Die nächste Welle lässt nicht lange auf sich warten. Den Wind im Rücken, verleiht sie im besten Fall Schub, um vorwärts zu kommen. Gemeinsam mit einem kräftigen Paddelschlag treibt das aufblasbare Brett anschließend elegant über das tiefblaue Wasser des Gardasees. Da bleibt sogar ein bisschen Zeit, um den Blick auf den Monte Baldo zu genießen. Im schlechtesten Fall aber wird aus dem Schub ein Schubs und es folgt ein nasser Platsch. Und das Seewasser in den Augen trübt die Aussicht. Dann heißt es, sich wieder mühsam zurück aufs Brett ziehen, aufstehen, ausbalancieren. Den eisigen Schauer im Neoprenanzug verdauen und weiter in See stechen. Das wird sich aber lohnen.
Die Stand-Up-Paddler sind in Bayern keine aufsehenerregende Erscheinung auf Gewässern mehr. Immer mehr Menschen legen sich die zum größten Teil aufblasbaren Bretter zu, um mit ihnen die Gegend aus der etwas anderen Perspektive zu betrachten, ufernah, aber eben auf dem Wasser. Das hat seinen besonderen Reiz. Diese Perspektive ist gewissermaßen exklusiv. Und während man den Blick so schweifen lässt, erlangt der Körper Fitness für Rücken, Rumpf, Beine und Arme. Sogar die Koordination und die Balance werden trainiert, schwebend über dem Wasser.
Kraft tanken mit Tagliatelle Hermann
Lagebesprechung am Nordost-ufer des Gardasees, in Malcésine, das man nicht spricht wie Apfelsine, sondern mit der Betonung auf dem E. Das wird gleich zu Beginn bei Tisch geklärt, kleiner Eisbrecher, die Gruppe lacht. Die Tour startet am Vorabend standesgemäß italienisch im Restaurant „da Pedro“ bei Pizza Margarita und Tagliatelle Hermann, benannt nach einem der Mitarbeiter von Heinz Stickl, der mit seinem Sportcamp die Entdeckertour gemeinsam mit Starboard und Gardasee.de organisiert. Hermann aß immerzu Nudeln mit Gamberini, Zucchini, Lachs und Kirschtomaten. Den Wirt amüsierte das, bis er das Gericht auf die Karte setzte.
Dann aber geht es um die wichtigen Dinge für den Trip auf dem Lago. Seit 1976 arbeitet und lebt der weißhaarige und von der Sonne geküsste Mann in Malcésine, machte aus einer kleinen Surfschule einen großen Namen: das Stickl Sportcamp. Nach Windsurfen, Segeln, Kiten und Foilen unterrichtet der 64-jährige Ex-Segeleuropameister und Surfweltmeister nun mit seinen Leuten Stand-Up-Paddling. Teils auf aufblasbaren Brettern, teils auf festen. Mit den Paddelschlägen links und rechts bewegen sich seine Schüler vorwärts. Und wer schon geübt ist, der darf sich der großen Gardasee-Entdeckertour anschließen.
Heinz erklärt, dass sämtliche Tour-Planungsschritte vom Wetter abhängen. Grundsätzlich sei das am Lago nämlich so, dass der Wind das Sagen hat. Gepaddelt wird erst, wenn er von Nord nach Süd bläst, in Fahrtrichtung. Will der Wind nicht, dann wird auch aus der Tour nichts.
Das Warten, das Ringen mit dem Wind und das eiskalte Wasser, all das auszuhalten zahlt sich schließlich aus. Dann bieten sich die malerischen Motive des Gardasees, an denen man sich nun wirklich nicht sattsehen kann. Statt vom Berg runter aufs Wasser zeigen sich die Hänge vom Ufer aus aufsteigend. Während auf den Straßen meist Bäume, andere Häuser oder gar Autos die Aussicht einschränken, heißt Brettperspektive gleich Panoramablick. Wir genießen Dörfer, die den Hang hinaufwachsen, ein buntes Fensterladenmosaik und Balkone mit Terracotta-Töpfen. Die bunten Häuschen in den Niederungen des Monte-Baldo-Massivs, die Zypressen, die wie Zinnsoldaten entlang des Ufers stehen und sich ebenfalls nur vom Wind dirigieren lassen, die Olivenhaine, die bunten Segelboote. Und das mache die Zwei- bis Dreitagestour mit „kalkuliertem Abenteuer“ so einmalig, sagt Heinz, am fjordartigen Gardasee, am Fuß diverser Alpengipfel, der Lago eben – Lieblingszufluchtsort der Deutschen. Schon Goethe schrieb von seiner Italienreise über den Halt in Malcésine. Plötzlich auftretender Gegenwind habe ihn damals gestoppt. Gestoppt werden wollen wir mit Sicherheit noch weniger als der Dichter.
Nur mit Wind im Rücken lässt sich das Alpenjuwel erkunden
Aber: Auf einen Wetterwechsel sind wir trotzdem angewiesen. „Ob der Wind allerdings mitspielt, werden wir noch sehen“, sagt Heinz mit hoffnungsvoller Stimme. Wir hoffen also auf die sogenannte Downwinder-Phase, den Wind im Rücken. Nur dann können wir das Alpenjuwel erkunden. Anderenfalls wäre der Gegenwind zu stark.
Wir stülpen also den Neoprenanzug über oder schlüpfen in die Trockenanzüge. Rettungsweste um, Paddel und Brett in die Hand und ab geht es im Entenmarsch ans Ufer. In einer kleinen Bucht südlich von Malcésine erledigen wird die letzten Handgriffe. Das Gepäck klemmt schließlich zwischen den Schnüren auf dem Brett. Ein anderer Teil der Taschen wird auf einem Beiboot Richtung Süden befördert, von Heinz höchstpersönlich. In dieser Bucht in Val di Sogno ist es noch ruhig, eine Landzunge hält den Wind zurück. Es bleibt Zeit, um sich an das Brett zu gewöhnen und die Balance zu finden, bevor die Crew auf den wilderen Teil des Sees steuert. Sobald man rauspaddelt, steht man im Auf und Ab zwischen vom Wind aufgepeitschten Wellen.
Zwei Schwäne paddeln unaufgeregt mit ihrem Nachwuchs vorbei. Dann geht es hinaus, mit dem Wind im Rücken, der uns Richtung Brenzone schieben soll. Windstärke drei, schätzt Heinz. Die Wellen sind inzwischen nicht mehr ganz so tückisch, wenn auch fordernd. Die Tauchgänge ins Wasser halten sich fortan in Grenzen. Nun ist es nicht das frostige Wasser, dass einem beinahe den Atem raubt, sondern die Aussicht. Ziel ist ein Campingplatz in Brenzone, rund sechs Kilometer entfernt. Wir stoppen am Ufer für ein kleines Stärkungspicknick. Doch dann geht es gleich wieder aufs Wasser, nicht dass der Wind seine Laune ändert.
Abends legen wir an, errichten das Zeltlager und fallen nach einem Essen todmüde auf die Isomatten. Morgens wecken uns die am Ufer brechenden Wellen, die Kaffeemaschine am Campingplatz und der Gedanke daran, dass wir warten müssen, bis der Wind dreht. Denn genau wie am Tag zuvor bläst er vormittags von Nord nach Süd. Das ist ungünstig, denn um zurück nach Malcésine zu kommen, brauchen wir die sogenannte Ora, den Südwind am Gardasee.
Tatsächlich: Der See wird ruhig. Um kurz nach 12.30 Uhr schleppen wir die Bretter wieder ans Wasser. Der Wind hat gedreht. Dieses Wetter-Phänomen am Gardasee lässt uns bei herrlichem Sonnenschein einfach und mit niedrigeren Wellen von Brenzone zurück nach Malcésine fahren. Ein paar letzte Momente auf dem Brett, mit Aussicht satt.