20 Jahre ist es her, dass Südafrika unter dem ersten schwarzen Präsidenten Nelson Mandela eine Demokratie wurde. 20 Jahre, in denen sich viel verändert hat in dem Land, das lange Zeit den Großteil seiner Bürger von allem ausschloss, was das Leben angenehm machte. Nelson Mandela, die Ikone der südafrikanischen Freiheitsbewegung, starb Ende letzten Jahres im Alter von 95 Jahren. Was er bewirkt hat in seinem Land aber lebt weiter. Soweto ist nur ein Beispiel.
Das Foto ging um die Welt: Ein schwarzer Mann trägt einen sterbenden Jungen auf den Armen, neben ihm ein schreiendes Mädchen. Der Junge ist Hector Pieterson, das Mädchen seine Schwester Antoinette. Hector war das erste Opfer der blutigen Unruhen in Soweto 1976, die 500 Tote fordern sollten. Er war 13, als er erschossen wurde.
Das Hector Pieterson Museum in Soweto erinnert in eindrucksvollen Bildern an die dramatischen Ereignisse. Es ist eine Station auf unserer Radtour durch die Township, die lange Jahre als Inbegriff für Gewalt und Armut galt, eine No-Go-Area für Weiße, also eine Gegend, von der man sich besser fernhält.
"Wir haben auch Millionäre in Soweto"
Das hat sich geändert. Mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern, so viele wie Berlin, ist Soweto eine Vorstadt von Johannesburg. Noch immer sind die meisten Einwohner hier schwarz – schließlich entstand die Siedlung 1903 als Zeltlager, um die Schwarzen aus der Innenstadt von Johannesburg auszusiedeln. Heute gibt es in Soweto nicht nur Schulen, Kindergärten und das zweitgrößte Krankenhaus der Welt, sondern auch Restaurants, ein Hotel und großzügige Häuser inmitten von Gärten hinter hohen Steinmauern.
„Wir haben auch Millionäre in Soweto“, sagt Tshepo Matsile und grinst, als er unsere ungläubigen Mienen sieht. Der quirlige 21-Jährige mit dem Clownsgesicht unter dem blauen Hut kennt hier jedes Viertel. Er ist in Soweto aufgewachsen und führt regelmäßig Radgruppen durch „seine Stadt“. Auch wenn wir nicht die ersten Radler sind, die hinter Tshepo durch die Straßen Sowetos rollen: Wir fallen auf.
Slum-Tourismus?
Die Bewohner der Township fahren eher nicht mit dem Rad. Auf den Teerstraßen muss man höllisch aufpassen, wenn Autos um die Kurven schießen. Und die unbefestigten Wege, die durch die Wellblechsiedlungen führen, sind uneben, mal steht dreckige Brühe in großen Lachen, mal fließt sie mitten durch Wegkreuzungen. Schnell kann man da nicht in die Pedale treten, und so kommen wir den Menschen ganz nahe.
Trotzdem ist diese Tour alles andere als „Slum-Tourismus“ oder „Armut-Gucken“. „Hallo Mulungo“ rufen die Kinder schon von Weitem (hallo, Weißer!) und „shoot me“, womit sie meinen, dass sie fotografiert werden wollten. So ein Foto auf dem Display der Kamera zu sehen, scheint für sie das Größte.
Die Räder lehnen unbeaufsichtigt an den Wellblechhütten
Südafrika - eine regionale Wirtschaftsmacht
Südafrika ist ein Staat an der Südspitze Afrikas.
Die Hauptstadt ist Pretoria.
Die Staatsform ist eine Parlamentarische Republik mit präsidialen und föderalen Elementen.
Staatsoberhaupt und Regierungschef ist Präsident Jacob Zuma.
Auf einer Fläche von 1.219.912 Quadratkilometern leben circa 49.991.300 Menschen. Das ergibt eine Bevölkerungsdichte von 41 Einwohnern pro Quadratkilometer.
Die Währung Südafrikas nennt sich Rand.
In Südafrika gibt es insgesamt elf Amtssprachen, darunter Englisch und Afrikaans.
Die Wirtschaft des Landes ist die bedeutendste und weitestentwickelte auf dem afrikanischen Kontinent.
Die fünf größten Städte sind Kapstadt (3.648.807 Einwohner), Durban (3.512.243 Einwohner), Johannesburg (2.058.044 Einwohner), Soweto (1.801.772 Einwohner) und Pretoria (1.724.533 Einwohner).
Südafrika ist in neun Provinzen aufgeteilt: Westkap, Nordkap, Ostkap, KwaZulu-Natal, Freistaat, Nordwest, Gauteng, Mpumalanga und Limpopo.
Tshepo hat seine Truppe mittlerweile um einen Topf mit schaumiger Brühe versammelt – Johannesburg Bier, so wie es früher die Frauen in ihren Hütten brauten. Der Topf macht die Runde. Das Bier schmeckt säuerlich, ähnlich wie Most. Aber es scheint das Lieblingsgetränk all der Männer zu sein, die in der schäbigen, fensterlosen Hütte gleich neben uns herumlungern. Es ist eine Shebeen, eine traditionelle Township-Kneipe.
"Don’t drink and walk", steht auf dem Tetrapak, das sich mit dem Hinweis, beim Gehen nicht zu trinken, wohl an die autolosen Trinker wendet. Auf der ungeteerten Straße spazieren Frauen mit ihren Einkäufen auf dem Kopf, Kinder spielen im Dreck. Fish & Chips verheißt ein Laden, Gemüse und Obst ein anderer, aber auch eine Vodafone-Reklame ist zu sehen. Auch hier gehört das Handy zum Alltag.
Am Rand der grauen Wellblech-Siedlung zeigt uns Tshepo eine Reihe neuer, leerer Häuser. Die Regierung habe sie gebaut, um die Armen umzusiedeln, erzählt er. Aber niemand wolle in die Wohnungen einziehen, die auch noch Miete kosten. „Die Leute wollen lieber ihre Wellblechhütten behalten“, sagt unser Radguide und schüttelt den Kopf ob so viel „Halsstarrigkeit“. Irgendwann werde die Regierung die Geduld verlieren und die Siedlung zwangsräumen, fürchtet er.
In Orlando West wohnen die, die es zu etwas gebracht haben
Gleich über der Straße ändert sich das Bild schlagartig. Hier in Orlando West, dessen Silhouette von den zwei bemalten Türmen des ehemaligen Kraftwerks und von dem zur Fußball-WM aufgehübschten Stadion der Orlando Pirates beherrscht wird, wohnen diejenigen, die es zu etwas gebracht haben. Am Straßenrand parken BMW, Mercedes, Audi und sogar ein Jaguar. In der Vilakazi Street fotografieren sich modisch gekleidete Pärchen gegenseitig vor dem Haus, in dem Nelson Mandela einige Jahre gewohnt hat. Es ist heute Museum. Ein paar Ecken weiter versteckt sich das Haus von Bischof Desmond Tutu hinter einer Hecke. „Zwei Nobelpreisträger in einer Straße. Das gibt’s nur hier“, sagt Tshepo.
Und die Fußball-WM 2010? Hat sie auch Soweto etwas gebracht, wollen wir wissen. Tshepo zögert. Ja, das Stadion sei jetzt viel schöner und größer. Aber Weltmeisterschaftsspiele fanden hier keine statt, dafür habe Shakira in Orlando West ihre Hüften geschwungen. Tshepo rollt die Augen und macht einen Kussmund. „Das war schon was!“
Die Nachwuchs-Fußballer freilich kicken nicht im Stadion, sondern in Sowetos Hinterhöfen – wie Lawrence Siphiwe Tshabalala, der 2010 bei der WM das erste Tor für seine Mannschaft gegen Mexiko schoss. Natürlich träumen Sowetos Nachwuchs-Kicker von einer solchen Karriere. Und der Fußball-Hero macht ihnen auch Mut: In der Township habe er fürs Leben gelernt, hat Tshabalala gesagt.
Seine Schwester Antoinette erinnert sich genau an den Tag, als Hector starb
Für Hector Pieterson gab es diese Chance nicht. Im Museum, das seinen Namen trägt, erzählt uns seine Schwester Antoinette, wie sie den Tag erlebt hat, an dem der 13-Jährige den Tod fand. 16 Jahre alt war sie damals, als das Foto gemacht wurde, das die Welt erschütterte.
Aber die 54-Jährige erinnert sich an den Tag, als wäre es gestern gewesen. An die geheimen Treffen, die diesem 16. Juni vorangingen, an die Aufregung, als die Schüler in ihren Uniformen loszogen in Richtung Orlando West, um dagegen zu protestieren, auf Afrikaans unterrichtet zu werden, der Sprache der Apartheid. „Wir waren fröhlich, sangen Lieder. Es war ein friedlicher Marsch durch die Straßen von Soweto“, erzählt Antoinette.
Als der Protestmarsch die mittlerweile verbarrikadierte Schule erreichte, hätten sie die Polizei erst einmal ignoriert. „Plötzlich fiel ein Schuss. Das war so beängstigend“, sagt Antoinette. Sie habe ihren Bruder zu sich gerufen, um nach Hause zu gehen, ihn aber im Gedränge wieder verloren. „Wieder fiel ein Schuss. Plötzlich kam wie aus dem Nichts ein Mann auf mich zu. Das Erste, was ich sah, waren die Schuhe meines Bruders.“
Antoinette Sithole hat ihren Frieden mit den Weißen gemacht
Der Mann legte das sterbende Kind in das Auto einer Journalistin, Antoinette kam mit. Im Hospital konnten die Ärzte nichts mehr für Hector tun. Was Antoinette aus einem Fenster des Krankenhauses beobachtete, ließ sie an einen Alptraum glauben: „Ein Regierungsauto kam vorbei, und der weiße Fahrer wurde von der wütenden Menge gelyncht.“
Die rundliche Frau mit dem freundlichen Gesicht wischt sich über die Augen. Dann sagt sie mit fester Stimme: „Auch er ist nicht umsonst gestorben, auch er hat geholfen, unser Land zu dem zu machen, was es heute ist.“
Antoinette Sithole hat ihren Frieden mit den Weißen gemacht. 1989 war sie zur Wende in Deutschland, um eine Schule in Kreuzberg auf den Namen ihres Bruders zu taufen. „Es war sehr emotional“, sagt sie, und dass Ostberlin damals ausgesehen hätte, als sei der Krieg erst gestern gewesen. Sie greift zum Handy, um ihren Mann anzurufen.
Wir aber treten noch einmal kräftig in die Pedale, um den letzten Aufstieg zu bewältigen. Noch ein Blick auf das aufufernde Soweto, noch ein letztes Winken, dann rollen wir hinunter zu unserem Ausgangspunkt, um unsere Räder abzugeben.