Langgezogen und mit einem makellosen Fahrbahnbelag unter den schmalen Reifen – es ist eine dieser perfekten Kurven, die einen Rennradfahrer auf der Abfahrt die Mühen des Anstiegs vergessen lässt. Die Laufräder schnurren in leichter Schräglage. Eigentlich gibt es jetzt keinen Grund, an den Bremshebeln zu ziehen und diesen herrlichen Sound zu stören. Und dennoch, wer das erste Mal auf St. Gilgen zurollt, wird vom Bedürfnis übermannt, zumindest die Geschwindigkeit zu drosseln – oder, was wahrscheinlicher ist, im Scheitelpunkt der Kurve anzuhalten. Der Reiz der Szenerie, mit dem schillernden Wolfgangsee im Vorder- und den markanten Bergzacken im Hintergrund, ist einfach zu stark.
Aber Jakob Schmidlechner hatte seinen Gast ja schon beim Start der Tour in Fuschl am See vorgewarnt. Der drahtige Mann mit kahlem Haupt kennt die Rennradregion Salzburger Land-Salzkammergut mit all den herrlichen Routen rund um Wolfgang-, Mond-, Fuschl- oder Attersee wie kaum ein anderer. Die Kurve hoch über St. Gilgen zählt zu den Highlights seines beneidenswerten Trainingsreviers.
Auf dem Fahrrad unterwegs im Salzburger Land
Jakob Schmidlechner ist Triathlet, hat schon am Ironman auf Hawaii teilgenommen. Er ist aber auch Hotelier. Nicht irgendeiner, sondern Inhaber des Rennrad- und Triathlon-Hotels Mohrenwirt, das in der Szene weithin bekannt ist – auch weil Jakob Schmidlechner und sein Team den Sport und die Gastfreundschaft richtig leben.
Es kann schon mal vorkommen, dass der Chef höchstpersönlich im Neoprenanzug in den Frühstücksraum schlappt, um sich nach dem morgendlichen Schwimmtraining für einen langen Arbeitstag zu stärken. Er darf das. „Meine Gäste selbstverständlich auch“, betont Schmidlechner und lächelt. Auch sonst hat man hier Verständnis für Extravaganzen der sportlichen Kundschaft. Wer sein eigenes Rennrad mitbringt und nicht im hauseigenen Radstadel abstellen will, kann sein geliebtes Sportgerät mit aufs Zimmer nehmen, versichert Schmidlechner.
Das Hotel Mohrenwirt ist kein normales Hotel – wenngleich hier augenscheinlich auch normale Gäste ohne Astral-Körper und Fitness-Uhr am Handgelenk Urlaub machen. Schief angeschaut wird deshalb übrigens niemand. Wer bei seiner Buchung den Zusatz Rennrad- und Triathlon-Hotel übersehen haben sollte, wird wohl spätestens beim Einchecken die sportliche Ausrichtung seiner Unterkunft erkennen. Die freundliche Dame an der Rezeption trägt kein Dirndl, wie man das von einem Hotel in Österreich gewohnt ist, sondern ein Radtrikot. Und beim Aufzählen der Annehmlichkeiten, die den Gast erwarten, spielt der Wellness-Bereich eine Nebenrolle - nicht nur zu Corona-Zeiten. Wichtiger ist für das Gros der Gäste der Trikot-Wasch-Service, die Navigationsgeräte mit eingespeicherten Tourvorschlägen zum Ausleihen, die Trainingsmöglichkeiten im See und im Freibad sowie die Öffnungszeiten des Radstadels nebenan mit Rennradverleih und Service-Station.
Salzburger Land und Salzkammergut: "Die schönste Rennrad-Region"
Hier ist Carol der Chef. Carol stammt aus Mauritius, war selbst mal Radprofi und strahlt eine Lebensfreude aus, die selbst den verbissensten Ausdauersportler lockerer macht. An den Wänden von Carols Imperium – ein ehemaliger Kuhstall – hängen an Haken sauber aufgereiht tipptopp gepflegte Leihräder und die Rennmaschinen jener Hotelgäste, die sich von ihren Lieblingen trennen konnten. Die Art, wie Carol ein Rad anfasst, die richtige Sattelposition für die Gäste einstellt und Anfängern Tipps gibt, lässt sofort erahnen: Hier sind Mensch und Rad in besten Händen.
Der Radservice und -verleih ist nur eines von vielen Mosaiksteinen in Jakob Schmidlechners Konzept, mit dem er vor gut zehn Jahren den Familienbetrieb neu aufgestellt hat. Ein Konzept, für das sie „Jaki“, wie ihn alle im Dorf nennen, anfangs belächelt haben. „Fuschl war ein verschlafener Ort mit älteren Gästen, die vor allem zum Wandern hierher gekommen sind“, erzählt der umtriebige Hotelbesitzer. Gerade hat er einem Neuankömmling aus Island den Weg zum Radstadel erklärt. „Heute sagen die Leute, dass wir den Ort cooler gemacht haben.“
Eine gute Idee zu haben und sie mit viel Herzblut umzusetzen, ist die eine Seite – aber Lage und Landschaft spielen eine mindestens genauso große Rolle für den Erfolg, weiß Jakob Schmidlechner. „Wir befinden uns – und da können wir nichts dafür – in der schönsten Rennrad- und Triathlon-Region mit den besten Trainingsbedingungen, die man sich nur vorstellen kann“, findet der sonst so bescheidene Hotelier.
Da ist zum Beispiel der türkisfarbene Fuschlsee, nur wenige hundert Meter vom Hotel entfernt. In seinem glasklaren Wasser werden selbst lange harte Krauleinheiten zum Genuss. Und Familienmitglieder, die lieber faulenzen, während der Partner, der Vater oder die Mutter für ein paar Stündchen an der Schwimm- oder Rad-Form arbeiten, finden am hoteleigenen Badestrand ihren Urlaubsfrieden. Dazu ist Salzburg mit seinem Kultur- und Shopping-Angeboten nur eine halbe Autostunde entfernt.
Fahrradtouren werden bei Touristen immer beliebter
Einer, der all die Vorzüge schätzen gelernt hat, ist Harry Kantsperger. Der gebürtige Münchner wartet mit seinem Rennrad vor dem Hoteleingang. Kantsperger war früher in der Medienbranche tätig. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet er in Fuschl am See. Wobei das mit Arbeiten ein bisschen Auslegungssache ist, zumindest was den einen Teil seines Erwerbslebens betrifft. Denn Harry bietet geführte Rennrad-Touren in der Region an. Unter anderem lotst er Gäste des Hotels Mohrenwirt über die Traumstraßen im Salzburger Land. Daneben vermietet Harry Ferienwohnungen in seinem Haus, dem „Casa Bicicletta“. Und er organisiert Radsport- und Triathlon-Veranstaltungen.
Begleitet wird Harry auf der heutigen Tour von Florian und Tobias, zwei junge Burschen aus dem Ort, die voll im Saft stehen und gelegentlich als Guides einspringen. Im Windschatten der beiden fühlt sich das Pedalieren auf dem Mondsee-Ufersträßchen wie Radfahren auf einem E-Bike mit viel Motor- und wenig Muskeleinsatz an. Dabei zeigt das GPS-Gerät am Lenker über 35 km/h an.
Weil Sonntag ist und der Autoverkehr rund um die Seen daher zunehmen wird, schlägt Harry vor, ins „Hinterland“, dem Attergau, mit seinen sanften Hügeln und verschlafenen Dörfern auszuweichen. „Die Möglichkeiten fürs Rennradfahren sind hier einfach gewaltig“, schwärmt Harry, während grüne Wiesen links und rechts vorbeihuschen. „Da ist für jeden etwas dabei.“ Von den Genusstouren rund um einen der Seen über die wildromantische Strubklamm bis hin zu schweißtreibenden Anstiegen hinauf zur idyllischen Postalm oder auf den Gaisberg, Salzburgs Hausberg. Obwohl Harry Jahr für Jahr tausende von Kilometer durch die Region rollt, fasziniert ihn das Wechselspiel aus See- und Berglandschaften stets aufs Neue – zumal sich im Jahresverlauf die Farbe der Seen verändere, wie Harry erklärt.
Triathleten nutzen Berge und Seen für ihr Training
Derzeit präsentiert sich der Mondsee in einem satten Smaragdgrün. Nach kurzweiligen 50 Kilometern durch den lieblichen Attergau taucht das Gewässer, das sich in Privatbesitz befindet und dessen Wert auf 16 Millionen Euro geschätzt wird, urplötzlich wieder auf, rund 200 Höhenmeter tiefer. Es beginnt eine rasanten Abfahrt, auf der es schwerfällt, bei diesem Seeblick die Augen auf der Straße zu halten.
Mittagessen im urigen Biergarten des Gasthofs Drachenwand mit der gleichnamigen Felswand im Hintergrund, die fast senkrecht 700 Meter in die Höhe ragt. Harry erzählt von seiner Zeit als Lizenz-Radrennfahrer für den RV Sturmvogel München. „Aber quälen war gestern“, sagt der 51-Jährige und bestellt sich ein Weißbier zur Leberknödelsuppe.
Eine Einstellung, die sich mit der von Jakob Schmidlechner deckt. Einer der Gründe dafür, warum er und Harry Kantsperger gerne gemeinsam Projekte vorantreiben, wie zum Beispiel den Charity-Triathlon „Risk Man“ in Fuschl. „Der Spaß und nicht der Ehrgeiz muss im Vordergrund stehen“, sagt Schmidlechner bei einem großen Stück Sachertorte nach der Rückkehr ins Hotel. Das gilt nicht nur für seine eigenen Ambitionen als Triathlet. Sich um das Wohl seiner Gäste zu kümmern, bedeutet für Jakob Schmidlechner manchmal auch, übereifrige Hobbysportler in ihrem Hang zur Selbstkasteiung zu bremsen. „Das fällt dem einen oder anderen schwer“, weiß Schmidlechner. Genauso wie in der Kurve über St. Gilgen am Wolfgangsee vom Rad zu steigen und kurz innezuhalten.
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