Als hätte ein Riese sie fein säuberlich aufgereiht und zusammengeschoben, ragen die Berge rechts und links des Nærøydalen steil in den wolkenverhangenen Himmel. Die kahlen Gipfel verlieren sich in den grauen Wolken, zu ihren Füßen schlängelt sich das Flüsschen Nærøydalselvi durch das grüne Tal, bis es sich am Horizont zwischen den Felswänden verliert. Es ist ein Anblick zum Versinken, zum stillen Genießen, zum Grübeln.
Genau das tat auch Wilhelm II. Stundenlang habe der Kaiser auf einer Bank gesessen und ins Tal hinabgeblickt, erzählt Trygve Dugstad. Der Manager des nahen Stalheim-Hotels steht auf der sogenannten Wilhelmshöhe und genießt den kaiserlichen Ausblick. Dugstad sieht mit seinem Schnauzer, dem schütteren grauen Haar und dem Bauchansatz aus wie Otto von Bismarck in seinen besten Jahren. Als hätte man den Eisernen Kanzler aus der Kaiserzeit per Zeitmaschine in die Gegenwart gebeamt und in einen dunklen Anzug gesteckt. Sein Hotel, so der Manager, zehre noch heute von dem Gast aus dem Deutschen Reich, der vor über 100 Jahren dort eingekehrt war.
Von 1889 an brach der letzte deutsche Kaiser jeden Sommer auf seiner Jacht „Hohenzollern“ Richtung Norden auf. Entlang der Westküste Norwegens schipperte er mit seiner Entourage bis hinauf nach Trondheim und über die Fjorde ins Landesinnere. Und viele folgten ihm nach. Des Kaisers „Nordlandfahrten“ brachten den Tourismus in Norwegen, das bis 1905 unter schwedischer Herrschaft stand, ordentlich in Schwung. Deutsche, die es sich leisten konnten, reisten ihrem Monarchen nach. Selbst als 1914 der Erste Weltkrieg schon unmittelbar bevorstand, ließ sich Wilhelm II. seine Reise in den Norden nicht nehmen.
Der norwegische Maler und gute Freund des Kaisers, Hans Dahl, war dabei, als die Nachricht in dem Dorf Balestrand am Sognefjord eintraf. Auf der Unterseite eines Stuhls, auf dem Wilhelm II. angeblich zu dem Zeitpunkt gesessen hatte, schrieb Dahl: „Am Nachmittag des 25. Juli zwischen 5 und 5.30 Uhr verabschiedete sich Kaiser Wilhelm. Um 6 Uhr fuhr er mit der Hohenzollern weg, als er hörte, dass der Krieg zwischen Österreich und Serbien ausgebrochen sei.“ Es sollte Wilhelms letzter Besuch als Kaiser gewesen sein.
In Balestrand war Wilhelm II. regelmäßig beim berühmten Maler Hans Dahl zu Gast
Eben jenen Stuhl präsentiert Kjetil Bakken im Kviknes Hotel in Balestrand gern jedem Gast, der danach fragt. Er habe ihn eigenhändig aus Dahls Atelier hergetragen, behauptet er. Obwohl das Hotel als Norwegens größtes Holzhaus an sich schon eine Sehenswürdigkeit in dem kleinen Örtchen ist, schmücken viele kaiserliche Souvenirs von der „Hohenzollern“ die Flure. Eine Menükarte verrät, was der Kaiser gegessen hat, ein Programm zeigt, welche Musikstücke zum Essen gespielt wurden. Im Hotel selbst ist Wilhelm II. nie abgestiegen. Er machte in Balestrand lediglich Halt, um seinen Freund Hans Dahl zu besuchen. Was Bakken und seine Kollegen natürlich nicht daran hindert, fleißig mit ihm zu werben.
Wer sich in Norwegen doch etwas mehr Kaisernähe wünscht, muss sich ein paar Fjorde weiter nach Øye begeben. Im dortigen Hotel Union kann man sich sogar ins Bett des Kaisers legen. Oder zumindest das Zimmer buchen, das auch Wilhelm II. bei seinem Besuch in dem 1891 eröffneten Hotel bewohnte. Jeder Raum ist übrigens nach einer Berühmtheit benannt, die dort schon genächtigt haben soll, vom Komponisten Edvard Grieg über Sherlock-Holmes-Autor Arthur Conan Doyle bis hin zur dänischen Königin Margrethe. Die Ausstattung ist entsprechend antik.
Den Kaiser soll es ja immer in den hohen Norden gezogen haben, wenn es in seinem Reich Schwierigkeiten gab. Die Abkürzung seines lateinischen Titels „Imperator Rex“, I.R., deuteten seine Untertanen deshalb spöttisch zu „Immer Reisebereit“ um. Auch wird ihm ein Hang zur Romantik nachgesagt, eine Neigung, die der wanderfreudige Monarch vor der reizvollen Fjordlandschaft voll ausleben konnte. Den Norden soll Wilhelm II. nicht zuletzt als die „Wiege der Germanen“ verklärt haben.
Fjordnorwegen: Bis zu 200 Kreuzfahrtschiffe kommen pro Jahr in das Örtchen Geiranger
An kaum einem anderen Ort ist diese Landschaft so opulent mit Schönheit bedacht worden wie in Geiranger. Tiefblaues Wasser, grüne Hänge, schneebedeckte Gipfel, hunderte Meter hohe Wasserfälle: Norwegischer geht es nicht. Seit 2005 ist die Gegend um das Dorf am Ostzipfel des gleichnamigen Geirangerfjords Unesco-Welterbe. Und so kommt es, dass jeden Sommer bis zu 200 Kreuzfahrtschiffe in der 250-Einwohner-Gemeinde vor Anker liegen und tausende Passagiere an Land spucken. Die meisten setzen sich sofort in Busse und werden zum rund 2500 Meter hohen Dalsnibba oder einem anderen Aussichtspunkt gekarrt, bevor es am Abend wieder aufs Schiff geht. Naturtourismus im Eilverfahren.
Anreise, Unterkunft & Co.: Informationen zu Norwegen
Anreise: Bergen und Ålesund sind mit dem Flugzeug erreichbar. Von dort kann man mit Fähren, Bussen oder einem Mietwagen ins Landesinnere fahren. Außerdem steuern viele Kreuzfahrtschiffe Fjordnorwegen an. Unterkunft Im Hotel Union in Øye lebt die Vergangenheit, jedes Zimmer ist nach einem berühmten Gast benannt, der dort übernachtet hat. Sogar ein verwunschenes „Geisterzimmer“ kann man buchen. Ein Doppelzimmer gibt es ab 195 Euro. E-Mail: post@unionoye.no.
Essen und Trinken: Die Kneipe und Brauerei „Ægir“ in Flåm ist im Stil einer Wikingerhalle gehalten, mit Drachenköpfen und einem neun Meter hohen Kamin. Dort gibt es selbst gebrautes Bier und echte Wikingerkost.
Währung: In Norwegen wird mit Kronen gezahlt. Aktuell gibt es für einen Euro neun norwegische Kronen. Kreditkarten werden aber nahezu überall angenommen.
Allgemeines: Weitere Informationen zu Fjordnorwegen gibt es unter folgenden Internetseiten: visitnorway.com, fjordnorway.com, visitbergen.com, visitalesund.com, geirangerfjord.no. (sial)
Das Naturerlebnis hat auch die norwegische Tourismusbehörde längst für ihr Marketing entdeckt. Nicht zuletzt, weil Norwegens Wirtschaft massiv unter der Ölpreiskrise leidet, die in dem Land schon viele Menschen den Job gekostet hat, sucht man verstärkt andere Einkommensquellen. Das zeigt sich vor allem an der Küste. Im Hafen von Bergen lagen vor einiger Zeit noch viele Öltanker. Bei einem Rundgang am Kai fallen aber vor allem Jachten, Segelschiffe und Kreuzfahrtschiffe auf, die im feuchten Seewind vor sich hinschaukeln.
Auf dem berühmten Bergener Fischmarkt versucht Marco Giordano gerade, einer Touristin aus Brasilien eine Dose Kaviar zu verkaufen. Seit acht Jahren lebt er in Bergen. Zuerst verdingte er sich als Fischer auf dem Atlantik, jetzt ist er Verkäufer, weil er recht passabel mehrere Sprachen spricht, wie er sagt. „Ohne die Touristen würde es den Fischmarkt nicht mehr geben. Sie bringen das Geld in die Stadt.“ Und schon wendet der Mann mit dem Drei-Tage-Bart und der leuchtend orangefarbenen Schürze sich wieder der Brasilianerin zu, die fasziniert ein Stück Walfleisch begutachtet.
Bergen hat für Touristen einiges zu bieten, Deutsche machten es im 17. Jahrhundert als Standort der Hanse zu einem bedeutenden Handelshafen. Das von den Hanseaten erbaute Viertel „Tyske Bryggen“ („Deutsche Brücke“) zählt mit seinen 300 Jahre alten bunten Holzhäusern zum Welterbe. Dort lebten einst die deutschen Kaufleute und trieben Handel. Außerdem starten in Bergen die Schiffe auf den weltbekannten Hurtigruten.
Nach einem Brand half der Kaiser, Alesund wieder aufzubauen
400 Kilometer die Küste entlang nach Norden, treffen die Touristen in Ålesund auch wieder auf den Kaiser. Ein sieben Meter hoher Obelisk auf dem Hausberg Aksla, von dem aus das Konterfei Wilhelms II. auf die Stadt hinabstarrt, erinnert hier an den Monarchen. Sogar eine der Hauptverkehrsstraßen trägt seinen Namen. „Er ist unser Held. Ålesund wäre nicht dasselbe ohne ihn“, sagt ein älterer Herr am Abend im Pub „Dirty Nelly“ auf die Frage nach dem Kaiser und bestellt aus Verbundenheit zu den Deutschen erst einmal eine Runde Jägermeister.
Im Januar 1904 vernichtete ein Großbrand weite Teile von Ålesund, die Holzhäuser brannten 16 Stunden lang lichterloh. Wie durch ein Wunder starb nur ein einziger Mensch, doch mehr als 10000 Menschen wurden obdachlos. Wilhelm II. schickte nur einen Tag später Schiffe der Reichsmarine mit Decken, Nahrung und Medikamenten los, später bauten deutsche Ingenieure Baracken für die Obdachlosen auf. Auch dank dieser Hilfe konnten innerhalb von nur drei Jahren 600 Gebäude neu aufgebaut werden, die heute der Innenstadt von Ålesund ihren Jugendstil-Charme verleihen.Geschwungene Formen, bunte Verzierungen, Erker und Giebel prägen die Quadersteinbauten rund um das Hafenbecken.
Nach dem Krieg und der Abschaffung der Monarchie war aller Glanz verloren. Wilhelm II. aber kam weiter. Die Zeitzeugin Klara Maråk berichtet von einem seiner letzten Besuche bei ihrem Großvater Knut Maråk. Der Gutsbesitzer hatte dem Kaiser bei dessen Besuchen in Geiranger regelmäßig Kutschen für Ausfahren besorgt: „Ein grauhaariger, bärtiger Herr kam vorbei, nur ein Diener begleitete ihn. Knut schien es, er kenne den Herren und fragte vorsichtig: ,Ist es wirklich…?‘ ,Ja, es ist wirklich…‘, antwortete der ehemalige Kaiser und sie umarmten sich.“ Norwegen ließ den Kaiser nie mehr los.