Das Wohnungsbau-Barometer leuchtet rot. Der Farbton ist nicht hell, sondern dunkel, ein schrilles Alarmrot. Es weist auf einen Sturm am Wohnungsmarkt hin, der das ganze Land erfassen und erschüttern wird, wenn die Politik nicht gegensteuert. 2021 wollte die damalige Regierung 350.000 neue Wohnungen bauen. Tatsächlich wurden nicht einmal 300.000 fertig. Für dieses Jahr sieht es noch schlimmer aus. Die Ampel hat 400.000 neue Wohnungen als Ziel ausgegeben. Doch die Experten winken ab. "Wir werden zum zweiten Mal in Folge unter 300.000 Wohnungsfertigstellungen bleiben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Oliver Wittke, am Freitag in Berlin. Für die nächsten beiden Jahre könne man froh sein, wenn die 200.000er-Marke geknackt werde. Die Branche hat sich mit einem in dieser Form bislang einmaligen Appell an die Regierung gewandt und bittet um sofortige Hilfe.
Es kommt angesichts der vielen hundert Lobbyverbände in Berlin oft vor, dass auf Pressekonferenzen Forderungen an die Regierung erhoben werden. Der Wohnungsmangel an sich ist ebenfalls kein neues Thema. Dass 17 Kammern und Verbände – neben dem ZIA unter anderem noch der Handwerksverband ZDH, das deutsche Baugewerbe, Architekten, die Baustoffindustrie und viele mehr – nun mit einem gemeinsamen Aufruf an die Öffentlichkeit gehen, weist auf die Dringlichkeit des Problems hin.
Wohnungsbau reißt die gesamte Wirtschaft runter
Da ist zum einen die konjunkturelle Bedeutung. "Wenn wir nicht gegensteuern, dann bekommt diese Krise einen Dominoeffekt und breitet sich auf die gesamte Wirtschaft aus“, warnt Markus Weidling, Geschäftsführer beim Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsbauunternehmen. Etwa 4,4 Millionen Menschen sind in der Wohnungsbranche beschäftigt, mehr als in der Autoindustrie. Während anderswo Fachkräfte fehlen, konnte hier über die Jahre ein solides Fundament aufgebaut werden. Es bröckelt bereits, denn vielerorts werden Bauprojekte gestrichen. Die Beschäftigten müssen sich andere Arbeit suchen und kommen eventuell nicht wieder zurück.
Da ist zum anderen die gesellschaftliche Bedeutung. An anderen Stellen lässt sich ein Mangel verschmerzen. Wenn das neue Auto zwölf statt sechs Monate Lieferfrist hat, ist das ärgerlich. Wenn die neue Wohnung nicht fertig wird und es kein Ausweichquartier gibt, ist das eine existenzielle Bedrohung. Der Aufruf sei, sagte Oliver Wittke, "eine Art Hilferuf, denn wir wollen unserer gesellschaftspolitischen Aufgabe nachkommen, Deutschland mit Wohnungen zu versorgen“. Anderenfalls drohten "soziale Verwerfungen“.
Einige Grüne sind für einen Baustopp
Zwölf Forderungen haben die Unterzeichner formuliert. Sie mahnen weniger Bürokratie und mehr Förderung an, unter anderem durch eine Novelle des Baukindergeldes. Damit mehr Wohnungen gebaut werden können, braucht es mehr Grundstücke. Doch Deutschland hat kein Baulückenkataster, die Verbände fordern eine digitale Lösung. Kanzler Olaf Scholz wird aufgefordert, den Wohnungsbau zur Chefsache zu machen, und an dieser Stelle wird es pikant.
Denn die Wohnungswirtschaft ist nicht etwa unzufrieden mit der Arbeit von Bundesbauministerin Klara Geywitz. Ganz im Gegenteil, die Arbeit der SPD-Politikerin wird kräftig gelobt. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB), sagt: "Wir sind mit ihr sehr zufrieden, sie hat sich toll in die Themen eingearbeitet.“ Die Branche schaut vielmehr mit Sorge auf die Grünen. Viele Partei- und auch einige Regierungsmitglieder wollen den Flächenverbrauch auf null senken und stattdessen im Bestand bauen. Einige Grüne sind gar für einen kompletten Baustopp und verbinden das mit dem Gedanken, die Menschen mögen doch bitte enger zusammenrücken.
Doch 400.000 neue Wohnungen können so nicht entstehen, warnen die Expertinnen. "Deutschland ist nicht fertig gebaut“, betont Oliver Wittke und weist mit seinen Mitstreitern darauf hin, dass das Ziel von der Koalition insgesamt beschlossen wurde und deshalb von allen drei Ampel-Parteien gemeinsam umzusetzen sei. Der Kanzler müsse sein Kabinett deshalb schnell "zu einer gemeinsamen Offensive antreiben“.