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Zentralrat der Juden: Josef Schuster über Halle-Prozess: "Aus Worten folgen Taten"

Zentralrat der Juden

Josef Schuster über Halle-Prozess: "Aus Worten folgen Taten"

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    Josef Schuster wurde 1954 im israelischen Haifa geboren und kam im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Bayern.
    Josef Schuster wurde 1954 im israelischen Haifa geboren und kam im Alter von zwei Jahren mit den Eltern nach Bayern. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Der Prozess zum Anschlag von Halle geht am Montag zu Ende (inzwischen ist das Urteil verkündet worden). Im Oktober 2019 hatte ein heute 28-jähriger Deutscher versucht, 51 Menschen zu töten, die in einer Synagoge den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, feierten. Die Anklage spricht von einem der "widerwärtigsten antisemitischen Akte" seit dem Zweiten Weltkrieg. Welche Erwartungen haben Sie an das Urteil?

    Josef Schuster: Das Urteil ist wichtig und hat Signalwirkung. Mir geht es jedoch um den gesamten Prozess. Mein Eindruck ist, das Gericht mit der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens hat das Verfahren mit viel Feingefühl gegenüber den Opfern geführt. Straff zwar, aber eben auch so, dass alle Beteiligten das Gefühl haben konnten, gehört worden zu sein. Sowohl die Anwälte der Nebenkläger als auch der Rechtsvertreter des Angeklagten haben von einer sehr fairen Verhandlung gesprochen.

    Josef Schuster wollte dem Täter ins Gesicht schauen

    Aber gibt es auch eine Erwartung an das Urteil?

    Schuster: Ich denke, das Verhalten des Täters vor Gericht, seine zahlreichen Einlassungen, die abermals seinen Hass auf Juden und Muslime deutlich gemacht haben – gerade auch beim letzten Wort – zeigen, dass er nichts bereut und jederzeit bereit wäre, so eine Tat erneut auszuführen. Da kann es in meinen Augen – es sind zwei Menschen ermordet worden – nur lebenslänglich geben. Außerdem gehe ich davon aus, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellt, die anschließende Sicherheitsverwahrung anordnet und der Täter somit nicht nach 15 Jahren Gefängnis in die Freiheit entlassen wird.

    Die Kränze für den Gedenktag an den Anschlag in Halle stehen mit Regenfolie überzogen vor der Synagoge.
    Die Kränze für den Gedenktag an den Anschlag in Halle stehen mit Regenfolie überzogen vor der Synagoge. Foto: Jan Woitas, dpa

    25 Tage wurde seit dem Sommer in Magdeburg verhandelt, viele der 51 Jüdinnen und Juden, die damals in der Synagoge in Todesangst verharrt hatten, nahmen daran teil. Warum taten sie sich das an?

    Schuster: Den Betroffenen war es wichtig, dieses schreckliche Attentat aus ihrer Sicht zu schildern, ihr Erleben in den Vordergrund zu stellen und dem Täter nicht die Deutungshoheit zu überlassen. Ich glaube, die Betroffenen wollten auch versuchen, die Tatmotive, und seien sie noch so krude, zu verstehen. Wie kommt es zu so einer antisemitischen, rassistischen und menschenfeindlichen Einstellung, wie zu einer solchen Tat?

    Sie wollten dem Täter ins Gesicht schauen?

    Schuster: Ja, ich denke schon.

    Der Täter von Halle mag alleine gehandelt haben, er ist jedoch von Gleichgesinnten bestärkt worden

    Wurden die Hintergründe der Tat ausreichend ausgeleuchtet?

    Schuster: Das Abgleiten des Täters in den Rechtsextremismus lässt sich nun besser nachvollziehen. Ich erinnere mich an Interviews im Vorfeld des Prozesses, in denen seine Mutter deutlich antijüdische Ressentiments zum Ausdruck brachte. Das zeigt, dass der Täter bereits im Elternhaus eindeutig geprägt wurde. Nach seinem Rückzug ins Internet hat der Mann sich die Webseiten und Foren herausgesucht, in die sein angebahntes Weltbild passte. Nach und nach hat es sich verfestigt. Wenn der Täter dann mit seinen antisemitischen Einstellungen und den Überlegungen zu einem Anschlag auch noch in den entsprechenden Chatrooms bestätigt wird, dann ist das eine Gemengelage, die hochexplosiv ist.

    Der Angeklagte Stephan Balliet (M) sitzt zu Beginn des 20. Prozesstages zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber (l) und Thomas Rutkowski im Landgericht.
    Der Angeklagte Stephan Balliet (M) sitzt zu Beginn des 20. Prozesstages zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber (l) und Thomas Rutkowski im Landgericht. Foto: Ronny Hartmann, dpa

    Eine der Nebenklägerinnen sagte: "Dieser Mann mag allein gehandelt haben, aber er hat nicht allein gedacht." Sehen Sie eine Struktur, so- dass sich ein solcher Anschlag jederzeit wiederholen könnte?

    Schuster: Ich sehe eine Art Dreiklang: Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die Bluttat von Halle und die Mordanschläge von Hanau geschahen innerhalb von nur wenigen Monaten. Das zeigt, dass das rechtsextreme Milieu zunehmend gewaltbereit ist. Der Täter von Halle mag alleine gehandelt haben, er ist jedoch von Gleichgesinnten im Internet sowie im Darknet in seinem Denken und in seinen Plänen bestärkt worden und hat sich radikalisiert. Diese Netzwerke müssen verstärkt beobachtet werden. Für mich sind die Attentate auch die negative Konsequenz daraus, wenn öffentlich Dinge gesagt werden, die man sich lange Zeit in Deutschland nicht getraut hat zu sagen.

    Jeder und jede kann im persönlichen Umfeld, im Kollegenkreis, in der Clique oder am Stammtisch eine ganze Menge tun

    Sie vermuten eine geistige Brandstiftung?

    Schuster: Wenn Politiker das Denkmal für die ermordeten Juden ein "Mahnmal der Schande" nennen, wenn man eine Wende der Erinnerungspolitik um 180 Grad fordert, also wenn entsprechende Äußerungen von AfD-Funktionären salonfähig und in die Mitte der Gesellschaft getragen werden, dann ist das nichts anderes. In letzter Konsequenz folgen aus enthemmten Worten dann Taten. Das sehen wir in allen drei Fällen.

    Was kann die Gesellschaft tun? Mehr Zivilcourage gegen Antisemitismus haben Jüdinnen und Juden als Nebenkläger in Halle gefordert. Was muss konkret besser werden?

    Schuster: Jeder und jede kann im persönlichen Umfeld, im Kollegenkreis, in der Clique oder am Stammtisch eine ganze Menge tun. Denn da fallen immer wieder Bemerkungen, die Vorurteile transportieren und fördern. Dann sollte man fragen: Meinst du das ernst, was du gesagt hast, findest du das wirklich gut? Dem anderen den Spiegel vors Gesicht zu halten, das fordert keine riesige Zivilcourage, aber es ist ein Anfang.

    Können Juden sicher in Deutschland leben?

    Schuster: Juden können in Deutschland in meinen Augen sicher leben. Hundertprozentigen Schutz gibt es nirgendwo. Juden sind selbst in Israel von Terrorismus bedroht. Leider.

    Was macht Ihnen Mut?

    Schuster: Mut macht mir die klare Position der politisch Verantwortlichen, vor allem der Regierenden in Bund und Ländern. Mir macht auch Mut, dass wir in den Tagen und Wochen nach Halle eine sehr große Anzahl an Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung erhalten haben.

    Zum Beispiel?

    Schuster: Viele Bürger, darunter Schulklassen, haben uns geschrieben, sie haben ihrer Abscheu über dieses Attentat Ausdruck verliehen und sich klar für jüdisches Leben ausgesprochen. Das hatte ich so nicht erwartet, das ist ermutigend.

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