Sind Sie selbst Seglerin?
Kristina Müller: Ja, ich segle leidenschaftlich gern. Als Kind habe ich segeln gelernt, und das lässt einen ja irgendwie nicht mehr los!
Was ist Ihr Lieblingsrevier?
Müller: Zurzeit die Nordseeküste, das Revier vor meiner Haustür. Der Nordsee eilt zwar ein schlechter Ruf voraus, aber das stimmt nur bedingt. Das Wattenmeer rund um die ostfriesischen und nordfriesischen Inseln ist durch den ständigen Gezeitenwechsel ein unheimlich spannendes Revier. Wenn das Wetter stimmt, lässt man den Anker fallen, wartet auf die Ebbe und lauscht den Vögeln und der Stille. Magisch.
Könnten Sie sich vorstellen, um die Welt zu segeln?
Müller: Vorstellen: klar! Wirklich selbst machen? Schwer zu sagen. Ich habe Respekt vor einigen Ecken auf den Weltmeeren, vielleicht auch aufgrund der vielen Geschichten über Weltumsegelungen, die ich kenne oder aufgeschrieben habe. Natürlich hätte ich große Lust, lange und ausgiebig segeln zu gehen, aber es müsste nicht zwingend komplett um die Welt gehen. Aber klar, wenn man erst einmal unterwegs ist, tastet man sich Stück für Stück vielleicht ganz unbewusst an eine richtige Weltumsegelung heran.
Woher kommen Zeit, Geld und Mut für eine Weltumsegelung?
Allein oder lieber im Verbund einer Rallye?
Müller: Wenn überhaupt, dann auf eigene Faust. Segeln bedeutet für mich Freiheit, also auch die Freiheit, mein eigenes Tempo zu haben, und die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann und wohin ich segle. Das kann man in einer Flottille nicht. Dennoch stößt das Rallyekonzept auf große Nachfrage. Das Gefühl, in einer Gruppe zu segeln, gibt viel Sicherheit.
Was brachte Sie auf die Idee zu dem Buch „Freiheit auf Zeit“?
Müller: Ich bin zwar mit dem Segeln aufgewachsen – meine Eltern hatten ein kleines Boot –, aber das Thema Weltumsegeln war mir immer völlig fern. Vielleicht auch, weil ich aus dem Binnenland von einem kleinen See komme. Irgendwann habe ich ein Buch über eine französische Familie gelesen, die mit sechs Kindern rund um Südamerika gesegelt ist. Da erst habe ich realisiert, wie viele da draußen große, faszinierende Törns unternehmen. Ich habe mich aber auch gefragt: Wie machen die das eigentlich alle? Woher nehmen sie Zeit, Geld und den Mut dafür? Ein Buch, das verschiedene Weltumsegelungsmodelle gegenüberstellt und diese Fragen beantwortet, gab es nicht. So entstand die Idee, dieses Buch selbst zu schreiben.
Helfen Sie einer Landratte doch bitte auf die Sprünge. Was ist die Barfußroute? Und was sind Blauwassersegler?
Müller: Blauwassersegeln bedeutet nichts anderes, als Segeln über Ozeane, draußen, wo das Meer so tiefblau ist, wie man sich das kaum vorstellen kann. Es ist quasi der Oberbegriff für Segelreisen übers Meer oder auch um die ganze Welt. Und diejenigen, die es dabei möglichst komfortabel haben wollen, reisen auf der sogenannten Barfußroute. Auf der segelt man überwiegend in tropischen Breiten in westlicher Richtung um die Welt. Dabei kommt der Passatwind meist angenehm von achtern. Da braucht man eher die Badehose als Schuhe und viel Kleidung. Daher der Name.
Das Buch versammelt zwölf Reisen deutscher Weltumsegler und ist laut Verlag ein Loblied auf die Abenteuerlust. Wo haben Sie Ihre Interviewpartner gefunden?
Müller: Den ersten ganz unromantisch: im Internet. Viele Weltumsegler bloggen über ihre Reisen. Ich habe aber auch mit Trans-Ocean, dem deutschen Verein für Hochseesegler, Kontakt aufgenommen. Wichtig war mir vor allem, dass es weitestgehend unbekannte Segler und Otto Normalmenschen sind, deren Geschichte noch nicht in einem Buch veröffentlicht wurde. Sie sollten alle ganz unterschiedliche Herangehensweisen an ihre große Reise haben hinsichtlich Dauer, Route, Bootswahl, Budget und so weiter.
"Man hat das Gefühl, dass es immer mehr werden"
Nach der Lektüre hat man das Gefühl, dass es jede Menge Menschen gibt, die sich eine Weltumsegelung zutrauen und sie auch unternehmen. Stimmt das?
Müller: Oh ja, und durch die wachsende Zahl an Blogs und Youtube-Kanälen über Weltumsegelungen hat man das Gefühl, dass es immer mehr werden. Was das Zutrauen angeht: Es gibt da draußen Segler, die schon ihr Leben lang segeln und wirklich fit sind, aber auch ambitionierte Anfänger, die sich sehr viel zutrauen – und oft viel Glück haben.
Es sind ja höchst unterschiedliche Protagonisten – vom Einhandsegler bis zur Familie oder auch dem Arzt im Katamaran. Welche Geschichte hat Sie denn am meisten beeindruckt?
Müller: Schwierige Frage! Die Beispiele, die Sie nennen, sind alle beeindruckend, weil jedes für sich eine eigene Herausforderung ist. Es ist anstrengend, gleichzeitig Kinder an Bord zu unterrichten und ein altes Schiff in Schuss zu halten. Es ist aber auch nicht leicht, für alles an Bord selbst verantwortlich zu sein. Mich hat die Reise des 25-jährigen Martin beeindruckt, der als junger Mann um die Welt gesegelt ist, und das größtenteils ohne funktionierenden Motor. Und die Geschichte des Paares, das 23 Jahre unterwegs war, ist auch faszinierend!
Hin und wieder erzählen die Interviewpartner auch von Problemen bei ihrem Abenteuer. Doch der Tenor der meisten ist positiv. Ist es denn tatsächlich so einfach, um die Welt zu segeln, wenn man es nur will?
Müller: Wenn man es wirklich will, ist es auf jeden Fall möglich – auch wenn es nicht immer einfach ist. Viele Weltumsegler sagen, dass die Hochs auf Langfahrt höher und die Tiefs tiefer sind als im normalen Landleben. Darauf sollte man wohl vorbereitet sein und vor allem sollte man das eigene Schiff gut kennen und instand halten können.
"Segeln lässt einen nicht los"
Sind solche Geschichten nicht auch ein gefährlicher Anreiz für Menschen, die das Abenteuer suchen? Zumal die Rückkehr in den Alltag nicht leicht zu sein scheint.
Müller: Viele, die wirklich das Abenteuer suchen und im Langfahrtsegeln ihren Lebensstil finden, kehren tatsächlich gar nicht in den Alltag zurück, sondern finden Mittel und Wege, um langfristig unterwegs zu sein. In Zeiten von Bordoffice und Remote Work wird es auch immer einfacher, als segelnder Nomade zu arbeiten. Und andere, denen die Rückkehr wirklich schwergefallen ist, brechen meist irgendwann wieder auf. Wie schon gesagt: Segeln lässt einen nicht los.
Einer der Interviewten berichtet von Abertausenden von Schiffen in der Straße von Singapur. Ein anderer klagt, dass selbst in der Südsee das Ursprüngliche verloren gegangen ist. Ist es da noch sinnvoll, Appetit auf das Abenteuer Weltumsegelung zu machen?
Müller: Eine Weltumsegelung heute ist sicher nicht mehr das Gleiche wie eine Weltumsegelung vor zehn, zwanzig oder 50 Jahren. Aber sie bleibt ein großes Abenteuer. Appetit machen muss also erlaubt sein, ob man zubeißt, muss ohnehin jeder selbst entscheiden. Das Buch richtet sich aber nicht nur an Menschen, die eine Weltumsegelung planen und Rat oder Inspiration dafür suchen, sondern auch an Sofa-Segler, die sich einfach gern dem Fernweh hingeben und träumen möchten.
Alle Gesprächspartner geben in dem Buch ja ihre ganz persönlichen Tipps für Möchtegern-Weltumsegler. Welche sind für Sie die wichtigsten?
Müller: Viele haben ganz konkrete Tipps für den Bordalltag gegeben, die sehr nützlich sind, weil sie aus der Praxis kommen. Bei den eher allgemeinen Tipps tauchen zwei Ratschläge immer wieder auf, die ich treffend finde. Das ist zum einen, dass man sein Schiff, vor allem aber auch seinen Traum vom Segeln erst einmal mit Rückfahrtticket auf Herz und Nieren testen sollte, bevor man alle Zelte abbricht. Der zweite lautet – fast ein wenig widersprüchlich dazu: „Nicht so viele Bedenken haben – einfach machen!“ Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.
Das Buch und die Autorin
Kristina Müller segelt seit ihrer Kindheit und hat ihre Passion zum Beruf gemacht. Als Redakteurin beim Segelmagazin Yacht schreibt sie über Menschen, Abenteuer und Trends aus der Welt des Segelsports. Die Autorin lebt in Bremerhaven. Ihr Buch „Freiheit auf Zeit“ ist erschienen bei Delius Klasing (256 Seiten, 16,90 Euro).