Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler laufen Sturm gegen eine geplante Gesetzesänderung der Ampel-Bundesregierung. Ein Kernvorhaben der Novelle des Gesetzes mit der sperrigen Abkürzung "WissZeitVG": Nach der Promotion dürften wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur noch höchstens drei Jahre befristete Arbeitsverträge erhalten. Das geht aus einem am Freitag veröffentlichten Eckpunktepapier des zuständigen FDP-geführten Bundesforschungsministeriums hervor.
Bisher galt eine Grenze von sechs Jahren. Bereits jetzt zog das System Kritik auf sich: Wer es innerhalb der sechs Jahre nicht zur Eignung zur Professorin oder zum Professor brachte oder eine der seltenen unbefristeten Stellen ergatterte, ging in der Regel leer aus. Die Idee der Änderung: Jetzt solle schon drei Jahre nach der Promotion feststehen, ob der Nachwuchs eine Zukunft in der Wissenschaft habe. Doch stattdessen fürchten viele, dass der Druck weiter zunimmt.
Schnell regte sich Widerstand – allerdings nicht nur von Seiten der betroffenen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch deren Vorgesetzten: Professorinnen und Professoren, die von den Änderungen eigentlich nicht mehr selbst betroffen sind. Am Sonntag verbreitete die Münchner Soziologie-Professorin Paula-Irene Villa Braslavsky eine Erklärung über Twitter. Binnen weniger Stunden unterzeichneten sie ungefähr 400 Forscherinnen und Forscher.
Professorinnen und Professoren kritisieren Arbeitsbedingungen ihrer Belegschaft
„Als Professorinnen und Professoren mit Festanstellung bzw. im tenure track protestieren wir gegen die geplante Novellierung“, heißt es in dem Schreiben. Man wolle sich mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern solidarisieren, die zu über zwei Dritteln befristet beschäftigt seien. „Denn ihre jetzt schon kaum mehr zumutbaren Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen drohen sich noch weiter zu verschlechtern. Der Vorschlag aus dem Hause von Bundesministerin Stark-Watzinger plant eine Verschlimmbesserung der bisherigen Situation durch noch niedrigere Befristungshöchstgrenzen für Post-Docs.“ Bei sogenannten Post-Docs handelt es sich um wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Promotion – also ihre „Doktorarbeit“ – bereits hinter sich haben, aber noch keine unbefristete Stelle haben. In der Regel zielen sie auf eine Beschäftigung als Professorin oder Professor – doch an dieses Ziel schaffen es längst nicht alle.
Die Gesetzesänderung soll, so das Ministerium, Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern, die Planbarkeit und Verbindlichkeit von Karrierewegen in der Post-Doc-Phase erhöhen und frühzeitiger Perspektiven schaffen. Zudem sollen familien- und sozialpolitische Regelungen ausgeweitet und auf mehr unbefristete Beschäftigung hingewirkt werden. In den sozialen Medien spotten Nutzer, dass die Perspektive „Rausschmiss“ jetzt bereits nach drei Jahren drohe.
Die Diskussion um Arbeitsbedingungen für den "Mittelbau" der Hochschulen reicht lange zurück
Seit Jahren hatte Hochschulpersonal in den sozialen Netzwerken auf aus ihrer Sicht häufig prekäre Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. Dafür verwendeten sie Hashtags wie #IchbinHanna und #IchbinReyhan. Mit der Novellierung seien große Hoffnungen verbunden worden, schreiben jetzt die Professorinnen und Professoren.
Doch stattdessen: Ernüchterung. Bereits jetzt müsse wegen der gesetzlichen Vorgaben zur Befristung in der Wissenschaft andauernd Personal geworben und eingearbeitet werden. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ziehe es ins Ausland. Die Professorinnen und Professoren sprechen von einem „brain drain“, einer Abwanderung von Talenten.
„Die Post-Doc-Phase ist faktisch die Zeit der Familiengründung. Forschende sind auch Mütter, Väter, haben zu pflegende Eltern oder andere Angehörige, sie müssen und wollen Care-Arbeit leisten“, betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die in der jetzigen Form geplante Novellierung bestrafe insbesondere Frauen und generell all diejenigen, die Sorgearbeit übernähmen. „Das widerspricht allen Gleichstellungs- sowie Diversitätsbestrebungen, die entscheidend zur wissenschaftlichen Exzellenz beitragen.“
Das Bundesforschungsministerium rudert nach dem Protest zurück
Die Gesetzesänderung würde die Vielfalt der Forschungslandschaft nach ihrer Ansicht deutlich einschränken. „Für Deutschland als Wissenschaftsstandort wäre das fatal, für die Zivilgesellschaft auch.“ Die Besten kämen schon längst nicht mehr zum Studium nach Deutschland, und wenn doch, dann blieben sie nicht. Die Professorinnen und Professoren sprechen ein Werbevideo des Bundesforschungsministeriums an, mit dem Studierende aus dem Ausland umworben werden sollen. Im Titel ist von einem „research wonderland“ die Rede, dem „Forschungswunderland“ Deutschland. Es zeige eine „eine Fiktion, in der das WissZeitVG nicht existiert“. Das Gesetz müsse grundlegend novelliert oder abgeschafft werden, schlussfolgern die Professorinnen und Professoren.
Bereits am Sonntag zeichnete sich ab, dass der lautstarke Protest erfolgreich gewesen sein könnte: „Es geht zurück in die Montagehalle“, schrieb Sabine Döring, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium auf Twitter.