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Porträt: Cathrin Lange: Eine Sängerin in Polie-Position

Porträt

Cathrin Lange: Eine Sängerin in Polie-Position

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    Cathrin Lange Deutsche Tourenwagenmeisterschaft Nürburgring
    Cathrin Lange Deutsche Tourenwagenmeisterschaft Nürburgring Foto: Richard Mayr

    Auf den Monitoren werden Rundenzeiten eingeblendet. Erster Sektor, zweiter Sektor, eine Zehntelsekunde schneller, drei Hundertstel langsamer. Journalisten verfolgen mehr oder weniger aufmerksam die „Fia Formula 3 European Championship“. Angereist sind die meisten wegen des siebten Saisonrennens der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft (DTM) auf dem Nürburgring. Vor den Fenstern des Pressezentrums ziehen die Rennwagen auf der Start- und Zielgeraden vorbei. Mit kleinem Koffer und Kleiderbeutel unterm Arm kommt Sopranistin Cathrin Lange ins Pressezentrum. „Welche Farbe trägst du heute?“, fragt Andrea Barner von der DTM sie. – „Ein helles Rosa heute.“ Lange lacht kurz. Man kennt sich und braucht nicht viele Worte.

    Sängerin seit vier Jahren beim Ensemble des Theaters Augsburg

    Die Sopranistin, die seit vier Jahren zum Ensemble des Theaters Augsburg gehört, hat vor drei Jahren ein ungewöhnliches Engagement angenommen. Die 31-Jährige singt vor und nach den Rennen der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft die Nationalhymnen – sie, die Opernsängerin, inmitten dieses Vollgas-PS-Spektakels. Als die DTM auf sie zukam und anfragte, habe sie anfangs gezögert, erzählt sie. Sie habe nachgefragt, ob das Angebot seriös sei, ob man das als professioneller Sänger machen könne. Schließlich habe sie zugesagt.

    Das Wetter ist hier immer ein Thema

    Draußen wird die Zielflagge geschwenkt. Italiener Raffaele Marciello gewinnt das Rennen, während sich drinnen Cathrin Lange mit Andrea Barner und Günter Kahlert unterhält. Beide arbeiten für die Tourenwagenmeisterschaft, beide kümmern sich während der Renntage um die Sopranistin. Sie plaudern über das Rennen in Moskau und die „Standing Ovations“, die Lange für die russische Hymne bekommen habe. Sie plaudern über die ewig langen Zufahrtswege und epischen Staus in

    Vorbereitungen für den Auftritt auf Behindertentoilette

    Ihren ersten Auftritt hat sie um 13.17 Uhr. Er dauert 1 Minute und 19 Sekunden, die deutsche Nationalhymne, weil dieses siebte Rennen der Tourenwagenmeisterschaft in Deutschland auf dem Nürburgring stattfindet. Zwei Minuten vor der Hymne muss sie an der Startlinie sein. Von diesem Moment an ist das Fernsehen zugeschaltet, der „World-Feed“ – das Weltsignal – wie Kahlert erklärt. Dann merkt er, dass es fast 13 Uhr ist. Wo ist die Sängerin, die er gleich zur Pole begleiten will? Auf der Behindertentoilette. Dort kann sie absperren, dort macht sie sich für ihren Auftritt fertig: als Regisseurin, Kostüm- und Maskenbildnerin in einem.

    Orchester im Knopf im Ohr

    Über den Grid, den Bereich, in dem die Rennwagen sich für den Start aufstellen, führen Kahlert und Barner die Sopranistin in Richtung Pole Position. „Ich höre nichts“, sagt Lange. Sie trägt einen Knopf im Ohr, um über Funk den eingespielten Orchesterpart zu hören. Aber die Tontechnik streikt. Zeit, um etwas daran zu ändern, bleibt nicht mehr. Ein Slalomlauf an den Fans, den Mechanikern, an Journalisten, Rennfahrern und Rennstallbesitzern vorbei. Gespräche mit adrenalinhaltiger Grundnote, so kurz vor dem Start. Stoisch stehen die Grid-Girls in hautengen, postgelben Overalls vor den Rennwagen und halten die Startnummern in die Höhe. Mit ihrer Rosa-Abendgarderobe und den beigefarbenen Pumps, die Lange jetzt trägt, fällt sie in dieser Rennwagenwelt auf.

    Dann betritt Cathrin Lange ihren Arbeitsplatz. Ein kleines Podium eingerahmt von zehn Grid-Girls, die die Flaggen der teilnehmenden Rennfahrer präsentieren. Zwei Minuten hat sie so zu verharren, bis die Hymne vom Band läuft und sie dazu singt, zwei Minuten, in denen Fotografen kommen, Aufnahmen machen. Sie lacht und greift sich an den Knopf im Ohr. Nichts zu machen, der Funk streikt. Dann steht der Kameramann vor ihr, der Moderator kündigt die Hymne an. Jetzt muss sie nach Gefühl singen. Ob Stimme und Band synchron laufen, kann sie nur ahnen: „Einigkeit und Recht und Freiheit.“ Ihr Sopran steigt in die Höhe, kraftvoll, bestimmt – die Sängerin in ihrem Element, mehr Pflichtaufgabe als Kür.

    Eine Vollgas-Taxifahrt über den Nürburgring

    Plötzlich beginnt es, zu regnen. Das Rennen nimmt dadurch einen eigentümlichen, einen spannenden Verlauf. Lange aber erzählt von ihrer Taxifahrt gestern, zwei Runden über den Nürburgring in einem speziellen Rennwagen von Abt-Audi. „Es gibt nur Vollgas und Vollbremsung und dazwischen nichts“, sagt sie. Und lacht. Am liebsten wäre sie zehn oder zwanzig Runden mitgefahren. Nun schaut sie, wer in Führung liegt. Durch ihr DTM-Engagement hat sie die Regeln, die Fahrer und die Teams kennengelernt. Mike Rockenfeller – genannt Rocky – führt mit Vorsprung. Das hieße für sie noch einmal die deutsche Hymne.

    Regeln durch DTM-Engagement kennengelernt

    Die einzelnen Nationalhymnen singt Cathrin Lange auswendig. Zehn verschiedene könnten es bei der Siegerehrung sein. Die brasilianische mache ihr am meisten Schwierigkeiten, sagt sie. Draußen trocknet die Rennstrecke wieder ab. Der Lauf bleibt spannend. Rocky fährt noch einmal an die Box, kommt aber nicht als Erster auf die Strecke zurück. Der Kanadier Robert Wickens führt jetzt. Dessen Hymne habe sie nach der deutschen am häufigsten gesungen. Auch heute wieder. Wickens gewinnt.

    Brasilianische Nationalhymne am schwierigsten

    Noch vier Minuten für sie. Der Weg zum Balkon ist kurz. Der Regen hat wieder aufgehört, ihr Kleid flattert im Wind. Sie wartet. Der Kanadier gibt noch ein Interview. Unten vor dem Balkon haben sich Fans versammelt. Die Siegerehrung beginnt: Lange singt die kanadische Hymne. Wickens schnauft mehrmals tief durch. „Schau mal, wie luftig die Sängerin angezogen ist. Da musst du sie morgen behandeln, ihr den Lungenflügel pudern“, hört man unten jemanden sagen. Morgen wird Cathrin Lange ihren Urlaub beginnen – drei Wochen auf einem Segelschiff!

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