Es war ein Testlauf mitten in der Corona-Flaute, zu der vor wenigen Wochen Journalisten aus ganz Deutschland anreisten: Wie präsentiert sich das Allgäu? Und wie will man künftig die wiederkehrenden Massen in der Spitzen-Urlaubsregion lenken?
Der Parkplatz unter dem Schloss Hohenschwangau ist erstaunlich leer. Keine Busse mit chinesischen oder japanischen Ludwig-Fans. Vor den Schaukästen mit königlichem Kitsch, wo sich sonst asiatische Touristen drängen – kein Mensch. Ein Pferdekutscher hat Glück: Eine Familie mit Mundschutz entert sein Gefährt, um zum Schloss zu fahren. Alles ist anders in diesem Corona-Jahr. Auch bei Schloss Neuschwanstein, sonst Hotspot des internationalen Tourismus. Die Besucherzahl ist beschränkt, die Führungen sind lange im Voraus schon ausgebucht. Es sind vor allem Deutsche, die derzeit ins Allgäu kommen, wie man an den Autokennzeichen ablesen kann.
Eigentlich hätten wir an diesem Freitag Wanderströme auf dem Sommerweg zum Tegelberg erwartet. Aber selbst in der wildromantischen Pöllatschlucht, die erst vor einem Jahr nach einem Felssturz wieder eröffnet hat – mit neuen Metallstegen und Sicherungsnetzen – sind wir fast unter uns. Freier Blick ins tosende Wasser und auf die Marienbrücke, wo wir gerade mal zwei Menschen ausmachen können. So erleben wir die Schlucht vielleicht fast so, wie sie König Ludwig II. gesehen hat, der als Märchenkönig in die Geschichte einging: "Heilig und unnahbar".
Dass es andere Zeiten sind auch im Gebirge, daran erinnert ein Wegweiser mit Corona-Bestimmungen weiter oben auf dem Weg zur Marienbrücke. Hier sind plötzlich doch jede Menge Menschen unterwegs – auch Familien mit Kindern. Die Brücke mit dem freien Blick auf Ludwigs Märchenschloss Neuschwanstein ist auch heute ein Anziehungspunkt. Nur mit Mundschutz, sagt der Mann am Eingang streng. Er kontrolliert auch die Anzahl der Schaulustigen auf der Brücke. Bei 30 ist Schluss. Lang anstehen müssen wir trotzdem nicht. Das Wetter ist eher trüb, es droht Regen, wenn nicht gar Gewitter. Das hat vielleicht doch so manchen von einer Bergwanderung abgehalten.
Am Hopfensee bei Füssen im Allgäu locken Spazierwege abseits der Hotspots
Wir wollen uns trotzdem den "Sommerweg" nicht entgehen lassen und steigen unverdrossen bergauf. Es lohnt sich. Die Ausblicke auf die Schlösser, die Seen und die Berge sind grandios. Über dem Forggensee zieht spektakulär eine Gewitterfront auf. Von Ferne ist Donnergrollen zu hören, über dem Säuling zucken Blitze. Doch wir kriegen nur ein paar Regenspritzer ab und sind rechtzeitig vor dem Unwetter im Tegelberghaus. Auch hier geht nichts ohne Mund- und Nasenschutz. Die Gäste sitzen eng zusammen im gemütlichen Gastraum mit Blick auf die offene Küche. Der Kaiserschmarrn schmeckt köstlich, während der Regentropfen an die Fenster klopfen. Den Abstieg schenken wir uns. Die Tegelbergbahn nimmt zwar immer nur 16 Fahrgäste mit, aber wir müssen nur eine Gruppe abwarten. Plexiglasscheiben teilen die Kabine in vier Bereiche, sodass sich die Menschen nicht zu nahe kommen, und natürlich trägt der Bergbahn-Mitarbeiter Mundschutz – wie wir auch.
Wer jetzt im Allgäu Urlaub macht, muss aber nicht unbedingt hoch hinaus und dabei Gefahr laufen, keinen Parkplatz zu finden oder auf vollen Hütten abgewiesen zu werden. Auch im Tal locken aussichtsreiche Spazierwege. Rund um den Hopfensee zum Beispiel. 6,5 Kilometer lang ist der ebene Rundweg, der durch Moorwiesen mit weißzipfeligem Wollgras führt, durch einen Zauberwald mit Fabelwesen aus Holz und vorbei an einer Kneipp-Anlage.
Hier ist Claudia Ziegler, die Kneipp-Gesundheitspädagogin, in ihrem Element. Sie hat die Lehren des Wasserdoktors, der im kommenden Jahr 200. Geburtstag feiern könnte, verinnerlicht und teilt ihre Begeisterung gerne mit den Mit-Wanderern. "Bei Kneipp finde ich dauernd etwas, was ins Heute passt", sagt sie und sammelt ein paar Kräuter. Von der Fünf-Säulen-Lehre des Pfarrers (Wasser, Lebensordnung, Kräuter, Bewegung, Ernährung) hat sie uns schon zu Beginn der Wanderung erzählt.
So sollen Touristen das Allgäu erleben: 14 Glückswege und die Wunder im Wald
Die Sonne scheint warm vom blauen Himmel, da tut ein Armbad, "der Espresso der Kneippianer" gut oder später Wassertreten im Kaltwasser-Becken. Stimmt schon, eigentlich ist Kneipp gar nicht so altmodisch, wie wir immer dachten, sondern sogar ziemlich zeitgemäß. "Kneipp war ein Präventionsvisionär," bestätigt auch Füssens Tourismusdirektor Stephan Fredlmeier, der den vielseitig begabten Pfarrer auch für eine neuartige Kompaktkur gegen Schlafstörungen reklamiert: "Gesunder Schlaf durch innere Ordnung". Vom Corona-Stress geplagte Nichtschläfer hören solche Verheißungen sicher gern. Bis das Konzept umgesetzt werden kann, werde es aber noch dauern, vertröstet Fredlmeier auf nächstes Jahr.
Da bleiben uns vorerst nur die Kräuter. Gegen trockenen Husten empfiehlt Kräuterfrau Rita Dopfer im Garten des Kneipp-Sanatoriums Bad Clevers Lindenblütensirup, für Ruhe und Gelassenheit Blätter und Blüte der Schafgarbe und als "anti-viral" preist sie Tee aus Zistrosen an. Die quirlige Frau mit den kurzen grauen Haaren kann ihre Begeisterung für pflanzliche Heilkräuter kaum bändigen, aber sie warnt auch: "Kräuter sind nicht harmlos. Sie können wie Drogen sein." Trotzdem ist sie überzeugt davon, dass der richtige Umgang mit Heilkräutern nicht nur gesund, sondern auch glücklich macht. "Wenn Sie einen Garten haben, sind Sie der glücklichste Mensch", sagt sie und teilt eine Handvoll Samen aus.
Zum Gesundheitswandern braucht Carolin keinen Garten. "Ein Spaziergang im Wald wirkt wahre Wunder", ist die junge Frau mit dem dicken schwarzen Zopf überzeugt. Sport- und Bewegungswissenschaften hat sie studiert, doch ihre Liebe gilt der Natur, und für die fordert sie Aufmerksamkeit mit allen Sinnen. Wir folgen ihr über Nadel- und Mooskissen, Stock und Stein, blicken auf das Schloss von Bad Grönenbach und bewundern eine seltsame Baum-Paarung, eine kleine Buche, die eine große Fichte zu umarmen scheint. "Hier kuscheln sogar die Bäume", sagt eine Teilnehmerin. Erstaunlich, was man mit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit alles entdecken kann.
"Das kleine Glück am Rand des Weges" sollen die Wanderer in Zukunft auch auf den 14 Glückswegen finden. Auch dieses 187 Kilometer lange Streckennetz orientiert sich an Kneipp, der "hier sein Glück gefunden hat", wie Mit-Initiator Tobias Klöck erklärt. Wir wandern auf breiten Pfaden durch bunte Waldwiesen und grüne Baumtunnel bis hinauf zum Kronhofer Bänkle, wo der Blick weit ins Land geht. Aber die Berge, denen wir in Füssen so nah waren, sind im Dunst verschwunden. Nur eine Tafel lässt ahnen, welches Gipfelpanorama wir bei guter Sicht vor uns haben könnten. Fast allein übrigens. Hierher scheinen sich nur wenige Wanderer zu verirren. Vor Wochen war es jedenfalls noch so …
Mit der "BayernCloud" sollen Touristen künftig Natur ohne Gedränge erleben können
Den Ansturm von Tagesausflüglern auf beliebte Ziele im Allgäu wie etwa die Wanderregion Hinterstein im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen will man künftig mit der "BayernCloud" lenken. Durch eine zentrale digitale Plattform sollen Datensätze über überfüllte Parkplätze, verstopfte Straßen, volle Hütten und gesperrte Wanderwege künftig leichter zugänglich werden – und Touristen davon abhalten, dort hinzufahren, wo kein Platz mehr ist. Dass solch wichtige Informationen bisher so schwer zugänglich sind, liegt daran, dass es so viele Beteiligte im Tourismus gibt und so viele unterschiedliche Daten.
Da sind große Hotels und Hüttenwirte, Seilbahnen und Tourismusorganisationen. Deren Daten will das Projekt BayernCloud in der Modellregion Allgäu vereinheitlichen und maschinell lesbar machen. Dafür arbeitet das Landesforschungsinstitut Fortiss unter anderem mit der Allgäu GmbH, der Hochschule Kempten und der Bayern Tourismus Marketing GmbH zusammen. Vier Millionen Euro hat das Wirtschaftsministerium bisher in das Projekt investiert, das einmal dabei helfen soll, den Tourismus in ganz Bayern zu managen.
Noch ist es Zukunftsmusik. Aber in zwei Jahren sollen Allgäu-Besucher dank der BayernCloud schon morgens auf ihrem Handy sehen können, dass es um Schloss Neuschwanstein voll ist, auf dem Falkenstein aber nicht. Dass die Tegelberghütte keinen freien Platz mehr haben wird, der Gasthof am Hopfensee dagegen schon.
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