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Norwegen: Höchst unterschiedliche Frühlingsgefühle in Norwegen

Norwegen

Höchst unterschiedliche Frühlingsgefühle in Norwegen

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    Der Winter hat die Berge fest im Griff. Eine Fahrt mit der Bergen-Bahn.
    Der Winter hat die Berge fest im Griff. Eine Fahrt mit der Bergen-Bahn. Foto: Katharina Indrich

    Unscheinbar steht das graue Steinkirchlein auf dem Hügel. Nur den wenigsten der Passagiere, die auf der Fähre durch den Fjord nach Bergen schaukeln, wird St. Olav im Morgendunst zwischen Nebel und Nieselregen überhaupt aufgefallen sein. Eher vielleicht das riesige Boot mit den runden Tanks im Wasser davor, in denen das lagert, was unser Gefährt im Innersten antreibt –Flüssiggas. Doch für Kapitän Anders Dancker ist es jedes Mal ein besonderer Moment, wenn die Kirche in Sicht kommt. Dann postiert er sich auf der Brücke und ruft laut „Guten Morgen, Harald“. Seit vier Jahren. Bei jeder Fahrt.

    Der Gruß gilt dem Wikingerkönig Harald Schönhaar, der hier im neunten Jahrhundert zum ersten Mal so etwas wie ein geeintes Norwegen schuf. Der Däne Dancker ist nicht sicher, ob das morgendliche Ritual den raubeinigen Wikinger groß gekümmert hätte. „Aber ich muss einfach Guten Morgen rufen“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen. Schließlich markiere die Kirche, eine der ältesten Steinbauten des Landes, auch den Ort, nach dem das ganze Land benannt ist. Norwegen – der Weg nach Norden. Und der führte hier vorbei.

    Auch für uns geht der Weg durch den Fjord, der nach Norden führt. Die ganze Nacht über hat uns die Nordsee bei unserer Microkreuzfahrt auf der MS Stavanger im Schlaf gewiegt. Nach der Abfahrt von Langesund mit seinen schneeweißen Seemannshäuschen hinüber über den Skagerak nach Hirtshals noch etwas energischer. Doch da tanzte der Großteil der Gäste sowieso zur fetzigen Musik der Bluescruise auf dem schwankenden Parkett. Immer wieder mal, erzählt Kapitän Dancker, entern die Blues-Verrückten aus Bergen und Umgebung zwischendurch die Fähre und machen daraus ein schwimmendes Festivalgelände. Bis spät in die Nacht wird gesungen und gerockt, bevor es ab in die Koje geht und die See das letzte Wiegenlied übernimmt.

    Eine Qual für die Nase

    Am Hafen von Langesund startet die Mini-Kreuzfahrt.
    Am Hafen von Langesund startet die Mini-Kreuzfahrt. Foto: Katharina Indrich

    Den Weckruf übernehmen am Morgen unserer 16-stündigen Minicruise gen Norden die Möwen, die den Pott mit Platz für 1500 Passagiere lärmend begleiten oder faul im Wasser des Fjords dümpeln. Vor dem Bullauge verschmelzen See und Nebel zu einer grauen Wand, aus der immer wieder Silhouetten zerklüfteter Schäreninseln herausragen. Um die mächtige Fähre herum brodelt das Wasser in einem Türkisblau, als hätte jemand eine Brausetablette Karibik in den dunkelblauen Fjord geworfen. Dort, in der Karibik, ist Kapitän Anders Dancker jahrelang auf Passagierschiffen gekreuzt. Doch auch wenn der Himmel über dem Fjord heute grau ist, vermisst er die Karibik kein Stück. „Es ist einfach spektakulär hier oben im Norden“, sagt er. Selbst wenn die Strecke dem Seemann zwischen Haugesund und Bergen navigatorisch alles abverlangt.

    Früher, erzählt Stadtführerin Angela, war das leichter. Damals, als die Hanse in Bergen einen Posten hatte. Stockfisch, Lebertran und Walfischfleisch lagerten da in den seitlich offenen Lagerhäusern direkt am Hafen. Sie haben das Viertel der Hansekontore mit ihrer kunterbunten Holzfassade zum Weltkulturerbe gemacht. Doch einst war der Hafen wohl weniger ein Schauspiel für die Augen. Vielmehr eine Qual für die Nase. „Die Seeleute haben gesagt: Nach Bergen zu fahren, ist einfach. Bergen riecht man.“ Das, was sie mit ihren Schiffen aus dem hohen Norden brachten, gibt es im pittoresken Städtchen immer noch zu kosten. Auf dem Fischmarkt säbelt Maria, die eigentlich aus dem Baskenland stammt und die Woche über in einer Sprachschule arbeitet, jeden Samstag feine Probier-Stückchen vom tiefroten Lachs, verteilt Kostproben mit geräuchertem Walfischfleisch an die Touristen und fachsimpelt mit ihnen in fünf Sprachen über die verschiedenen Kaviarsorten. Gleich nebenan pulen wir fangfrische Krabben. Und draußen im Regen marschiert im Stechschritt eine Musikgruppe vorbei. Übung für den Nationalfeiertag.

    Die fünf Millionen Norweger, sie sind stolz auf ihr Land, auf ihre Geschichte. Das merkt man an jeder Ecke. An beinahe jedem Haus prangt ein Wimpel in den Nationalfarben Rot und Blau. Fahnen dürfen nur aufgehängt werden, wenn es angeordnet wurde. Es ist noch nicht lange her, da gab es in Bergen einen richtigen Fahnenstreit, erzählt Angela, die vor sechs Jahren ihrer Heimat Mannheim den Rücken kehrte, um in Norwegen ein entschleunigteres Leben zu führen. Die Feuerwehr war, wie so oft, zu einem Brand ausgerückt. Just an einem Tag, an dem Beflaggung angeordnet war. Weil alle beim Löschen waren, blieb die Feuerwehr-Flagge unten. Nach tagelangen Diskussionen wurde schließlich beschlossen, dass künftig immer einer im Feuerwehrhaus bleiben müsse – zum Beflaggen.

    Kaffetrinken bei 20 Grad. In Oslo ist es deutlich wärmer.
    Kaffetrinken bei 20 Grad. In Oslo ist es deutlich wärmer. Foto: Katharina Indrich

    Am nächsten Morgen wartet die Bergenbahn auf uns. In sieben Stunden wird sie uns zurück an den Ausgangspunkt bringen. In die Hauptstadt Oslo. Noch immer ist es in Bergen grau und kühl. Nichts Ungewöhnliches. Schließlich trägt die Stadt mit 240 Tagen Regen den zweifelhaften Titel „regenreichste Stadt Europas“. Unsere Fahrt führt uns vorbei an endloslangen Seen, in denen sich die bewaldeten Berge spiegeln und von denen Nebel aufsteigt. Durch zahllose Tunnel klettert der Zug hinauf ins Hochland. Mit der Höhe und der Kälte beginnen die Wasserfälle, die eben noch ins Tal stürzten, langsam zu Eisskulpturen zu erstarren. Der Höhepunkt ist in Finse erreicht. Mit 1222 Metern über dem Meer der höchste Bahnhof Nordeuropas. Keine einzige Straße führt in den Ort.

    Vom Schiff direkt auf die Ski

    Wer nach Finse will, kommt mit der Bahn, per Ski, zu Fuß oder mit dem Rad. Hundeschlitten geht auch, hat uns Fährenkapitän Dancker verraten und uns erzählt, dass Amundsen hier für seine Polarexpedition trainiert hat. Und ausgerechnet der Seebär hat von der frischen Luft hier oben geschwärmt. Frisch ist es in der Tat. Bei null Grad ist Finse schockgefrostet. Hoch türmt sich links und rechts der Schienen der Schnee. Und so schnallen sich einige Passagiere beim Aussteigen sofort die Langlaufskier an und fahren noch auf dem Bahnsteig los. Von Finse aus geht es, vorbei am Gletscher Hardangerjøkulen, auf dem Szenen für den Eisplaneten Hoth in Star Wars gedreht wurden, wieder bergab. Mit jedem Kilometer klettern die Temperaturen draußen. Zwei Stunden später rattern wir vorbei an Gärten, in denen sich die Menschen in der Frühlingssonne räkeln. Und dann sind wir wieder zurück in Oslo, von wo aus wir drei Tage zuvor mit dem Zug nach Porsgrunn und mit dem Bus nach Langesund gefahren sind, um die Fähre nach Bergen zu besteigen.

    Entspannt geht es in der Hauptstadt zu. Auch wenn überall gebaut wird, gibt es Ecken, die beinahe ländlich wirken. Etwa auf der Festung Akershus direkt über dem Ufer des Oslofjords. Dort genießen die Norweger im Schutz der Backsteinbauten die Frühlingssonne. Genauso wie drunten auf dem Dach des gläsernen Opernhaus, das an einen glitzernden Eisberg erinnert, der in den Fjord gleitet. Nach einem langen Winter es für viele Hauptstädter ein idealer Platz, um Sonne zu tanken. Und so liegen und sitzen sie auf dem Pflaster. Wer es lieber eine Prise royaler mag, der schlägt seine Picknickdecke im Vorgarten des königlichen Schlosses auf. Und sollte man das schon zum Frühstück tun, dann kann man es ja mit Kapitän Dancker halten und es mit einem fröhlichen „Guten Morgen, Harald!“ probieren.

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