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Immer ostwärts: Im Iran unterwegs - mit gemischten Gefühlen

Immer ostwärts

Im Iran unterwegs - mit gemischten Gefühlen

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    Ali hat für jeden Gast einen Tee und ein Lächeln übrig. So weltoffen wie in seinem Laden geht im Iran nur selten zu
    Ali hat für jeden Gast einen Tee und ein Lächeln übrig. So weltoffen wie in seinem Laden geht im Iran nur selten zu Foto: Sünkel

    Mohammad steuert sein Auto entspannt durch die Straßen der heiligen Stadt. Mashhad ist ein Ort, den jedes Jahr Millionen Muslime besuchen, um am Schrein von Imam Reza zu beten. Mohammad zeigt an einer Straßenecke aus dem Fenster. Ich solle mir das ansehen. Polizisten, überall. Sie haben die Straßen zurückerobert, die Proteste eingedämmt. Auf beiden Seiten sind Menschen gestorben. Die Regierung spricht von einer internationalen Verschwörung. Mohammad glaubt daran so wenig wie seine Freunde. Als die Regierung in der Nacht auf den 15. November beschlossen hat, die Benzinpreise um bis zu 200 Prozent zu erhöhen, hat sich die angestaute Wut vieler Iraner auf den Straßen der Städte entladen. Ein stiller Zeuge an meinem letzten Tag im Iran ist mein Handy, auf dem ich trotz der gängigen SIM-Karte nur noch ausgewählte iranische Internetseiten abrufen kann. WhatsApp, Instagram, ausländische Webseiten, meinen VPN-Client – hat die Regierung sperren lassen.

    Mohammad zeigt mir Videos auf seinem Handy. Parolen skandierende Demonstranten. Brennende Transparente an einer Fußgängerbrücke. Nach einiger Zeit blickt er nach oben. Das sei die Brücke aus dem Video. Das Transparent habe man schnell ausgetauscht – in eine Werbebotschaft der Mobilfunkgesellschaft. Es zeigt jubelnde Frauen im Fußballstadion vor einer Wand grün-weiß-roter Fahnen.

    Die Erinnerungsspirale dreht sich zurück. Ich habe vor mehr als zwei Monaten von Armenien aus die Grenze in den Iran passiert. Ich entdecke ein Land, das mich jeden Tag überrascht, aber auch sprachlos zurücklässt. Warum sprechen dich die Menschen auf der Straße an und laden dich zum Abendessen ein? Warum schenkt mir der Obsthändler Früchte, der Apotheker Medizin? Wie passt die aufopferungsvolle Gastfreundschaft der Iraner mit dem restriktiven Staatsregime zusammen? Ich bin verwirrt und irre am ersten Tag durch die Straßen von Täbris auf der Suche nach einer SIM-Karte und Antworten.

    Ali repariert Nähmaschinen in Täbris

    Wer in den Iran reist, beraubt sich auf den ersten Blick vieler Freiheiten. Freie Rede. Alkohol. Hunde. Musik in der Öffentlichkeit. Alles verboten oder zu gefährlich. Am schlimmsten trifft es die Frauen: Kopftuchpflicht. Fahrradfahrverbot. Unterordnung als Hausfrau und Erzieherin. Kein freies Liebesleben. Vor dem Gericht zählt die Aussage der Frau nur halb so viel wie die des Mannes. Der Iran ist ein durch und durch repressives Land, das seine Verschlossenheit erst auf dem zweiten Blick verliert.

    Ali repariert auf geschätzten zwölf Quadratmetern Nähmaschinen im Zentrum der Millionenstadt Täbris. Er spricht ein paar Fetzen Englisch, die er sich hin und wieder zu einem Satz zusammennäht. Wenn die Wörter nicht zusammenpassen, helfen dem kleinen Mann mit Schnauzer im immerlächelnden Gesicht seine Freunde aus der Nachbarschaft.

    Eine der höchsten Moscheen des Iran: ein Blick vom Damavand in das Tal.
    Eine der höchsten Moscheen des Iran: ein Blick vom Damavand in das Tal. Foto: Sünkel

    Sieht Ali Reisende durch die offene Ladentür, stürmt er hinaus, rennt die paar Stufen zur Hauptstraße hoch und fragt sie, ob sie ihm nicht Gesellschaft leisten wollen bei einem Tee, zwischen Nähmaschinen, die man in Europa als Antiquität handeln würde. Sein Name und sein Laden ziehen in der Reisendenszene Kreise. Mehr als 8000 teeschlürfende Gäste haben sich in seinen Büchern verewigt. Ich frage Ali, ob er überhaupt noch dazu komme, Nähmaschinen zu reparieren. Er sagt, er würde lieber seinen Job aufgeben als seine Gäste. Vor kurzem sei eine Frau in den Laden gestapft, erzählt Ali, und habe sich darüber aufgeregt, dass die Maschine schon wieder den Geist aufgegeben habe – zwölf Jahre nach der Reparatur. Ali stöhnt und serviert Tee.

    Zwei Tage nach dem ersten Treffen mit Ali feiert das Land den Ausbruch des ersten Golfkriegs mit einer Kriegsausstellung, einer Militärparade und der Nachstellung eines erfolgreichen Manövers. Ich kenne kein anderes Land der Welt, das den Ausbruch eines Krieges feiert.

    Als die Bomben am Flughafen einschlugen

    Ali erinnert sich, dass er vor 39 Jahren als Fahrer gearbeitet und seinen Bus am Flughafen in Teheran geparkt hat. Nachdem Saddam Hussein eine Kanone als symbolischen Eröffnungsakt eines Blutbades in Bagdad Richtung Iran abfeuerte, habe der irakische Präsident großspurig einem Journalisten zugerufen, dass er ihn bald in Teheran interviewen könne. Die ersten Bomben schlagen unweit von Alis Bus im Flughafen ein. Er entkommt unverletzt und die große Geschichte der „Heiligen Verteidigung“ beginnt, die damit endet, dass Saddam Hussein nicht am nächsten Wochenende oder Monate später Teheran einnimmt, sondern nie. Ein Anblick, an den sich der Reisende gewöhnen muss: Von Nord bis Süd blicken an Straßenkreuzungen und Häuserwänden Tote auf die Passanten herab. Die Märtyrer eines Krieges, der bis heute eine wichtige Funktion im Iran erfüllt: die des ersten Heldenmythos nach der Staatsgründung der Islamischen Republik.

    Bastian Sünkel unterwegs im Iran.
    Bastian Sünkel unterwegs im Iran. Foto: Sünkel

    Als ich das Plakat in Mashhad mit den jubelnden Frauen im Stadion sehe, denke ich an Teheran zurück. Sahar Khodayari, „Bluegirl“ genannt, hat sich auf ein Spiel ihrer Mannschaft Esteghal ins Teheraner Azadi-Stadion geschmuggelt. Die Polizei hat Bluegirl nach dem Spiel festgenommen, als sie als Mann verkleidet aus dem Stadion ein Bild von sich in den Farben ihres Vereins gepostet hat, in Blau. Als ihr ein Prozess und Gefängnis droht, hat sie sich mit Benzin übergossen und angezündet. Sie starb. Im Iran war die Trauer groß um ein weiteres Menschenleben, das den restriktiven Gesetzen des Staates zum Opfer fiel. Die Fifa hat sich eingeschaltet. Just zu der Zeit, als ich mich in Teheran aufhielt, hat die Regierung Blocks umzäunt und den Frauen für ein Länderspiel im Azadi-Stadion aufgesperrt.

    Der Gegner auf dem Spielfeld: Kambodscha. Der eigentliche Gegner: die Regierung. Die Frauenblocks waren in Minuten ausverkauft. Nur 4000 Plätze in einem Stadion, das 78000 Menschen fasst. Die Regierung hat zwischenzeitlich eigenartige Maßnahmen ergriffen. Statt die Frauen vor die Tür zu setzen und damit den Ausschluss vom Asien-Cup zu riskieren, haben Ticketverkäufer weniger Männer ins Stadion gelassen. Bis auf die feiernden Frauenblocks war das Stadion in allen anderen Ecken annähernd ein Geisterspiel.

    Auch ich habe versucht, eine Karte zu kaufen: Erst fiel der Server des Online-Ticketanbieters aus. Dann hat das System meine Passnummer nicht akzeptiert. Als mir eine Freundin aus Teheran helfen wollte, scheiterte auch sie an den Hürden des Ticketsystems. Ich bin dennoch zum Stadion gefahren und habe ein paar junge Männer kennengelernt, die mir Eintrittskarten besorgen wollten. Doch der Schwarzmarkt war weg, von der Polizei geschlossen.

    Nach dem Fußballspiel gab es im Frauenblock Freudentränen

    Das Spiel endete 14 zu 0 für den Iran. Im Frauenblock gab es Freudentränen, erzählt mir Mahnaz. Sie hat eine Karte ergattert und erzählt, wie emotional der Moment war, als sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben durch die Gänge des (übersetzt) Freiheits-Stadions bewegt und am Ende des Tunnels das Grün des Fußballfelds gesehen hat. Als ich Mahnaz einen Tag nach dem Spiel treffe, sind ihre Fingernägel noch grün-weiß-rot lackiert.

    Kopftuchpflich gilt _ nur nicht für Schaufensterpuppen.
    Kopftuchpflich gilt _ nur nicht für Schaufensterpuppen. Foto: Sünkel

    Was ist der Iran? Nach den ersten Wochen finde ich keine Antwort. Der Apotheker, der mir Medizin schenkt, sagt, ich solle bitte meiner Familie und Freunden erzählen, dass Iraner keine Terroristen sind, wie seiner Meinung nach Medien der westlichen Welt vermitteln. Mahmud, der mich durch die Lalehzar Straße in Teheran führt und mir die ausgebrannten und verbarrikadierten Kinos des einstigen Kultur-Hotspots zu Schah-Zeiten zeigt, sagt mir, dass ich eine Sache lernen müsse: „Im Iran lebt man zwei Leben. Eins nach innen, eins nach außen.“ Statt Cafés, Buchläden und Kinos reihen sich in der Lalehzar, der ersten elektrisierten Straße Teherans – die Champs-Élysées diente den Qajar-Schahs als Vorbild – Lampenläden aneinander. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen im Iran auf den Tag warten, an dem das Licht wieder ausgeht.

    *Alle Namen – bis auf Ali – sind vom Autor geändert.

    Hören Sie sich hier auch den neuen Podcast von Bastian Sünkel an.

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