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Ostsee: Urlaub auf der Insel: Ach Hiddensee, du stille Perle

Ostsee

Urlaub auf der Insel: Ach Hiddensee, du stille Perle

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    Still liegt sie da... : Die Insel Hiddensee in Luftaufnahme.
    Still liegt sie da... : Die Insel Hiddensee in Luftaufnahme. Foto: Christian Dandyk, Adobe.Stock

    Am Abend, wenn die Insel zur Ruhe kommt, ist sie am schönsten. Wenn die letzte Fähre nach Rügen abgelegt und alle Tagesbesucher wieder mitgenommen hat. Wenn die großen Strandkorbbesitzer und die kleinen Sandburgenbauer, die sich gegen den Wind stemmenden Radfahrer und die über die Salzwiesen ziehenden Wanderer scheinbar gleichzeitig in ihren Ferienwohnungen verschwinden, und wenn dort erst die Herdplatten angehen und dann die Fernseher flackern.

    Dabei muss man genau dann unterwegs sein auf Hiddensee. Man könnte durch die violett blühende Heide ziehen, in den Fußstapfen von Falk Majewski, der als Leitschaf etwa 400 Rauhwollige Pommersche zur Landschaftspflege ermuntert. „Nur wenn die Heide beweidet wird, verjüngt sie sich auch – und wir haben hier eine der letzten größten Dünenheiden an der Ostseeküste“, sagt der Schäfer. Man könnte aber auch wie die anderen Eingeweihten in die charmante Seebühne pilgern, wo Karl Huck und sein Team im winzigen Figurentheater die Puppen tanzen lassen, immer eine Stunde lang, jedes Mal ein kleines Meisterwerk. Oder man könnte sich ins Zeltkino verirren, in dem die Tradition der Hiddenseer Kinosommer mit ambitioniertem Programm fortgesetzt wird, und wo man auch den Inselfilmklassiker „Lütt Matten und die weiße Muschel“ zu sehen bekommt.

    Hiddensee: Insel der Aussteiger und Andersdenkenden

    An der Kasse steht Betreiber Jörg Mehrwald, der ohne Punkt und Komma von den „positiv Verrückten“ erzählt, die auf der Insel gestrandet sind, und zu denen man ihn selbst sicherlich auch zählen kann. Das Inseloriginal „Gurke“ fällt ebenfalls in diese Kategorie. Tagsüber hat der frühere Barkeeper inzwischen den Hut des Kurkartenkontrolleurs auf. Abends aber, wenn man den letzten Hippie von Hiddensee auf ein Bier einlädt, erzählt der Mann, wie er als „subversives Element“ in der umzäunten DDR in den Knast geschickt wurde und später, wie so viele Aussteiger und Andersdenkende, hier einen Platz zum Atmen fand.

    Am besten aber spaziert man mit Sand zwischen den Zehen und Salz auf den Lippen auf den Backen am Strand entlang. Viele Kilometer sollte man gehen, so weit die Füße eben tragen, weil die Ostsee dann in der Dämmerung plötzlich silbrig zu schimmern beginnt wie flüssiges Blei. Für ähnlich gute Aus- und Einsichten kann man auch an Brombeeren und Schlehen und knorrigen Kiefern vorbei hinauf auf den Dornbusch marschieren: Dort steht der Leuchtturm, der über der Steilküste auch diese Nacht wieder verlässlich gen Ostsee blinken wird. Hier wie dort wirkt Hiddensee dann als Beruhigungsmittel für Reisende, die aus einer Welt kommen, in der es laut und hektisch zugeht. Auf Hiddensee hüten sie die Ruhe wie ein Schatz.

    Kein Lärm und bloß keine Hektik auf der Insel

    Bollerwagen und Pferdekutschen statt Privatautos, kein Lärm, bloß keine Hektik: Das ist das Urlaubsprogramm auf der rund 18 Quadratkilometer großen Insel. Fast alle der knapp 1000 Einwohner leben heute auf die eine oder andere Weise vom Tourismus: Es gibt inzwischen 3500 Gästebetten. Selbst die Kinder melken im Herbst die Sanddornsträucher, weil sich mit dem vitaminreichen herben Saft ein gutes Taschengeld verdienen lässt. Bürgermeister Thomas Gens macht seinen Job ehrenamtlich: Im Hauptberuf arbeitet er nämlich auf einem Kutter im Hafen von Kloster, der charmantesten Ortschaft der Insel. Heute hat er Hering, Dorsch und Flunder im Angebot. „Jeden Tag um 11.30 Uhr geht der Ofen auf. Dann gibt es eine Schlange – und ein paar Stunden später ist alles weg.“

    Heute rühmen die Bewohner der Insel ihre Heimat als „dat söte Länneken“, das süße Ländchen. Früher hatten sie indes kein Auge für dessen wilde Schönheit. Der Wald war im Dreißigjährigen Krieg abgefackelt worden. Der karge, sandige Boden gab kaum etwas her, und das wenige, das wuchs, wurde oft durch Stürme vernichtet. So hatten die Menschen nicht als Landwirte, sondern nur als Fischer ein Auskommen, und manch ein Junge verließ die Insel und fuhr zur See. Auch als in Heiligendamm, dem 1793 gegründeten ältesten deutschen Seebad, und etwas später entlang der Bernsteinküste auf Rügen der Tourismus in Schwung kam, schlummerte Hiddensee weiter im Dornröschenschlaf.

    Auf dem Inselchen gab es weder eine Promenade zum Flanieren noch ein Casino zum Amüsieren, und nur einfache Unterkünfte statt wie anderswo prächtige Logierhäuser im Stil der Bäderarchitektur. Auch die Reise nach Hiddensee war lange eine Odyssee, denn erst vor etwa hundert Jahren wurden in den Orten Neuendorf und Vitte die ersten Landungsbrücken für Dampfer und Motorboote gebaut. Zuvor musste man sich vom Tourenschiff in einem Ruderboot abholen lassen und dann von der Fährinsel zu Fuß durchs flache Wasser nach Hiddensee waten – die Damen wurden, so sie hübsch und leicht waren, auch getragen.

    Gerhart Hauptmann befand: „Eins der lieblichsten Eilande“

    In der Abgeschiedenheit einer vom Weltengetöse unberührten Insel zu wohnen, zu arbeiten und mit Freunden Feste zu feiern: Solch ein Leben faszinierte den Poeten Gerhart Hauptmann. 1885 kam er zum ersten Mal nach Hiddensee und verfasste sogleich das Gedicht „Mondscheinlerche“. Wer bei der Lektüre seiner Zeilen in einer warmen Sommernacht Mondschein auf Wiesen und Feldern schillern sieht und sanfte Wellen auf dem weißen Dünensand, wer die Lerche trillern hört und das Meer posaunen, der möchte die Idylle gleich selbst erleben.

    „Eins der lieblichsten Eilande“ sei Hiddensee, ließ er einen Freund wissen. „Nur stille, stille, dass es nicht etwa ein Weltbad werde.“ Das wurde es nicht, doch die Intelligenzija des frühen 20. Jahrhunderts war regelmäßig hier zu Gast. Die Schriftsteller Thomas Mann, Joachim Ringelnatz und Hans Fallada kamen für die Sommerfrische. Erich Heckel und Otto Mueller von der Künstlergruppe „Brücke“ malten die Insel. Dazu gesellten sich Wissenschaftler wie Albert Einstein oder die Puppenmacherin Käthe Kruse. Später zog die Stummfilm-Ikone Asta Nielsen hierher: Ihr Haus und die Residenz von Gerhart Hauptmann sind heute Museen.

    Der Literaturnobelpreisträger schätzte die Insel derart, dass er hier begraben werden wollte, und auch in seinem literarischen Werk ist Hiddensee verewigt. Im Drama „Gabriel Schillings Flucht“ möchte die Protagonistin Lucie Heil um dessen Flair allerdings ein Geheimnis machen: „Es wäre gar nicht gut, wenn die Insel bekannt würde; dann käme erst mal das ganze Großstadtgewimmel darüber hereingebrochen, dann wär’s mit ihrer Schönheit wohl aus.“

    Diese Befürchtung hat sich bislang nicht erfüllt Am Abend, wenn die Insel zur Ruhe kommt, ist sie immer noch wildschön wie vor hundert Jahren.

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