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Zukunft Russlands: Wie es nach Putin weitergehen könnte

Interview

Russland-Experte: „Solange Putin da ist, wird sich nichts ändern“

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    Ein neuer Zar? Ein Kämpfer für die Wiedererrichtung der Sowjetunion? Sicher ist für den Politikwissenschaftler Jens Siegert, dass es keine Hoffnung auf eine Demokratisierung Russlands gibt, solange Wladimir Putin an der Macht ist.
    Ein neuer Zar? Ein Kämpfer für die Wiedererrichtung der Sowjetunion? Sicher ist für den Politikwissenschaftler Jens Siegert, dass es keine Hoffnung auf eine Demokratisierung Russlands gibt, solange Wladimir Putin an der Macht ist. Foto: Sergei Ilnitsky, Pool EPA, AP, dpa

    Herr Siegert, in Ihrem neuen Buch „Wohin treibt Russland“ sind Sie weit davon entfernt, Präsident Wladimir Putin zu schonen. Für Sie ist der Krieg in der Ukraine ein „Vernichtungskrieg“. Sie leben seit 1993 in Moskau. Fühlen Sie sich dort noch sicher?

    Jens Siegert: Ja und nein. Die Situation ist schon seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des umfassenden Angriffs auf die Ukraine, sowie den kurz darauf in Russland beschlossenen Gesetzen angespannt. So kann jeder, der Darstellungen der Armee widerspricht, wegen der Verbreitung von Fake News zu erheblichen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Ich habe mich entschlossen, trotzdem in Russland zu bleiben. Gegen Ausländer wurden die Gesetze bisher noch nicht angewandt. Es gibt aber keine Garantie dafür, dass das so bleibt. Ich habe eine Aufenthaltsgenehmigung, bin also verpflichtet, mich an die Gesetze zu halten. Was ich in diesem Fall nicht tue. Ich denke aber, das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass man mich rausschmeißt.

    Vor gut einem Jahr sagten Sie in einem Interview, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen den Krieg sei. Wie sieht es heute aus?

    Siegert: Ich spreche sehr häufig mit verschiedenen Leuten über dieses Thema. Man findet fast niemanden, der diesen Krieg gut findet. Die Allermeisten sagen, dieser Krieg ist eine Katastrophe - für Russland, aber auch für die Ukraine. Und dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden soll. Schwieriger wird es, wenn man danach fragt, wer denn dafür verantwortlich sei und wer diesen Krieg beenden kann. Da hat sich einiges verändert.

    Gibt es zu dem Thema Umfragen?

    Siegert: Nach Zahlen des Lewada-Zentrums, ein seriöses russisches Meinungsforschungsinstitut, sind heute bis zu 80 Prozent der Meinung, dass nicht Russland an diesem Krieg schuld ist, sondern der Westen, der Russland zerstören wolle. Aber auch das „gegenwärtige Regime in Kiew“, wie die Regierung dort genannt wird. Weniger die ukrainische Bevölkerung, die für viele Russinnen und Russen auch zu den Opfern des Krieges zählt. Von diesen 80 Prozent sind nach Einschätzung von Lewada etwa 20 Prozent Leute, die diesen Krieg ideologisch voll unterstützen. Die übrigen 60 Prozent sagen, dass sie als Patrioten nicht gegen ihr Land sein können, wenn es sich im Krieg befindet.

    Täuscht das Gefühl, dass auch die mutigen Russen, die gegen Krieg und Diktatur sind, nicht daran glauben, dass sich auf absehbare Zeit tatsächlich etwas ändert?

    Siegert: Die Hoffnung, dass sich etwas ändert, ist sehr, sehr klein. Viel eher gibt es aufseiten der Anhänger Putins eben gerade eine Befürchtung, dass sich etwas ändern könnte. Sie malt die Gefahr aus, dass Russlands der Untergang droht, wenn dieser Krieg nicht gewonnen wird. Und das wollen die Menschen natürlich nicht.

    Haben die Russinnen und Russen überhaupt das Gefühl, in einer Diktatur zu leben?

    Siegert: Laut Lewada glaubt ungefähr die Hälfte der Menschen, dass Russland ein demokratisches Land ist. Die Frage ist, was sich diese Leute unter einer Demokratie vorstellen. Für viele Russen ist ein Staat dann demokratisch, wenn er sozial ist, den Menschen Fürsorge bietet. Und dies wird der Regierung Putin durchaus zugutegehalten. Hinzu kommt, dass die meisten Russen kaum Vergleichsmöglichkeiten haben. Sie kennen ihr eigenes Land, aber sie wissen kaum oder nur aus der Propaganda, was in anderen Ländern passiert.

    Wo ist die Zivilgesellschaft geblieben, die sich in den 90er Jahren so rasant entwickelte?

    Siegert: Sie ist erst bedrängt worden vom politischen Regime, dann wurde sie verfolgt und inzwischen zumindest aus dem öffentlichen russischen Leben praktisch entfernt. Es gibt fast keine unabhängigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten mehr, weil so etwas schlicht und einfach gefährlich ist und oft strafrechtlich verfolgt wird. Insbesondere Kritik am Ukraine-Krieg gilt schnell als Hochverrat.

    Eine ihrer Kernthesen mit Blick auf die Zeit nach Putin ist, dass die Menschen in Russland durchaus Demokratie wollen? Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

    Siegert: Revolutionen oder politische Umbrüche werden immer von einer Minderheit angestoßen, die große Masse passt sich an. So war es in der Endphase der DDR. Das ist zwar im Moment in Russland sehr unwahrscheinlich. Ich bin aber vorsichtig optimistisch, dass dies auch kein Ding der Unmöglichkeit ist. In meinem Buch versuche ich historisch herzuleiten, welche demokratischen Aufbrüche es in Russland schon gegeben hat.

    Skeptiker argumentieren, dass die Russen Demokratie in den 90er Jahren als korruptes und dysfunktionales System erlebt haben. In ihrem Buch zeichnen Sie ein differenzierteres Bild.

    Siegert: Es gibt keine Demokratie, die nicht aus einer Diktatur entstanden ist. In Deutschland gab es nach dem Kaiserreich den Weimarer Versuch, der schiefgegangen ist. Dann kamen der Nationalsozialismus und danach eine stabile demokratische Gesellschaft - erst in der Bundesrepublik, später in Gesamtdeutschland. Selbst in den Urländern der Demokratie - wie Frankreich, England oder den USA - musste die Demokratie hart erkämpft werden. Warum sollte das nicht auch in Russland gelingen? Die Argumentation, dass dies dort aus irgendwelchen, gar „genetischen“ Gründen nicht möglich sei, trägt für mich rassistische Züge. Alle Menschen tragen das Streben nach Freiheit grundsätzlich erst einmal in sich.

    Sie beschäftigen sich schon viele Jahre mit der Frage, was nach Putin kommen wird. Können Sie die drei Szenarien skizzieren, die Sie in Ihrem Buch entwerfen?

    Siegert: Meine Grundthese ist, dass sich nichts ändern wird, solange Putin da ist. Für die Zeit nach ihm sehe ich grob drei Szenarien. Es könnte ein Nachfolger an die Macht kommen, unter dem es so ungefähr weiter geht wie bisher. Das zweite Szenario ist, dass es schlimmer wird - schließlich gibt es in Russland durchaus Leute, die finden, dass Putin viel zu weich ist, die einen viel härteren Kriegskurs gegen die Ukraine fordern und sogar den Einsatz von Atombomben. Es ist das dritte Szenario, auf das ich hoffe, auch wenn es derzeit wenig wahrscheinlich erscheint: Danach setzen sich Akteure durch, die erkennen, dass der gegenwärtige Weg schlecht für Russland ist. Wenn Hunderttausende junge Männer im Krieg sterben oder verkrüppelt zurückkehren - mit all den Folgen für die Gesellschaft. Setzt sich diese Erkenntnis durch, gibt es tatsächlich eine Chance auf Wandel.

    Was kann der Westen tun, um Russlands Weg zu beeinflussen?

    Siegert: Russland direkt zu beeinflussen, ist fast unmöglich geworden. Das war auch schon lange vor dem Krieg weitgehend eine Illusion. Eine wirkliche Veränderung müsste aus der russischen Gesellschaft selbst heraus kommen. Der Westen sollte die Ukraine so gut wie irgend möglich unterstützen, damit Russland diesen Vernichtungs- und Eroberungskrieg nicht gewinnt. Doch genau dies passiert nicht in ausreichendem Maße. Wenn Putin Erfolg hat, dann wird dies die Chancen auf ein demokratischeres Russland und vor allen Dingen auf ein sichereres Europa erheblich vermindern.

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    Foto: Verlag

    Zur Person

    Jens Siegert, geboren 1960 in Salzgitter, ist Politikwissenschaftler und Journalist. Siegert hat die Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau mit aufgebaut, er lebt seit 1993 in Moskau. Früher berichtete er als Korrespondent aus Russland. Von 2016 bis 2021 arbeitete Siegert für die Europäischen Union. Seine Aufgabe war es, den Austausch zwischen Russland und der EU zu koordinieren.

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    4 Kommentare
    Rainer Kraus

    Das mit Putin kann man sehen wie man möchte, aber viele sehen das ganz anders: Ungarn legt im Konflikt mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach. Von der Leyen sei „persönlich verantwortlich“ für die aus ungarischer Sicht gescheiterte EU-Strategie im Ukrainekrieg, sagte Balázs Orbán, Politischer Direktor und enger Berater des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

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    Peter Zimmermann

    Dazu sage ich nur DHL Flugzeug und durch Zufall verhinderte Katastrophe. Wie will man mit jemandem reden der einem genaugenommen schon längst die Waffe an die Schläfe hält? Schon die Römer wussten wenn du Frieden willst bereite dich auf den Krieg vor. Ach ja, dass beide Orbán heißen sollte vielleicht zu denken geben Stichwort Vetternwirtschaft.

    Martin Goller

    Balazs Orban sagt auch, dass sich Ungarn keiner russischen Invasion im eigenen Land entgegenstellen sollte - ein militärischer Meisterstratege wenn es ums auf den Rücken drehen und hoffen dass der neue Meister nicht zu hart schlägt geht. Vielleicht bekommt er sogar ein Leckerli?

    Raimund Kamm

    >>Das mit Putin kann man sehen wie man möchte ...<< Anhänger von Diktatoren und Mördern haben eine Sicht. Anhänger von Demokratie, Frieden und Freiheit haben eine andere Sicht. Raimund Kamm

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