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Region: Uraltes Tunnelsystem in Kissing: Wer hat die Gänge gebaut?

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Uraltes Tunnelsystem in Kissing: Wer hat die Gänge gebaut?

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    Menschen haben die Erdställe in den festen Sand des Kissinger Untergrunds gegraben. Ob vor 1000 Jahren oder vor noch viel längerer Zeit weiß keiner genau.
    Menschen haben die Erdställe in den festen Sand des Kissinger Untergrunds gegraben. Ob vor 1000 Jahren oder vor noch viel längerer Zeit weiß keiner genau. Foto: Gönül Frey

    Eine schlichte grüne Metalltür verschließt den Zugang zu Kissings größtem Mysterium. Hier geht es in den Erdstall unterhalb des Petersbergs. Den Schlüssel zu dem rätselhaften Gangsystem hütet Bürgermeister Manfred Wolf persönlich. Außer den Wissenschaftlern, die derzeit die Höhle mit hoch spezialisierten technischen Geräten neu vermessen, lässt er niemanden mehr rein. Zu groß ist die Angst, dass die in den festen Sand gegrabenen Gänge einstürzen könnten.

    Eine Sorge, die die Kissinger im 19. Jahrhundert noch nicht kannten. Damals wurden durch Zufall die ersten Erdställe entdeckt. Darunter auch der am Petersberg. Insgesamt weiß man von fünf Höhlensystemen: am Petersberg, am Kirchberg, am Katzensteig, am Fuchsberg und bei Gut Mergenthau. „Im 19. Jahrhundert sind da Jung und Alt rein gekrochen“, erzählt Hanns Merkl, Koautor des Kissinger Heimatbuches. Die Erdställe waren eine kleine Sensation und aus München reisten die königlichen Ingenieure an, um die unterirdischen Anlagen zu vermessen. Es entstanden Skizzen und Plänen von Gängen, die heute teils gar nicht mehr begehbar sind.

    Und natürlich suchten damals die Wissenschaftler schon nach Antworten auf die Frage, wer diese Gänge angelegt hat und zu welchem Zweck. Denn Erdställe sind besondere Anlagen. Die Tunnels verlaufen nicht geradlinig. Sondern sie haben starke Höhenunterschiede und bilden extreme Engstellen, die sogenannten Schlupfe: Selbst ein schlanker Mensch kann hier nur noch durchrobben. Ein solcher Schlupf befindet sich am Petersberg gleich in der Nähe des Eingangs. Davor verbreitert sich der Gang zu einer Nische mit Sitzplatz. Hanns Merkl lässt seine Fantasie spielen: Die Menschen könnten sich durch den Gang geflüchtet haben. „Die Verfolger hatten keine Chance, egal wie viele es waren. Denn hier saß schon einer mit der Keule und hat ihnen eins übergezogen, wenn sie durch den Schlupf kamen“, stellt er sich vor. Dass die Erdställe als Fluchtwege angelegt wurden, ist eine von mehreren Theorien. Mit ihren Nischen und der Spitzbogenform dachten die Wissenschaftler aber auch an Kultstätten oder Grabanlagen. Profaner klingt dagegen die Idee, die Gänge könnten der Vorratslagerung gedient haben.

    Haben die Kelten die Gänge gebaut?

    „Jede dieser Erklärungen taugt irgendwie nichts“, fand der Geologe Markus Hilpert, als er während eines anderen Projekts auf die Kissinger Erdställe stieß. Er war sofort fasziniert und stellte an der Uni Augsburg eine Arbeitsgruppe zusammen. Sein erster Schritt ist, die Gänge mit neuen technischen Geräten genau zu vermessen. Ein Roboter kommt auch in die Seitenzweige, die für die Menschen zu eng sind. Hilpert hofft, dass die Messungen im März abgeschlossen sind. Die Sorgen des Bürgermeisters kann er dabei durchaus verstehen: „Es ist schon gefährlich, es rieselt auch immer wieder was ab“. Keiner der Forscher bleibt deswegen lange unter Erde. Mithilfe der Messdaten möchte Hilpert den Erdstall dann mit dem digitalen Geländemodell für Bayern verschneiden, sodass ein genauer dreidimensionaler Lageplan entsteht.

    Doch natürlich macht sich der Wissenschaftler auch so seine Gedanken über die Entstehung. Eine Theorie geht davon aus, dass die Kelten die Gänge gebaut haben. Ein Vergleich mit Gegenden, in denen die Erdställe häufiger vorkommen wie im Bayerischen Wald, spricht aber dagegen. „Diese Gegenden wurden erst seit dem 10. Jahrhundert besiedelt“, sagt Hilpert. Daher vermutet er, dass auch die Anlagen in Kissing jünger sind, als mancher vermutet – doch auch 1000 Jahre sind eine lange Zeit.

    Und zumindest eines steht fest: „Die Erbauer müssen eine Ahnung vom Bergbau gehabt haben“, so Hilpert. Bei dem Gang unter dem Petersberg hat er errechnet, dass es ein halbes Jahr gedauert haben muss, ihn zu graben. Merkl schätzt dessen Länge auf rund 30 Meter. „Wer macht sich diese Arbeit und warum?“, fragt sich Hilpert. „Als Versteck taugt es nicht, die Kammern sind zu klein, für die Flucht auch nicht, denn viele Gänge enden in einer Sackgasse und als Lager sind die Gänge zu feucht.“ Insofern bleibe tatsächlich am ehesten die Möglichkeit einer esoterischen Erklärung. „Oder es ist etwas ganz anderes“, meint Hilpert. Die Forscher versuchen das Problem von jeder Seite zu beleuchten. „Wir haben sogar überlegt, ob nicht der Gang das Ziel war, sondern der Prozess des Grabens selbst“, sagt Hilpert.

    Und möglicherweise bleiben Kissings unterirdische Gänge auch nach genauer Vermessung ein Rätsel.

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