Nur eine Europaflagge und ein Schild erinnern am ehemaligen Grenzübergang "Gebrannte Brücke" zwischen Neustadt bei Coburg und Sonneberg daran, dass Deutschland hier einmal geteilt war. Pendler fahren in der Sommersonne. Die Mauer in den Köpfen, die man den Menschen hierzulande immer noch gerne nachsagt, dürfte nirgends so eingerissen sein wie an diesem Ort. Woran das liegt, zeigt eine Reise ins fränkisch geprägte Südthüringen. Und in eine Stadt, die mit dem Gedanken spielt, das Bundesland zu wechseln.
In Sonneberg, südlich des Rennsteigs gelegen, heißt der Imbissstand "Hüttla" und verkauft "Broatwörscht". Die Menschen hier kennen wie die Franken keine harten Konsonanten und wünschen sich einen "schöna Nachmiddooch". Und genau wie Nürnberg, Zirndorf, Rödental und andere Orte in Franken hat die Stadt mit ihren 24 000 Einwohnern eine lange Tradition der Spielwarenindustrie.
Ungefähr 100 Jahre ist es her, dass fast jedes fünfte weltweit verkaufte Spielzeug aus Sonneberg kam. Den Reichtum aus der Zeit um die Jahrhundertwende und am Anfang des 20. Jahrhunderts sieht man der Stadt noch immer an: am imposanten, neoklassizistischen Rathaus, dem stattlichen ehemaligen Handelshaus nebenan mit der Kasperpuppe und dem Spielzeugschiffchen an der Fassade - und an den liebevoll restaurierten Bürgerhäusern, in denen damals die gut betuchten Spielzeugfabrikanten lebten. In der Coburger Allee nordwestlich des Bahnhofs stehen besonders viele von diesen Backsteinhäusern, die mit Erkern, Türmchen und Fachwerk verziert sind.
Heute haben nur noch wenige Spielzeugfirmen hier ihren Sitz, doch den Spieltrieb hat sich die Stadt erhalten. Hier ein Wasserspielplatz, dort eine Teddybärenskulptur, hier ein Geschäft für Holzspielzeug, dort ein Puppendoktor. Und mittendrin natürlich das Deutsche Spielzeugmuseum. Dort können Besucher nicht nur die erste Babypuppe der Welt sehen und Käthe-Kruse-Puppen und Barbies bestaunen, sondern auch selbst spielen, an einer riesigen Murmelbahn zum Beispiel.
Ein lebendiges Wimmelbild
Als Höhepunkt des Museums gilt die Thüringer Kirmes, eine Installation, die 67 Figuren aus dem 19. Jahrhundert inmitten eines thüringisch-fränkischen Dorfs bei der Kirchweih zeigt, einem traditionellen Volksfest. Ein lebendiges Wimmelbild.
Unmittelbar hinter Sonneberg liegt der Frankenwald, auch Rennsteig und Thüringer Wald sind nicht weit entfernt. Schon im Stadtgebiet können Besucher auf gut erschlossenen, leider nicht immer ideal beschilderten Wanderwegen die Umgebung erkunden. Auf der Grenzlandtour wenige Kilometer außerhalb des Stadtzentrums lässt sich die alte innerdeutsche Grenze auf dem heutigen Grünen Band entdecken.
In den Nachbarstädten sprechen die Menschen den gleichen Dialekt, lieben ihre Bratwürste und Klöße und begehen ähnliche Bräuche - die Kirchweihfeste zum Beispiel. "Die Gegend südlich des Rennsteigs ist schon lange fränkisch geprägt", sagt Thomas Schwämmlein, Kreisheimatpfleger des Landkreises Sonneberg.
Als Deutschland geteilt wurde, unterdrückte das SED-Regime zunehmend die fränkischen Einflüsse und Traditionen. "Man gab eher verschämt zu, dass die Mundart hier fränkisch ist", sagt Schwämmlein. Heute ist man sich wieder nah: Sonneberg ist die einzige Stadt außerhalb Bayerns, in die man mit dem Bayernticket der Bahn gelangt.
Bundesweit erlangte Sonneberg zuletzt Bekanntheit, weil die Stadt damit drohte, das Bundesland Thüringen zu verlassen und nach Bayern zu wechseln. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Sonneberger eher als Franken denn als Thüringer fühlen.
Eine geplante Gebietsreform würde der Stadt ihren Status als Kreisstadt kosten - und Erinnerungen an DDR-Zeiten wecken: Damals gehörte die Stadt zum Bezirk Suhl. Viele Sonneberger hatten das Gefühl, "dass die kleineren Städte bluten müssen, damit die Bezirkshauptstadt glänzen kann", wie Schwämmlein sagt.
In Sonneberg ist der Protest gegen die Gebietsreform allgegenwärtig: In vielen Schaufenstern und vor Wohnhäusern hängen Plakate, die skandieren: "Sonneberg bleibt Kreisstadt!"
Nicht nur wegen Sonneberg lohnt sich die Reise
Doch nicht nur wegen des dynamischen Sonnebergs lohnt sich eine Reise ins südliche Thüringen. Im Sommer können Besucher am Rennsteig auf Wegen wandern, die sich über fast 170 Kilometer erstrecken. Im Winter ist die Gegend für ihre Langlaufloipen bekannt. Viele bekannte Wintersportler stammen aus der Region.
Überhaupt Suhl: Die von den Sonnebergern wenig geliebte ehemalige DDR-Bezirkshauptstadt hat ihren Reiz, weil sich an ihr der Wandel nach der Wende gut nachvollziehen lässt. Die Stadt liegt, etwa 60 Kilometer entfernt von Sonneberg, in einem Talkessel am Rand des Thüringer Walds. Wer von der Autobahn abfährt, entdeckt schnell die Hochhäuser aus der Zeit des Sozialismus.
In der Innenstadt Suhls wechseln sich schmucke Rokokohäuser mit DDR-Zweckbauten ab. Um aus Suhl eine sozialistische Vorzeigestadt zu machen, mussten nach 1952 viele historische Häuser im Stadtkern neuen Plattenbauten weichen. Weil Suhl seit 1990 ein Drittel seiner einst 56 000 Einwohner eingebüßt hat und in den Plattenbauvierteln viele Wohnungen leer stehen, werden ganze Wohnkomplexe wieder abgerissen.
Ein Schmuckstück können Besucher am Stadtrand entdecken: Der Ortsteil Heinrichs beeindruckt mit einem renovierten Fachwerkensemble, das im 17. Jahrhundert im hennebergisch-fränkischen Stil der Region errichtet worden ist. Dort kann man spazieren, in einem der urigen Wirtshäuser einkehren oder mit dem Fahrrad die Gegend erkunden.
Von Suhl ist es nicht mehr weit bis Meiningen, das vor allem durch seine historische Innenstadt, die vielen Parks und das Staatstheater bekannt ist. Nach der Sommerpause wird das Theater von Anfang August an wieder regelmäßig bespielt: als Schauspielbühne, aber auch als Plattform für Musiktheater, Ballett, Konzerte und Puppentheater.
Auch Meiningen ist fränkisch geprägt, doch die Mundart klingt anders als in Sonneberg. Beim hier gesprochenen hennebergischen Dialekt lassen die Menschen wie die Nachbarn in Unterfranken schon mal die letzte Silbe wegfallen. Fränkisch ist eben nicht gleich Fränkisch. Und Franken kann genauso gut in Thüringen liegen wie in Bayern.
Das südliche Thüringen auf einen Blick
Anreise: Sonneberg liegt in der Nähe der Autobahn A 73 (Ausfahrt Neustadt bei Coburg) und ist mit dem Zug direkt an Nürnberg angebunden. Der nächste ICE-Bahnhof Lichtenfels liegt 35 Kilometer entfernt. Suhl liegt direkt an den Autobahnen A 71 und A 73, Meiningen an der A 71 zwischen Schweinfurt und Erfurt.
Informationen: Touristinformation Sonneberg, Bahnhofsplatz 3, 96515 Sonneberg (Tel.: 03675/70 27 11, E-Mail: tourismus@stadt-son.de, www.sonneberg-tourismus.de).
Von Felicitas Wilke, dpa