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Interview: "Corona hat gezeigt, wo die Chancen und Risiken im Tourismus liegen"

Interview

"Corona hat gezeigt, wo die Chancen und Risiken im Tourismus liegen"

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    Eine Frau vom Volk der Mapuche erzählt über Heilkräuter.
    Eine Frau vom Volk der Mapuche erzählt über Heilkräuter. Foto: Felipe Duran Ibanez

    Die ganze Welt muss erfahren, wie es ist, wenn keine Touristen mehr kommen; wenn niemand mehr reist. Nicht nur auf Mallorca oder in Ägypten fehlen die Touristen. Auch in den Schwellenländern wissen viele Menschen nicht mehr, wie sie ohne Touristen über die Runden kommen sollen. Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung zeichnet jedes Jahr sozialverantwortliche Tourismusprojekte mit dem To Do-Award aus. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Claudia Mitteneder über verantwortungsvollen Urlaub.

    Frau Mitteneder, 25 Jahre lang zeigte der To Do-Award, dass Reisen unter Umständen lebenswichtig sein kann – für die Menschen vor Ort. Doch in Corona-Zeiten fehlen die Touristen. Ist es in dieser Situation sinnvoll, den Award zu verleihen?

    Claudia Mitteneder ist Geschäftsführerin des Studienkreis für Tourismus.
    Claudia Mitteneder ist Geschäftsführerin des Studienkreis für Tourismus. Foto: privat

    Mitteneder: Natürlich! Gerade jetzt ist es besonders wichtig, auf diese Projekte aufmerksam zu machen und sie zu unterstützen. Immerhin ist der Preis mit 5000 Schweizer Franken dotiert. So erhalten die Projekte eine zusätzliche finanzielle Unterstützung.

    Was ist das für ein Projekt, das den Studienkreis davon überzeugt hat, es könne der Pandemie trotzen?

    Mitteneder: Das diesjährige Gewinnerprojekt „Rutas Ancestrales Araucarias“ erfüllt auf besonders beeindruckende Weise das Hauptkriterium des To Do-Award – die Teilhabe der lokalen Bevölkerung. 30 Familien Angehörigen des indigenen Volkes der Mapuche (übersetzt: „Menschen der Erde“) in Chile erzählen ihre Geschichte und lassen Besucher an ihrer traditionellen Lebensweise, teilhaben. Wichtig ist dabei, dass möglichst viele Mitglieder der Community in das Projekt eingebunden sind. Die Einkünfte aus dem Projekt sind nur ein Zusatzverdienst, und fast alle Aktivitäten nehmen nicht mehr als ein bis zwei Stunden täglich in Anspruch. Insofern können die Mapuche problemlos ihrer normalen Arbeit nachgehen. Besonders in Zeiten von Corona erweist sich das als Segen, da sie sich weiterhin unabhängig versorgen und ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.

    Mit der Auszeichnung rücken Sie auch das Volk der Mapuche in den Focus, das seit Jahrhunderten massiv unterdrückt wird. Kann denn ein Tourismusprojekt überhaupt dabei helfen, dem Staat Rechte abzuringen?

    Warum das Volk der Mapuche um sein Land fürchtet

    Mitteneder: Der angestammte Lebensraum der Mapuche wurde allein während der letzten Jahrzehnte von zehn Millionen Hektar auf jetzt 500.000 Hektar verkleinert. Mit dem Projekt „Rutas Ancestrales Araucarias“ setzen sich die Mapuche konsequent für die Anerkennung ihrer Kultur und Lebensweise ein. Bereits 2012 schlossen sich dazu verschiedene lokale Gemeinden zusammen, um über die wirtschaftlichen Perspektiven ihres Volkes zu beraten. Sie verbinden mit dem Tourismus auch die Hoffnung, ihr Recht auf Land besser verteidigen zu können. Indem die Mapuche mit ihren Gästen über den drohenden Bau von Fischfarmen oder Wasserkraftanlagen sprechen, klären sie nicht nur auf, sie gewinnen auch weitere Fürsprecher für die Verteidigung ihrer angestammten Territorien.

    Auf den „Rutas Ancestrales Araucarias“, den Straßen der Ahnen, erfahren Touristen viel über die Geschichte und Kultur der Mapuche. Wie finanziert sich das Projekt?

    Mitteneder: Komplett unabhängig – ohne fremde Geldgeber. Es werden verschiedene Routen, vielfältige Aktivitäten und auch Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Um den Mapuche neben zusätzlichen Einkommen aus dem Tourismus auch den Zugang zu Mikrokrediten zu erleichtern, wurde eine Gemeindebank aufgebaut. Darüber können sich die Mitglieder des Projekts zu sehr guten Konditionen Geld leihen und flexibel zurückzahlen. Die Investitionen der Gemeindemitglieder der letzten Jahre haben sich schnell ausgezahlt – sogar so sehr, dass viele freiwillig mehr als gefordert an die Bank zurückzahlen.

    Nachhaltige Tourismusprojekte können Krisen leichter bewältigen

    Dazu braucht es allerdings Touristen, die derzeit ausbleiben. Wie überleben solche Projekte ohne Gäste?

    Mitteneder: Wir sind überzeugt davon, dass der gemeindebasierte Tourismus im Gegensatz zum konventionellen Tourismus wesentlich widerstandsfähiger ist. Die Projekte sind nachhaltiger und breiter aufgestellt und nicht von einer Einkommensquelle wie dem Tourismus abhängig. So lassen sich Krisen leichter bewältigen.

    Schauen wir zurück auf die Preisträger vom Vorjahr, die bei der diesjährigen Online-Preisverleihung ebenfalls geehrt werden. Die Projekte Esfahk Historic Village im Iran und Banteay Chhmar Community Based Tourism in Kambodscha haben ja bereits ihre Erfahrungen mit dem Corona-Jahr gemacht. Konnten sie sich denn über Wasser halten? Was erwarten die Verantwortlichen von der Zukunft?

    Mitteneder: Bei beiden Projekten ist der ausländische Tourismus natürlich durch Corona völlig zum Erliegen gekommen. Die Dorfbewohner von Esfahk kümmern sich stattdessen um ihre Felder oder gehen ihren normalen Berufen nach. Am Projekt werden Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt, etwa Abwassertanks zur Wasseraufbereitung installiert, um Abwässer in der Landwirtschaft nutzbar zu machen. Unabhängig von der augenblicklichen Lage im Iran hoffen die Verantwortlichen, dass zumindest der inner-iranische Tourismus bald wieder ein gewisses Maß an Einkommen generieren wird. Ähnlich ist die Lage in Kambodscha. Da beide Projekte nicht allein vom Tourismus abhängig sind, sind sie resilienter in der Krise.

    Das Thema Menschrechte soll im Tourismus verankert werden

    Und wie sehen Sie die Zukunft des To Do-Award in diesen unsicheren Zeiten? Welche Hoffnungen verbindet der Studienkreis mit der Zeit nach Corona?

    Mitteneder: Der To Do-Award soll auch Hoffnung stiften für die Weiterentwicklung herausragender touristischer Initiativen nach Corona. Denn gerade diese Krise hat gezeigt, wo die Chancen und Risiken im Tourismus liegen. Tourismus wird ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für viele Länder des Globalen Südens bleiben, und wir setzen uns weiterhin für eine nachhaltige und sozialverantwortliche Form des Tourismus ein, von der auch die Bevölkerung des Landes profitiert.

    Nun verleiht der Studienkreis auch noch den To Do-Award Human Rights in Tourism – dieses Jahr zum fünften Mal. Er geht an geht an „Equality in Tourism international“, eine Londoner Organisation, die sich für volle Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen des Tourismus einsetzt. Womit hat die Organisation Sie besonders beeindruckt?

    Mitteneder: Der To Do-Award Human Rights in Tourism schafft ein Bewusstsein für Benachteiligungen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen im Tourismus und will dazu beitragen, dass das Thema Menschenrechte im Tourismus fest verankert wird. Das gilt natürlich auch und ganz besonders für die Rechte der Frauen weltweit. „Equality in Tourism“ ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie aus kleinen Initiativen eine weltumspannende Bewegung entstehen kann. Der Preis geht also wohlverdient nach London.

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