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Wladimir Putin: Gibt Putin den Befehl im Ukraine-Konflikt?

Porträt

Gibt Putin den Befehl? Und wann?

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    Die Welt blickt auf Wladimir Putin: Gibt er nach dem großen Truppenaufmarsch den Befehl zur Invasion in die Ukraine?
    Die Welt blickt auf Wladimir Putin: Gibt er nach dem großen Truppenaufmarsch den Befehl zur Invasion in die Ukraine? Foto: Thibault Camus, dpa

    US-Präsident Joe Biden versucht es am Samstag ein letztes Mal. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ruft noch einmal im Kreml an. Ohne Ergebnis. Die womöglich allerletzte Chance, die Ukraine-Krise diplomatisch beizulegen, bekommt Olaf Scholz. Der Bundeskanzler trifft sich am Dienstag in Moskau mit dem Mann, bei dem die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt: Wladimir Putin. Der russische Präsident ist Oberbefehlshaber jener Armee, die einen Ring um die Ukraine gezogen hat und nun jederzeit eine Invasion beginnen könnte. Davon sind westliche Geheimdienste überzeugt. Was sie nicht wissen können: Wird Putin den Marschbefehl erteilen?

    Was hat Putin im Visier?  Der russische Präsident verfolgt konsequent seine Ziele.
    Was hat Putin im Visier? Der russische Präsident verfolgt konsequent seine Ziele. Foto: Alexei Nikolsky, dpa

    Die Antwort auf diese Frage kennt nur der russische Präsident selbst. Denn in dem autokratischen System, das Putin in 22 Jahren an der Macht errichtet hat, entscheidet er allein. Genau deshalb lohnt der Blick auf diesen Mann, den die Welt längst zu kennen meint. Man hat ihn ja schon endlos oft gesehen. Wie er breitbeinig in einem Sessel sitzt und dabei viel größer wirkt, als er ist. Gerade 1,70 Meter sind es. Man hat seine scharfzüngigen Antworten im Ohr: „Sind wir etwa an die USA herangerückt? Sie müssen uns Garantien geben. Und zwar jetzt, sofort.“ So stellt er im Dezember eine westliche Journalistin in den Senkel, die es wagt, nach Garantien für die Ukraine zu fragen.

    Wladimir Putin setzt sich gerne als starker Mann in Szene

    Im Oktober wird Putin 70 Jahre alt. Man sieht es ihm nicht an. Das mag an den Eisbädern liegen, die er im Winter nimmt und sich dabei publikumswirksam ablichten lässt. Oder am Botox. Über angebliche Schönheitsoperationen kursieren seit Jahren Gerüchte. Sicher ist, dass sich Putin immer wieder als starker Mann in Szene setzen lässt – sei es bei der Tigerjagd am Amur oder hoch zu Ross, mit nacktem Oberkörper. In Russland kommt so etwas an. Aber klar ist auch: Um seine Stärke zu demonstrieren, bräuchte Putin die Bilder nicht. In Moskau und im ganzen riesigen Reich wissen sie längst, wie weit der Arm des Präsidenten reicht. Zu viele Tote säumen seinen Weg.

    Beispielhaft genannt seien nur die Namen der legendären Reporterin Anna Politkowskaja und des populären Oppositionspolitikers Boris Nemzow, die beide erschossen wurden. 2006 und 2015 war das. 2020 trifft es Alexei Nawalny, den aktuell prominentesten Kremlkritiker, der einen Giftanschlag nur knapp überlebt und nun in einem Straflager einsitzt. In all diesen Fällen führt keine Spur direkt zu Putin. US-Präsident Biden ist dennoch überzeugt, dass sein russischer Kollege „ein Killer“ ist. Natürlich ist es möglich, dass die Vollstrecker stets auf eigene Faust handeln, in vorauseilendem Gehorsam. Andererseits hat Putin eine „Vertikale der Macht“ geschaffen. Alles beginnt oben, im Kreml. Von dort wird nach unten durchregiert.

    Alexej Nawalny ist in einem Straflager etwa 100 Kilometer östlich von Moskau inhaftiert.
    Alexej Nawalny ist in einem Straflager etwa 100 Kilometer östlich von Moskau inhaftiert. Foto: Evgeny Feldman, dpa

    Die zentralen ausführenden Organe sind die Geheimdienste FSB (Inland) und GRU (Ausland). Deren Spitzen gehören zu Putins engstem Beraterkreis, zu jenen Männern, die sie in Russland die „Silowiki“ nennen: die Starken. Im Westen würde man von Falken sprechen, in Abgrenzung von den friedliebenden Tauben, die es im Kreml aber nicht gibt. Oder nicht mehr. Denn der Putin von heute hat eine Geschichte, die man nicht vom Ende her verstehen kann. Da ist die ärmliche Kindheit im Leningrad der Nachkriegszeit. Der junge Wladimir prügelt sich viel in den Hinterhöfen, wo das Recht des Stärkeren gilt. Weil er klein ist, lernt er Judo und kämpft mit Köpfchen. Das große Vorbild ist der Vater, der im Krieg als Agent hinter der Feindeslinie deutsche Stellungen sabotierte.

    Was für Wladimir Putin die größte geopolitische Katastrophe war

    Folgerichtig führt Putins Weg in die Kaderschmieden des KGB. Doch 1991 bricht die Sowjetunion zusammen. Als Präsident spricht er später von der „größten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Der Satz ist heute weltbekannt, weniger aber die Begründung. Millionen Russen, erklärt Putin, hätten sich von heute auf morgen „im Ausland“ wiedergefunden, also in einem völlig fremden Leben. Das lässt erahnen, wie es Putin in den 1990er Jahren erging. Nichts ist damals mehr, wie es gestern noch war. Auf der Suche nach neuem Halt schließt er sich dem Petersburger Reformbürgermeister Anatoli Sobtschak an. Später schafft er es nach Moskau, wo er zum Chef des Geheimdiensts FSB aufsteigt. Er gehört also schon zu den Silowiki, als er Präsident wird.

    Dennoch: Es war keineswegs ausgemacht, wohin Putins Reise geht. 2001 hält er im Bundestag eine Rede, in der er die Hand weit Richtung Westen ausstreckt. „Wir sehen die europäische Integration mit Hoffnung“, sagt er und verspricht, niemand werde Russland je wieder in die Vergangenheit zurückführen: „Das Hauptziel ist die Garantie der demokratischen Rechte und der Freiheit.“ In der Realität geschieht das Gegenteil. Anfangs ist noch von „gelenkter Demokratie“ die Rede, die Stabilität sichern soll. Doch dann sterben die ersten Kritiker. Und 2012, als Putin nach einer Rochade mit Dmitri Medwedew in den Kreml zurückkehrt, lässt er Proteste blutig niederschlagen.

    Wie es zur Annexion der Krim kam

    Ist an all dem der Westen schuld, der die Nato immer weiter nach Osten ausdehnt und zuletzt auch einen Beitritt der Ukraine nicht mehr ausschließt? Ob Putin von Furcht getrieben ist, von einem ungebändigten Machtwillen oder von beidem, darüber lässt sich spekulieren. Sicher ist eines: Putin setzt stets alles daran, Stärke zu zeigen und nie eine Schwäche. Ohne Ausnahme. Als in Kiew 2014 die proeuropäischen Maidan-Proteste eskalieren, lässt er sich zunächst zwar auf einen Kompromiss ein. Doch als die Aufständischen den kremltreuen Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus dem Land treiben, ist Putin vorbereitet – und lässt die Krim annektieren.

    Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) bekam die Härte Putins schon zu spüren.
    Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links) bekam die Härte Putins schon zu spüren. Foto: Pavel Golovkin, dpa

    Es gibt viele solcher Beispiele. Wie die Türkei 2015 einen russischen Kampfjet abschoss und Putin das Land mit Sanktionen überzog, bis sich der sonst so stolze Präsident Recep Tayyip Erdogan entschuldigt. Oder wie Putin bei Gesprächen auf Gipfelebene regelmäßig zu spät kommt. Devise: Nie der Erste sein, nie Schwäche zeigen. Immer die anderen warten lassen, immer Stärke demonstrieren. Ob das alte KGB-Schule ist oder Putins Psyche entspringt, lässt sich nicht entscheiden. Sicher sagen lässt sich aber dies: In der Ukraine-Krise sollte niemand vom Oberbefehlshaber der russischen Armee ein Entgegenkommen erwarten, das als Schwäche interpretiert werden könnte.

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