Die Stühle sind noch dieselben. Aus weißem Gusseisen stehen sie im Garten des Grand Hotels in Rimini. Auf ihnen hat er immer so gern gesessen, Federico Fellini, einer der größten Filmemacher des 20. Jahrhunderts. Da gibt es dieses Foto aus den früher Siebzigerjahren, auf dem er genau dort sitzt, ein Glas Wasser vor sich, mit Denkermine und schon damals gut angegraut. In wenigen Tagen, am 20. Januar 2020, wäre Federico Fellini 100 Jahre alt geworden. Und fast hätte seine Heimatstadt Rimini dieses Datum verpasst. Praktisch erst im letzten Moment ist Bürgermeister Andrea Gnassi und dem Tourismusverband der Stadt eingefallen, dass sich der weltweit bekannte Name touristisch gut nutzen lassen könnte.
2016 bekam Marco Leonetti, Leiter der städtischen Mediathek, den Auftrag, ein Museum an mehreren Orten in der Stadt rund um den Filmemacher zu verwirklichen. Jetzt im Jubiläumsjahr 2020 sollen zumindest Teile des Museums noch öffnen. „Da haben wir gar keine andere Wahl“, sagt Marco Leonetti. Wohl erst im Herbst wird es so weit sein. Dass Rimini und Fellini aber eine gemeinsame Geschichte haben, das lässt sich auch auf einem Stadtrundgang entdecken.
Fellini widmete Rimini einen Film
Man kennt das aus anderen Städten, die mehr oder weniger zur Provinz zählen: Künstler und andere freie Geister sind dort oft lange nichts wert, während sie woanders hoch geachtet sind. So war das lange auch mit Fellini und Rimini. Schon als junger Mann ging der zum Studieren nach Rom, hier spielen so bekannte Filme von ihm wie „La Strada – das Lied der Straße“ mit seiner Ehefrau Giulietta Masina in der Hauptrolle oder „La dolce Vita“ mit Anita Ekberg und Marcello Mastroianni. Doch seine Heimatstadt hat ihn sein Leben lang nicht losgelassen. „La mia Rimini“ oder „Amarcord“, was im Dialekt der Romagna so viel heißt wie „Ich erinnere mich“ zeigen eine typisch italienische und doch allgemeingültige, kleinstädtische Welt. In Rimini soll die Verbindung nun endgültig sichtbar werden.
Eine zentrale Rolle spielt dabei das Kino „Fulgor“. Fellini selbst hat erzählt, dass er dort, auf dem Schoß seines Vaters, den ersten Film seines Lebens sah, „Maciste in der Hölle“. Lange war es geschlossen, sechs Jahre dauerte schließlich die Renovierung der beiden Säle. Den größeren hat der mit Oscars preisgekrönte Bühnenbildner Dante Ferretti im Stil alter Hollywoodkinos aus den vierziger Jahren eingerichtet. Hier werden nun wieder Filme gezeigt, nicht nur Kassenschlager, sondern auch regelmäßig Fellini-Klassiker.
Eine Ausstellung soll ins Castell Sisismondo
Fertig ist der Umbau aber noch nicht. Im Obergeschoss soll eine Abteilung des Fellini-Museums entstehen. Ein Hauptteil der Ausstellung soll aber einmal im Castel Sisismondo entstehen. Jahrhundertelang wurde die ehemalige Festungsanlage kaum noch genutzt, zwischendrin war sie einmal ein Gefängnis. Nun schweben Marco Leonetti Lichtinstallationen und ein imaginäres Filmset vor, die hier und in anderen Teilen der Stadt entstehen sollen.
Doch Spuren des Meisters Fellini, die kann man auch in ganz anderen Teilen der Stadt entdecken – und erlebt so ganz nebenbei, dass der Strand nur einen Teil der Faszination der alten Römerstadt ausmacht. Stadtmuseen kommen ja leicht etwas verstaubt daher. In Rimini gibt es aber ein einmaliges Erbstück von Federico Fellini zu entdecken: sein Buch der Träume. In ihm hat der Meister regelmäßig gleich nach dem Aufwachen seine Träume und Gedanken in Bildern festgehalten: Frauen mit dicken Hintern und dicken Busen gibt es da zu sehen, surreale Bilder aus dem Halbschlaf. Dass sie tatsächlich eine Inspirationsquelle für seine Filme waren, auch das wird sichtbar.
Zwei Räume weiter wartet eine ganz andere Überraschung auf den Besucher. Vor noch nicht einmal zehn Jahren wurde in Rimini ein archäologischer Schatz ausgegraben: das Haus des Chirurgen Eutyches. Damals lag es direkt am Meer, heute mitten im Zentrum der Stadt, die etwa eineinhalb Kilometer vom Strand entfernt ist. Das Haus brannte ab, der Schutt wurde nicht einmal weggeräumt. Mehr als 110 chirurgische Instrumente fanden die Archäologen noch, sie sind jetzt im Stadtmuseum ausgestellt. Kaum zu glauben: So groß ist der Unterschied nicht zwischen Skalpellen und Pinzetten von damals und von heute.
Ohne seinen Strand wäre Rimini unvorstellbar
Das Meer – ohne seinen Strand ist Rimini aber auch heute nicht vorstellbar. Was viele Touristen gar nicht wissen: Deutsche und andere Europäer sind nur ein Teil derjenigen, die jährlich den kilometerlangen Strand besuchen. Tatsächlich war und ist es in Italien immer schick, in Rimini Urlaub zu machen. Es gibt Strandbäder, deren Kunden fast ausnahmslos aus Rimini selbst kommen. „Bei mir sind es fast 90 Prozent“, sagt Mirco Ranili (36). Der Bademeister klappt jeden Morgen 120 Schirme auf und macht sie am Abend wieder zu. Der Strandabschnitt, den seine Familie seit einigen Jahren gepachtet hat, liegt dem Grand Hotel genau gegenüber. Vielleicht war nebenan früher einmal auch Federico Fellini zu Gast, am Privatstrand des Hotels.
Wo Fellini sicher noch nicht war, aber wo Studenten und Familien aus Rimini zusammenkommen, ist ein anderer Treffpunkt für Einheimische. Es ist das Restaurant “Il Pescato del Canevone“ von Christian Zanzani. Der war bis vor wenigen Jahren Grafiker – und wollte dann dem ständigen Druck im Büro entkommen. Das sei in Rimini ganz normal, sich auch mit über 40 noch mal ganz neu zu orientieren. „Wir haben hier alle mindestens zwei Berufe“, meint er. Sein Küchenchef hat viele Jahre in den USA gearbeitet, nun stellen die beiden Gerichte zusammen vor allem mit dem, was das heimische Meer hergibt. „Allerdings ist das nicht mehr viel“, weiß Christian Zanzani. In einigen Jahren werde er das Konzept wohl nicht mehr halten können, sagt er. Dann sei die Adria leergefischt. In der Zwischenzeit können seine Gäste aber noch hervorragende Fischgerichte genießen. Die Rezepte stammen aus der Region, Christian Zanzani hat sie nur ein wenig neu interpretiert. Nicht fehlen dürfen dabei die frittierten Sardinen, gratinierter Tintenfisch mit Schwarzkohl oder Spaghetti mit Meeresheuschrecken, eine sehr schmackhafte Art von Krebsen. Und dann serviert er eben jeden Tag genau jene Fische, die sein Lieferant in der vorangegangenen Nacht gefangen hat.
Das Leben der Fischer, Federico Fellini spürte ihm immer wieder im Viertel „Il Borgo“ nach. Hier lebten die Arbeiter. Heute hat die Gegend auf der anderen Seite der römischen Tiberiusbrücke über den Fluss Marecchia einen anderen Charakter. Die Häuschen sind saniert. Nur noch Tafeln aus Terrakotta erinnern daran, wo einmal wirklich Fischer gewohnt haben. Vor der jahrtausendealten Brücke hat die Stadt neue Uferterrassen geschaffen. Nicht nur an Silvester treffen sich hier die Bürger, um gemeinsam zu feiern.
Zur Cocktailstunde im Grandhotel
Stadtleben kann anstrengend sein. Bei Riminesern genauso wie bei Touristen beliebt sind Ausflüge ins Hinterland. Wenige Kilometer von der Stadt entfernt, in Richtung Santarcangelo di Romagna, wo vor ein paar Jahrzehnten noch einige der damals so berühmten Riesendiskotheken an der Adria zu finden waren, liegt heute wieder typisch italienisches Hinterland. Und man begegnet wieder einer von jenen, die zwei Berufe haben: Roberta Frontali war bis vor wenigen Jahren in der Kommunikationsbranche tätig.
Jetzt bewirtschaftet sie mit ihrem Bruder Gualtiero das Familiengut mit seinen 6000 Olivenbäumen. Nicht auf die Masse, sondern auf die Qualität käme es ihnen an, sagt sie. In einem durchschnittlichen Jahr trägt ein Baum etwa 20 Kilo Oliven, aus 100 Kilo Früchten können zwölf Kilo Öl gewonnen werden. Die Familie Frontali verkauft ihr Öl in ihrem eigenen kleinen Laden auf dem Hofgut und vertreibt sie an mittel- bis hochklassige Restaurants in Belgien, Deutschland oder New York. Dass es für ihr Produkt eine so große Nachfrage gibt, sei relativ neu. „Bis vor 25 Jahren war es vielen Kunden egal, wie gut die Qualität eines Olivenöls war“, erzählt Roberta Frontali.
Zurück in Rimini – zur Cocktailstunde im Grand Hotel. Wenn es die Sonne erlaubt, sind die weißen Stühle im Garten auch im Winter besetzt. Das Hotel selbst besteht nur wenige Jahre länger, als Fellini heute alt wäre. Direktor Fabio Angelini ist überzeugt, dass das Fellini-Museum einmal die größte Schau wird, die weltweit einem einzelnen Künstler gewidmet ist. Auch sein Hotel soll ein Teil davon sein. Film ist immer auch Illusion. Bis es so weit ist, muss man sich eben vorstellen, wie es war, als der große Regiemeister hier saß, arbeitete, sich entspannte oder einen Aperitif nahm.