Ist ein chirurgischer Eingriff nötig, eine OP per Herzkatheter möglich oder reichen vielleicht sogar Medikamente? Unterschiedliche Ärzte können das jeweils anders beurteilen. Aber nur wenige Patienten in Baden-Württemberg machen von der Möglichkeit Gebrauch, sich vor einer Operation von einem zweiten Arzt oder einer weiteren Ärztin beraten zu lassen, wie eine neue Auswertung ergeben hat. Das dürfte aus Sicht der Landesvertretung Baden-Württemberg der Techniker Krankenkasse (TK) vor allem daran liegen, dass viel zu wenige Ärztinnen und Ärzte auf ein solches Angebot hinweisen.
Dabei gibt es seit 2019 durchaus die Möglichkeit, vor bestimmten planbaren Operationen auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse eine zweite Meinung über den Eingriff zu hören.
Nach der TK-Auswertung sind im vergangenen Jahr rund 7000 Patientinnen und Patienten im Südwesten von ärztlicher Seite über die Möglichkeit einer zweiten Meinung informiert worden. Dabei ging es vor allem um Kniegelenkersatz (rund 2000), Schulterarthroskopien (1800) und Eingriffe an der Wirbelsäule (1600). Dem stehen allerdings rund 150.000 durchgeführte Operationen gegenüber, bei denen ein solches Angebot für eine Zweitmeinung möglich gewesen wäre.
Beratungsangebot muss nicht angenommen werden
Nach Angaben von Nadia Mussa, der Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, müssen behandelnde Ärzte oder Ärztinnen in bestimmten Fällen mindestens zehn Tage vor der Operation darauf hinweisen, dass eine Beratung bei einem entsprechend qualifizierten Arzt möglich ist. Diese Beratung kann man dann annehmen oder nicht.
«Die gesetzlichen Möglichkeiten sollten genutzt werden, um unnötige Operationen und die damit verbundenen Gefahren so weit wie möglich zu vermeiden», sagte Mussa. Patienten müssten dafür gar nicht unbedingt eine Praxis besuchen. «Die Zweitmeinung kann auch per Videosprechstunde eingeholt werden.» Ärzte stellten auf Wunsch alle Befunde zusammen, die für die Zweitmeinung benötigt würden.
Aus den Daten der TK geht nicht hervor, warum in den Praxen zu selten informiert wird. «Wir haben noch keine wirkliche Zweitmeinungskultur in Deutschland, die Kenntnis dieses Angebots muss sich erst durchsetzen», sagte der Sprecher der baden-württembergischen TK-Vertretung, Hubert Forster. «Die Vorteile liegen ja auch der Hand.»
Kasse: Zweitmeinung kein Vorwurf an den behandelnden Arzt
Das sieht die Krankenhausgesellschaft Baden-Württemberg (BWKG) ähnlich: «Sich eine zweite Meinung bei einem planbaren operativen Eingriff einzuholen, ist meines Erachtens das gute Recht jeder Patientin oder jedes Patienten», sagte BWKG-Hauptgeschäftsführer Matthias Einwag. Auf dieser Grundlage könne eine informierte Entscheidung für oder gegen einen Eingriff getroffen werden. «Dabei geht es aus meiner Sicht nicht darum, möglichst viele Eingriffe zu vermeiden, sondern die beste Lösung für den betroffenen Menschen zu finden», sagte er weiter.
Aus Sicht des Landesgeschäftsführers der Krankenkasse Barmer in Baden-Württemberg, Winfried Plötze, sollten Patientinnen und Patienten konsequent von ihrem Recht auf eine Zweitmeinung Gebrauch machen. Durch die Expertise der Spezialisten werde die medizinische Versorgung insgesamt sicherer. «Das Einholen einer zweiten Meinung ist auch kein Vorwurf an den behandelnden Arzt», sagte Plötze. «Es ist ein Ausdruck für die Souveränität der Patientinnen und Patienten, die zunehmend an Entscheidungen mitwirken wollen, die ihre Gesundheit betreffen.»
Angebot gilt nur für bestimmte Eingriffe
Anspruch auf eine solche weitere Einschätzung gibt es unter anderem auch bei Mandeloperationen und Gebärmutterentfernungen, bei bestimmten Amputationen und beim Implantieren eines Herzschrittmachers. Ausgenommen von der Zweitmeinung sind Notfalloperationen.
Zweitexperten müssen besonders qualifiziert und unabhängig sein und brauchen eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung. Bislang bieten in Baden-Württemberg rund 200 Ärztinnen und Ärzte solch eine Möglichkeit an, die meisten (55) bei der Spiegelung des Schultergelenks (Schulterarthroskopie) und weitere 54 bei der Implantation eines künstlichen Kniegelenks. Für die Zweitmeinung vor dem Einsetzen einer neuen Hüfte stehen laut TK bislang sieben Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung.
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