Die Wortwahl verrät, wie knapp die Zeit inzwischen ist. Kürzlich erst rief Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit Blick auf die Ampel-Koalition einen „Herbst der Entscheidungen“ aus. SPD-Chef Lars Klingbeil verkürzte die Spanne jetzt auf eine „Woche der Entscheidung“. Was nun stimmt, weiß im Regierungsviertel offenbar niemand mehr.
Sobald nach ratlos wirkenden offiziellen Statements die Mikrofone stummgeschaltet sind, geht es hinter den Kulissen ähnlich weiter. Selbst die, die ansonsten für (fast) alles eine Erklärung haben und Schuldzuweisungen nicht scheuen, haben keinen neuen Ansatz parat. Kanzler Olaf Scholz (SPD), Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzen derweil ihre Gespräche fort.
Der Kanzler will von Krise nichts wissen
Nach außen gibt sich Scholz nüchtern und entschlossen. „Die Regierung ist gewählt im Amt und wird die Aufgaben erledigen“, sagte der SPD-Politiker am Montag nach einem Treffen mit dem neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Tags zuvor hatte er mit Lindner zusammengesessen, um abzuklopfen, ob ihm der FDP-Vorsitzende die Treue hält.
Es geht gerade viel durcheinander in seiner Regierung. Scholz, Lindner und Habeck reden über den Haushalt 2025, obwohl der längst dem Parlament übergeben und im Haushaltsausschuss in großen Teilen bereits beraten wurde. Kommenden Mittwoch soll die Bereinigungssitzung stattfinden, um die letzten Details des Etats zu besprechen. Für Ende November ist das Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes vorgesehen. In Stein gemeißelt ist dieser Fahrplan nicht mehr. Regierungsvertreter schließen inzwischen nicht aus, dass wie im vergangenen Jahr zunächst eine vorläufige Haushaltsführung gilt. Bund und Länder blieben dann auf alle Fälle zahlungsfähig. Pflichtaufgaben des Staates würden finanziert, bereits begonnene Projekte könnten fortgesetzt werden, nur neue für die Zukunft kämen nicht hinzu.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit versuchte, die gewohnt knappe Einlassung des Kanzlers auszudeuten. Ihm gehe es in den laufenden Gesprächen ganz klar um eine Stärkung der deutschen Wirtschaft, erklärte Hebestreit. Es brauche da eine Lösung und darüber spreche man jetzt. Es passiere gerade vieles „unter Hochdruck“. Nun komme es darauf an, einen Weg zu finden, „der für alle gangbar ist“.
Lindners Kampfansage an Grüne und SPD
Eine solche Weg suchte FDP-Chef Lindner bei der Fortsetzung seines Wirtschaftsgipfels in Berlin. Dessen Wirtschaftspapier sei bei den Beteiligten gut aufgenommen worden, erklärte anschließend Fraktionschef Christian Dürr. Lindner trat nicht vor die Kameras. Deutschland brauche nach Jahren des Stillstands, so Dürr, „echte Strukturveränderungen“. Die Koalition werde dazu „in dieser Woche“ weitere Gespräche führen.
Das Papier ist eine Kampfansage an beide Koalitionspartner. Um den ökonomischen Stillstand zu beenden, plädiert der Finanzminister unter anderem für ein Ende der Ökostromförderung und den Verzicht auf Subventionen für große Unternehmensansiedlungen, wie sie der Chipkonzern Intel für das Werk in Magdeburg erhalten sollte. Beide Forderungen richten sich gegen die Grünen. Damit nicht genug – Lindner verlangt sogar eine Verschiebung der Klimaziele nach hinten. Der 45-Jährige hat aber auch für die SPD Unerfreuliches aufgeschrieben, in seinem Katalog stellt er etwa das geplante Tariftreuegesetz infrage.
Wirtschaftsminister Habeck appellierte am Montag mit ernster Miene an den Vorsitzenden der Freien Demokraten, nicht vor der Verantwortung davonzulaufen. „Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert.“ Er begründete seine Mahnung mit dem Vormarsch Russlands in der Ukraine und dem möglichen Wahlsieg Donald Trumps in den USA. „Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland und sie haben nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die Bundesregierung zu stärken“, beklagte der Vize-Kanzler. Er ging einen Schritt auf den Finanzminister zu und bot ihm an, die eigentlich für Intel reservierten 10 Milliarden Euro zum Stopfen der Haushaltslöcher zu verwenden.
Vor der Ampel-Koalition hat sich viel Schadholz aufgetürmt, das es zu beräumen gilt. Am Mittwoch findet der schon seit Monaten geplante Koalitionsausschuss mit den Spitzen der Ampel-Parteien statt. Mutmaßungen, es könne dabei zum Knall kommen, scheinen nach den Äußerungen von Dürr unwahrscheinlich. Nach Einschätzung von SPD-Chefin Saskia Esken handelt es sich um einen „ganz normalen Koalitionsausschuss“, bei dem es nicht um einen „Showdown“ gehe. Die Ampel müsse vielmehr überlegen, ob sie die Kraft aufbringe, um bis zum Ende weiter zu regieren. Die SPD stehe bereit. „Was wir nicht brauchen, sind Querschüsse aus Gegenveranstaltungen. Auch nicht aus Reihen der Koalition.“
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