: den Südkaukasus.
    Von den Bergen bei Mestia, Georgien, geht die Reise weiter durch eine faszinierende wie zerrüttete Region der Welt: den Südkaukasus. Foto: Sünkel

    Als Gott die Nasen verteilt hat, waren zuerst die Russen dran. Gott fragt also einen Vertreter der frühzeitlichen nasenlosen Russen, welche Nase er sich denn für sein Volk wünsche. Der Russe sagt: „Du weißt, Gott, wir trinken gern Wodka. Gib mir bitte eine, an der das Glas nicht anstößt.“ Ein Fingerschnippen Gottes und schon hat der Russe eine wodkaglastaugliche Nase, die zur Spitze hin leicht Richtung Himmel zeigt. Als Zweites sind die Georgier dran. „Gott, du weißt doch, wir lieben unsere hohen Berge, den Kaukasus …“ Gott unterbricht ihn: „Das hab ich mir gedacht.“ Er schnippt mit den Fingern und ab diesem Zeitpunkt haben alle Georgier eine Nase, die an ein aus allen Kräften der Erde entstandenes Felsmassiv erinnert. Dann sind die Armenier dran. „Welche Nase …?“ Der Armenier unterbricht Gott: „Kommt auf den Preis an! Wie viel?“ – „Die Nase ist kostenlos. Ich bin Gott.“ – „Gut. Dann gib mir die größte.“

    Ein Witz kann nicht schaden, um die angespannte Situation aufzulockern

    Den Witz hat der armenische Fremdenführer Vako in einem verrauchten Pub in Jerewan erzählt, als er die Gesprächsluft von Politik filtern wollte. Zuvor ging es um Völkermord und Karabach-Konflikt. Um ein gespaltenes Land in einer zerklüfteten Region. Um eine samtene Revolution, die keine Blüten trägt. Ja, die Tour ist vorbei. Nein, die Welt hat eigentlich kein Problem mit Nasen, sondern mit den üblichen Themen:

    Wer genauer hinsieht, findet zwischen den Zeilen eine ganz andere Wahrheit über die Region: Wer eine Nation sein will, braucht eine Geschichte und Witze, die Unterschiede definieren. Es geht um Abgrenzung unveränderlicher – gottgegebener – Merkmale. In dem Fall grenzen sich Armenien und Georgien von ihrer sowjetischen Vergangenheit ab und liefern Gründe für kulturelle und geografische Eigenständigkeit – und wenn es ein unübersehbarer Zinken ist. Zweitens ist es interessant, wer im Witz nicht vorkommt, allen voran Aserbaidschan und die Türkei.

    An einem Stand werden Stalin-Figuren verkauft

    Schluss mit lustig. Als Zhana um die Ecke biegt und wir uns neben einem Stand mit Stalin-Souvenirs treffen, zeige ich auf die bunten Figuren des Ex-Sowjetführers mit der blutigen Geschichte und frage sie, ob diese seltsamen Devotionalien in China produziert werden. Zhana verzieht keine Miene. Es sei schlimm genug, dass einige der Andenken in Gori gefertigt werden, sagt sie. Die georgische Fremdenführerin bietet eine Tour durch Gori an und sie ist entsetzt über die Glorifizierung, die in ihrer und Josef Stalins Heimatstadt um den Diktator betrieben wird. Sie will Touristen ein Gori jenseits Stalins zeigen, was nicht ganz einfach ist. Um das Geburtshaus des als Iosseb Bessarionis dse Dschugashwili geborenen, späteren Vorsitzenden der KPdSU hat die Sowjet-Regierung nach seinem Tod ein Monument bauen lassen. Es wirkt wie eine Matrjoschka aus Stein gewordenem Verehrungskult. Daneben steht ein Tempel. Ein Museum, das sich weniger mit den in der Stalin-Zeit ermordeten politischen Gegnern als mit der Glorifizierung des Diktators beschäftigt. Zhana spricht von einer Gemäldegalerie, wie sich Stalin selbst gesehen hat: als größten Führer aller Zeiten.

    Stalinfiguren an einem Verkaufsstand in Gori in Georgien.
    Stalinfiguren an einem Verkaufsstand in Gori in Georgien. Foto: Bastian Sünkel

    Das Museum im heute unabhängigen, westlichorientierten Georgien könnte als Witz der Geschichte erzählt werden. Wären da nicht die Ereignisse aus dem Jahr 2008. Zhana geht vorbei am gepanzerten Zugwaggon Stalins ein paar Straßen weiter Richtung Stadtparlament. Neben ein paar Einschusslöchern ist nicht mehr viel von den Angriffen zu sehen. Doch vor elf Jahren verbluteten Menschen auf der Straße. Zhana kannte die Menschen.

    Sie zeigt Bilder, wie ein Bruder in den Armen des anderen stirbt. Auch der niederländische Kameramann Stan Storimans starb an diesem Tag im Hagel der russischen Splitterbomben. An einer Häuserwand in einer Seitenstraße hat ein Künstler das Trauma verarbeitet. Die Hoffnung Georgiens liegt in der Hand eines kleinen Mädchens, das mit der Schere in ihrer Hand offenbar plant, einen Stacheldrahtzaun zu durchschneiden, um die Äpfel auf der anderen Seite zu ernten. Zhana hat ein Problem mit Russland, gibt sie offen zu. Seit russische Soldaten die Grenze zu Süd-Ossetien bewachen und ausbauen, seien einige Dörfer dahinter verschwunden, die zuvor auf georgischer Seite lagen, sagt Zhana. Das ist nur wenige Kilometer von Gori entfernt. Der Kreml bestreitet die Vorwürfe.

    Zhana hat ein anderes Projekt: Sie will die georgische Stadt Gori ohne Stalin präsentieren.
    Zhana hat ein anderes Projekt: Sie will die georgische Stadt Gori ohne Stalin präsentieren. Foto: Sünkel

    Georgien lebt eine Hassliebe zu Stalin

    Nach dem Fünf-Tage-Krieg zwischen Russland und Georgien hat die georgische Regierung gefordert, das Stalin-Museum in ein „Museum der russischen Aggression“ umzuwandeln. Der Plan ist gescheitert. Georgien lebt in einer Hassliebe zu Stalin. Einige Georgier sind stolz auf seine Herkunft und dass er auf der ganzen Welt bekannt ist. Andere hassen seine Verehrer für deren Kurzsichtigkeit. 2018 haben laut georgischen Medienberichten rund 160.000 Menschen das Museum besucht, Tendenz steigend. Die meisten Besucher kamen aus dem Iran, dicht gefolgt von Russland.

    Zhana will nicht Geschichtsverdrossenheit mit jungem Leid reinigen. Festungsruine, Kirche, Synagoge. Eine historische und eine etwas willkürlich eingerichtete ethnografische Sammlung erzählen die Geschichte eines Landes, das weit vor Stalin existiert hat. Nur leider ist außer uns an diesem Tag niemand da, um sie sich anzusehen.

    In Georgien macht man Witze über die Kopierkultur der Armenier, die sich angeblich nicht einmal zu schade sind, das Nationalgericht des nördlichen Nachbarns zu kopieren – gefüllte Teigtaschen namens Khinkali, die in Jerewan auch als XL-Ravioli beworben werden. In Armenien wiederum amüsiert man sich über die geschichtstrachtenden Georgier, die mit aller Gewalt versuchen, ihren Nationalepos zu untermauern und sich dabei auf ein armenisches Adelsgeschlecht berufen. Touché. Für zugereiste Zuhörer klingen solche Geschichten wie das Necken sich heimlich Liebender.

    Tiblisi und Batumi sind Orte, an denen Sowjetplatte auf Altbauten und den Versuch einer neuen Architektur trifft.
    Tiblisi und Batumi sind Orte, an denen Sowjetplatte auf Altbauten und den Versuch einer neuen Architektur trifft. Foto: Bastian Sünkel

    Bekomme ich ein Visum für den Iran?

    Bevor die Reise für mich in den Iran weitergeht, beschäftigen mich vor allem drei Fragen: Bekomme ich alle Visa zusammen, die ich für die Reise nach China brauche? Wie finde ich nach zweieinhalb Wochen in Tbilisi und einer Woche in Jerewan wieder einen guten Reiserhythmus? Die Krise im Iran und eine entzündete rechte Zehe beschäftigen mich seit Wochen. Dann ist da noch die Sache mit den Nasen. Nachdem Vako seinen Witz zu Ende erzählt hat, berichte ich ihm von meinem Besuch im Historischen Museum Armeniens in Jerewan. Ich erzähle ihm, dass die Nasen der altertümlichen Statuen eher wie hölzerne Türstopper auf mich gewirkt haben als die mächtigsten Zinken, die Gott im Sonderangebot hatte. Er lacht. Am Ende kommen wir nicht weiter in dem Punkt, ob Gott oder die Evolution Nasen hervorgebracht hat, damit sich Völker voneinander abgrenzen können. Für Reisende hört sich das wie ein Altherrenwitz an, ein aus der Zeit gefallener Schenkelklopfer. Vielleicht reise ich nur, um Landesgrenzen und Nasenwitze zu überwinden.

    Wer mehr lesen will, findet den Reiseblog von Bastian Sünkel unter www.globalmonkey.net

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