Wirklich nach Feiern dürfte im festlichen Kurhaus von Baden-Baden am Mittwochabend den wenigsten zumute sein. Zum Festakt „75 Jahre Bauministerkonferenz“ sind die Ressortchefs und -chefinnen der 16 Bundesländer in den Prunksaal eingeladen, bevor sie zwei Tage lang über Auswege aus der immer schlimmer werdenden Misere am deutschen Wohnungsmarkt beraten. „Die Lage in der Baubranche ist derzeit sehr schlecht“, sagt Bayerns Bauminister Christian Bernreiter.
Bayern verzeichnet bei Baugenehmigungen den größten Einbruch seit 20 Jahren
Noch im vergangenen lag der Freistaat nach Angaben des CSU-Politikers mit über 61.000 fertiggestellten Wohnungen auf Rekordniveau. „Heuer sehen wir dagegen bei den Baugenehmigungen den größten Einbruch seit 20 Jahren“, klagt Bernreiter. „Viele, auch schon geplante Projekte werden zurückgestellt.“ In anderen Bundesländern sieht es noch schlimmer aus: Massenhaft stoppen Wohnbau-Unternehmen wegen der explodierenden Kosten große und kleine Neubauprojekte.
Das erklärte Ziel der Bundesregierung und Wahlkampfversprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, wird von Monat zu Monat unerfüllbarer. Nächstes Jahr erwartet der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft ZIA gerade einmal die Hälfte, im Jahr 2025 sogar nur noch 140.000 Fertigstellungen.
Warum sich Neubauten für Mietwohnungen kaum noch lohnen
Besonders im Mietwohnungsbau sieht die Lage verheerend aus: Derzeit gibt die Baubranche den Durchschnittspreis für eine Neubauwohnung mit 5150 Euro an. Damit müsste in ganz normalen Wohnlagen die Kaltmiete bei 18 Euro ohne Nebenkosten liegen. Preise, die heute nur wenige Menschen bezahlen können, weshalb es sich für wenige Wohnbaugesellschaften noch lohnt, neue Anlagen zu bauen. Sozialwohnungen müssten für eine Kaltmiete von immerhin 8,50 Euro von der öffentlichen Hand mit 2375 Euro pro Quadratmeter bezuschusst werden – Summen die sich immer weniger Kommunen und Bundesländer leisten können: Statt, wie von der Bundesregierung geplant, 100.000 neue sozial geförderte Wohnungen entstehen gerade mal 25.000.
Zu den Problemen kommt nun eine weitere Furcht: Wegen der sinkenden Auftragseingänge droht in der Wohnbaubranche ein massiver Abbau an Kapazitäten. Die von vielen Verbänden getragene „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen“ warnt vor einem Kipppunkt und rasanten Kollaps: Sind Kapazitäten erstmals verschwunden, dauere es sechsmal länger, sie wieder aufzubauen: „Die angemessene Deckung des Wohnraumbedarfs in Deutschland, insbesondere im Segment des bezahlbaren Wohnungsbaus, wird dann langfristig nicht mehr möglich sein“, warnen die Fachleute in ihrem Bericht.
„Sollten Bauunternehmen nun in großem Stil Mitarbeiter entlassen und Kapazitäten abbauen müssen, wäre das eine Katastrophe“, mahnt auch Bayerns Bauminister Bernreiter. „Als Freistaat Bayern schieben wir an, wo wir können. Dieses Jahr haben wir eine Milliarde Euro für die Wohnraumförderung zur Verfügung.“
Der Freistaat bietet unter anderem Familien mit einem „Bayern-Darlehen“ verbilligte Zinsen. Ein Vorgehen, das die Wohnungswirtschaft in ganz Deutschland auch für große Projekte fordert. Doch das Geld ist knapp. Bernreiter beklagt, dass der Bund schon vor dem Verfassungsurteil Förderungen zusammengestrichen hat: „2018 standen zum Beispiel noch 18 Milliarden Euro KfW-Förderung zur Verfügung, heuer sind es nur noch rund zehn Prozent davon“, kritisiert der CSU-Politiker. „Unser Ziel muss sein, den Totalabsturz der Bau- und Wohnungsbranche zu verhindern“, betont er.
IG-Bau warnt vor ,Gastro-Effekt’ in der Baubranche
Auch der Chef der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt, Robert Feiger, fordert die Politik auf, alles dafür zu tun, dass die Auftragsbücher der Hochbau-Unternehmen nicht leerlaufen: "Wir warnen schon seit Langem vor einem drohenden ,Gastro-Effekt’: In der Gastronomie wurden die Beschäftigten in der Pandemiephase nach Hause geschickt. Sie sind dann aber nicht wiedergekommen, weil sie in anderen Branchen bessere Arbeitsbedingungen vorgefunden haben. Das könnte auch der Baubranche drohen.“
„Es ist vor allem für die vielen Menschen, die eine Wohnung suchen, dramatisch, dass die Bundesregierung ihre gesteckten Ziele auf absehbare Zeit nicht erreichen wird“, sagt der Gewerkschafter. „Die angestrebten 400.000 Wohnungen sind schon so weit entfernt, die sieht man gar nicht mehr“, fügt er hinzu. Die IG Bau fordere deshalb ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro bereitzustellen, um genügend Sozialwohnungen bis zum Jahr 2025 zu bauen. Weitere 22 Milliarden Euro seien nötig, um auch für Normalverdiener erschwingliche Wohnungen zu erstellen. „Die Bundesregierung muss endlich eine neue Wohngemeinnützigkeit einführen, damit einmal geförderte Sozialwohnungen dauerhaft sozial gebunden bleiben“, fordert der Gewerkschafter.
Beim Zentralverband des Baugewerbes warnt man ebenfalls Kipppunkt in der Wohnungskrise: „Geht der Einbruch im Wohnungsbau so weiter, steht uns im nächsten Jahr nicht nur eine Insolvenzwelle bevor, sondern auch der Verlust von rund 100.000 Arbeitsplätzen“, sagt Präsident Wolfgang Schubert-Raab. „Der Wohnungsbau ist in einer tiefen Krise“, betont er. „Allein bis September wurden rund 77.000 Wohnungen weniger genehmigt als im Vorjahreszeitraum, hinzu kommt eine beispiellose Stornierungswelle“, sagt Schubert-Raab. „Sollten die Förderungen weiter zusammengestrichen und die Bedingungen für Bauwillige und Investoren noch schlechter werden, wird der Wohnungsbau auf Jahre einbrechen“, warnt er. „Was das für die Mieterinnen und Mieter bedeutet, will man sich nicht ausmalen. Das ist ein Fiasko mit Ansage.“
Schubert-Raab fordert ein massives Umsteuern der Baupolitik. „Die Politik muss nun sowohl in Berlin als auch auf der Bauministerkonferenz Prioritäten setzen“, betont er. „Ein Dach über dem Kopf und die eigenen vier Wände müssen absolute Priorität haben.“ Vor dem Hintergrund des Milliardenlochs im Haushalt müssten Investoren nun rasch Klarheit über die Rahmenbedingungen der nächsten Jahre erhalten.