Sonnengarantie und Endlosstrände: Die Touristen lieben sie an Fuerteventura. Das Landesinnere mag angesichts der kilometerlangen Dünen und der Wellen, über die die Kite-Surfer schanzen, weniger spektakulär erscheinen. Steine, kaum Grün, allemal ein Strauch sind zu sehen. Und dann dieser Wind, der über die Hügel fegt. Die einen können dieser Kargheit wenig abgewinnen. Doch sie verpassen etwas. Leo mit seinen Kaktusfeigen zum Beispiel.
Leocardio Araja Sánchez, so sein vollständiger Name, gehört zur recht überschaubaren Zahl an Landwirten, die den kargen Boden bestellen. Während im Jahr 1970 noch rund 3,5 Prozent der Fläche von Fuerteventura ackerbaulich genutzt wurden, sind es mittlerweile nur noch 0,1 Prozent. Der Tomatenanbau ist stark rückläufig. Eigentlich ist die vulkanische Erde auf der Insel recht fruchtbar, würde es nur mehr regnen. Nun ja, dachte sich Leo, man muss sich eben anpassen. Da waren die Kakteen naheliegend.
Und so steht Leo heute, mit Hemd, Weste und braunem Hut, auf seinen vier Hektar Land und lässt den Blick über die stacheligen Gewächse schweifen, die wahre Delikatessen bergen. Der 67-Jährige greift nach einer meterlangen Zange, dreht einen violetten Knubbel von einer Nopal-Kaktee und bürstet dessen feine, aber tückische Härchen sorgfältig mit einem Pinsel ab. „Kaktusfeigen, Tuno indio“, sagt er auf Spanisch. „Ich habe die Feige ins Labor geschickt, da steckt das Maximum drin, das eine Frucht bieten kann.“ Vitamine, Kalzium, Magnesium, Antioxidantien. Ein Superfood.
Leo schneidet die Frucht auf, die innen in dunklem Pink leuchtet und mit Kernen versehen ist. Diese Farbe hätten bereits die Indianer benutzt, um sich anzumalen. Und die Kaktusfeige ist nicht das einzige essbare Produkt der Pflanze: Auch die jungen Triebe, die noch nicht von Stacheln überzogen sind, lassen sich kredenzen. Etwa als Salat oder Marmelade. Leo beißt einfach ein Stück ab. „Die WHO sagt, die Kakteen sind die Zukunft. Wegen des Klimawandels“, erzählt er. Ist das so, dann wäre Leo einer der Visionäre auf Fuerteventura.
Leo ist noch ein echter Majorero, so werden die Inseleinheimischen genannt. Er lernte noch ein Leben auf Fuerteventura kennen, das ganz anders war. Heute lebt die Insel vom Tourismus, von den braun gebrannten Rentnern, die bei milden Temperaturen an der Costa Calma überwintern, von den Surfern, die übers aufgewühlte Wasser preschen. „Einst war es auf der kargen Insel eine große Herausforderung, Fuß zu fassen“, erzählt Kristina Zeidler. „Um 1970 ging es dann los mit den Gästen, mit den Robinson-Clubs. Das war eine ziemliche Revolution für die Ziegeninsel.“
Kristina Zeidler kommt ursprünglich aus Berlin, lebt aber seit 2003 auf der kanarischen Insel. Das war nie der Plan, eigentlich wollte die junge Frau nach ein paar Jahren Mithilfe auf einer Pferderanch wieder weg. Blieb aber hängen, arbeitet als Reiseleiterin, fördert nun insbesondere den sanften Tourismus. Und ist quasi Ziegenmama. „Es heißt, auf der Insel gibt es mehr Ziegen als Einwohner“, sagt sie. Drei davon habe sie selbst mit der Flasche großgezogen. „Meine Familie Mäh.“
Die blonde Frau mit den blauen Augen und dem breitkrempigen Strohhut unternimmt Trekkingtouren mit Urlaubern, die eine andere Seite der Insel kennenlernen wollen, abseits des Touristentrubels. An der Leine dabei: die Ziegen. Zunächst trotten sie neben der Gruppe her, die die Sicht über das Naturschutzgebiet von El Cardon bewundert, das Spiel von Licht und Schatten auf den Bergen, die Weite. Familie Mäh geht es nicht schnell genug. Von der Leine gelassen, hüpft sie über Schotter und Sand, sucht nach dürrem Geäst, blökt hie und da. Oben angekommen, in einem steinernen Unterstand, geschützt vor dem Wind, der wenige Kilometer weiter Windräder zur Stromgewinnung antreibt, gibt es Gofio. Also für die Zweibeiner.
Gofio – Mehl, dessen Getreide vor dem Mahlen geröstet wurde – ist ein Allrounder der kanarischen Küche. Es eignet sich für Pasten, Brei, Suppe und Soße. Einst galt Gofio als Arme-Leute-Essen, war eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Guanchen, der ersten Einwohner der Inseln. Da und dort drehen sich noch Mühlen im Passatwind, die das Getreide auf überlieferte Weise mahlen. Kristina Zeidler knetet es mit Wasser, etwas Öl und Zucker zu einem Teig, schneidet ihn in Stücke, die lebkuchenähnlich riechen. Dazu reicht sie Ziegenkäse.
Diese Speisen schmecken – gewiss besser als der Aloe-Vera-Trunk, auf den manch einer hier schwört. Bitter ist dessen Beigeschmack, erinnert an Lauch. „Man kann ihn auch mit Orangensaft mischen“, sagt Anna Filfil und lächelt, wohl wissend um die Reaktionen beim ersten Schluck. „Er wirkt entgiftend, ist gut bei Magenproblemen und für das Blut.“ Sie arbeitet auf einer Plantage bei La Oliva im Naturpark La Arena, auf der allein 3000 Pflanzen gedeihen. Bis zu 40 Jahre alt wird die Aloe Vera, deren äußere Blätter in Handarbeit geerntet werden, während die inneren nachwachsen. Ein weiterer Vorteil: „Sie braucht vielleicht ein Schnapsglas Wasser am Tag“, erklärt Anna Filfil. Der graue Vulkanboden ist überzogen von Schläuchen, aus denen morgens für zehn Minuten Wasser tröpfelt. Der Trunk ist nur ein Produkt, das aus dem durchsichtigen, klebrigen Fruchtfleisch der Heilpflanze hergestellt wird. Besucher können auf der Plantage auch Kosmetika, Gel, Salben erwerben –und sich sogar bei einer Massage durchkneten lassen.
Das kann man zwar auch im Hotel an der Küste, nahe den Traumstränden und den Wellen. Doch die andere Seite der Insel bleibt dann verborgen.
Kurz informiert:
- Unterkunft Das Hotel Meliá Gorriones auf der Halbinsel Jandía ist an einer Lagune gelegen, die sich bestens zum Wind- und Kite-Surfen eignet. Auch Kurse werden angeboten. Näheres über den Reiseveranstalter FTI (www.fti.de).
- Restaurant Das rustikale Restaurant El Horno in Villaverde ist ein Treffpunkt Einheimischer. Kanarische Spezialitäten werden dort serviert.
- Sehenswert an der Küste La Pared an der wilden Westküste, die Höhlen von Ajuy, Playa los Lagos bei Cotillo.
- Sanfter Tourismus Mehr über die Touren mit Kristina Zeidler unter fuerte-authentic-tours.com