Es gibt ein Plakat in diesem Brandenburger Wahlkampf, das wie kein zweites den Nagel auf den Kopf trifft. Es zeigt einen lächelnden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke in Positur. Ungewöhnlich ist, dass das Plakat nicht von seiner SPD stammt, sondern von der Opposition. Erst der zweite Blick verrät die Absicht. Hinter Woidkes Rücken lauern Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck, dazu gesellen sich Innenministerin Nancy Faser und Außenministerin Annalena Baerbock. „Wer Woidke wählt, wählt die Ampel“, lautet die aufgedruckte Parole.
Aufgestellt hat diese Plakate die AfD, die den Ministerpräsidenten von der Macht verdrängen will. Die letzten Umfragen sehen sie am Wahlsonntag knapp vorn. Die Rechtsnationalen haben mit dem Motiv einen Punkt getroffen. Woidke scheut jede Verbindung zur Ampel – dieser unbeliebtesten aller Koalitionen seit Gründung der Bundesrepublik – wie der Teufel das Weihwasser. Besonders zum Kanzler aus der eigenen Partei geht er auf Abstand, obwohl Scholz in Potsdam wohnt. „Es geht im Wahlkampf um Brandenburg, die Bundesregierung ist eine andere Ebene“, sagt er bei einem Wahlkampfauftritt im Örtchen Pausin wenige Tage vor der Wahl.
Bloß der Olaf nicht: Woidke macht Wahlkampf ohne Scholz
Das Dorf liegt mit dem Auto eine halbe Stunde außerhalb Berlins, doch die Hauptstadt und ihr Getöse wirken weit weg. Der Ministerpräsident hat nach all den Monaten der Kampagne eine Routine entwickelt, sich von Scholz abzugrenzen, ohne unhöflich zu wirken. Und der Kanzler fügt sich. Beim Sommerfest der SPD in Potsdam ist er zwar zu Gast, hält aber keine Rede.
Scholz macht eine kleine Sommertour durch Brandenburg, aber nicht in seiner Funktion als Chef der Bundesregierung, sondern als Bundestagsabgeordneter. Er hat seinen Wahlkreis in und um Potsdam herum. Am Freitag führt ihn die Kontaktaufnahme mit den normalen Leuten in das Filmmuseum Potsdam, in eine Schankwirtschaft und zu einer Bäckerei. Scholz hat sich dafür entschieden, sich unsichtbar zu machen. Er tut das nicht ganz uneigennützig.
Wenn Woidke am Sonntag verliert, dann wankt die Kanzlerschaft. Dann könnte die Debatte Wucht aufnehmen wie eine Lawine, ob Scholz weg muss, damit Boris Pistorius die Sozialdemokraten aus den Ruinen der Ampel-Koalition auferstehen lässt. Es sagt natürlich einiges aus über den Zustand des Regierungsbündnisses, dass sich Scholz verzwergen muss, um seine Macht zu retten.
Gardemaß für Brandenburg
Ganz anders Woidke: „Brandenburg braucht Größe“, steht auf einem Wahlplakat. Und es stammt sogar von der SPD. Der Ministerpräsident misst 1,96 Meter. Auch in Pausin bestimmt er die Szenerie. Das Sakko hat er in der Limousine gelassen. In weißem Hemd und ohne Krawatte hält er eine kurze Rede. Der späte Sommer spendet Milde. Die Genossen des Ortsvereins haben ein altes Bauerngut aus rotem Backstein gemietet, das zu einer Mischung aus Restaurant, Seminarzentrum und Festsaal umgestaltet wurde. Paare geben sich hier das Ja-Wort und pflanzen zur Erinnerung Bäume, Dirk und Doreen haben in den Garten einen Ahorn gesetzt. Auf dem Nachbarhof trottet ein Pferd über die Koppel.
Die Landidylle kann hier eigentlich nichts trüben, wäre da nicht das Unbehagen, dass am Morgen nach der Wahl politisch alles anders sein könnte. Über Monate führte die AfD die Umfragen mit weitem Abstand an. Woidke entschied sich deshalb, ins Risiko zu gehen. Vor gut zwei Monaten machte er den Wählern eine klare Ansage. Entweder ihr wählt mich auf Platz 1, oder ich bin weg.
Wenn die Umfragen stimmen, dann hat die Polarisierung Aussicht auf Erfolg. Betrug der Abstand zwischen SPD und AfD vor Woidkes Diktum vier, fünf Punkte, ist er nun auf einen geschrumpft. „Eine Rolle rückwärts gefährdet alles. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schaden diesem Land. Punkt“, sagt der Amtsinhaber in seiner kurzen Rede im Hochzeitsgarten. Die drei Buchstaben A, F und D nimmt er nicht in den Mund.
Dietmar Woidke: Ein Ministerpräsident, der Traktor fährt
Den Leuten erzählt er aus seiner Familiengeschichte. Sein Opa sei mit einer Sorbin verheiratet gewesen. Die Nazis diskriminierten die Minderheit in der Lausitz. Für Woidke bedeutet die Geschichte seiner eigenen Familie, dass die AfD „keinen Zentimeter in die Nähe der Macht“ kommen dürfe. Nach seiner Rede setzt sich Woidke an die Tische mit den Leuten und redet. Der ländliche Raum ist sein Terrain. Der 62-Jährige stammt vom Bauernhof, kann Traktor fahren, hat Landwirtschaft studiert und in dem Fach promoviert.
Mit Ausnahme von Potsdam ist Brandenburg Provinz. Wälder, Felder, Seen, dazwischen kleine Städte und Dörfer, die von Alleen verbunden werden. Woidke ist einer von hier, über die Hälfte der Brandenburger ist mit seiner Arbeit zufrieden, die SPD doppelt so stark wie im Bund. Die Partei stellt hier seit 1990 den Ministerpräsidenten. In den vergangenen Jahren hat das Land mit der Ansiedlung des Tesla-Werkes in Grünheide von sich reden gemacht. Im Durchschnitt verdienen die Brandenburger im meisten im Osten. Die Jahre drückender Arbeitslosigkeit sind passé.
Dennoch sind Frustration und Wut über die Verhältnisse groß. AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt nutzt sie und facht sie an. Im Kern seiner Kampagne steht die Asylpolitik. Die Ausweisung von Migranten ist bei ihm kein Geheimplan, sondern Politikziel, ein Versprechen. Der frühere Laborarzt der Berliner Charité setzt immer wieder bewusst Provokationen ein, wie beim Fernsehduell der Spitzenkandidaten aller Parteien im Rundfunk Berlin-Brandenburg in der Woche vor der Wahl. Für Katholiken bedeute Nächstenliebe, so der frühere Laborarzt, sich um die Angehörigen des eignen Volkes zu kümmern. Durch das Studio geht ein Raunen. Dennoch könnte Berndt dafür sorgen, dass am Sonntag gleich zwei bekannte SPD-Männer die Macht einbüßen.
Mir ist es relativ egal was im Nahen Osten, in Brandenburg, passiert; aber ein Ministerpräsident, der sich offen gegen den Kanzler, einen Parteikollegen, stellt, hat den Sieg bei den Landtagswahlen nicht verdient.
Herr Böldt, sehr originell Ihre Definition vom „Nahen Osten“. Aber mindestens genauso originell sind manche Politiker. Da gewinnt in Sachsen Kretschmer und seine CDU knapp mit mir sympathischen Positionen, wie z. B. das kräftige Werben für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg, das Murren dagegen von Herrn Kiesewetter ist während des Wahlkampfes kaum vernehmbar und Boris Rhein sagt, Kretschmers Wahlsieg hat Friedrich Merz gestärkt. Und wenn heute Abend Woidke und seine SPD knapp vorne liegen sollten, dann wird das sicher auch als Sieg für Olaf Scholz „verkauft“. Und vielleicht können wir heute Abend auch schon am Wahlergebnis ablesen, wie sehr die Union durch die Nominierung ihres Kanzlerkandidaten „gestärkt“ wurde. | bis hierher leider schon wieder mehr als 500 Zeichen …
Ich vermute schon immer, daß Merz nur sehr begrenzten Rückhalt in der CDU hat, so daß er nicht wirklich kann oder sich trauen darf, wie er vielleicht wirklich wollte. Er agiert auf Sparflamme, wie an einer kurz gehaltenen Leine. Die wenigen, die schon immer überzeugend am konservativ-bürgerlichem Profil auch zu Merkels Zeiten festgehalten haben, sind heute nicht mehr zu hören oder zur Unterstützung für Merz wagemutig genug: Mißfelder, Schönbohm, Kuban, Bosbach, Middelberg. Lediglich Linnemann darf noch Merz’ öffentlich unterstützen. Ich halte Merz’ Stellung in der CDU für instabil und schwach, daher hat er nicht die Chupze und Energie, wie Söder mit klaren, unbequemen An- und Aussagen aufzutreten.
Frage an Lindner und FDP: Wahlausgang für Sie ist klar. Was gedenken Sie dann zu tun, bzw. bereuen Sie, etwas nicht getan zu haben?
Merz oder Scholz? Kommt auf ein verläßliches, konkretes Statement von Merz’ bezüglich beabsichtigter Koalition an. Einen Vizekanzler aus der Schwesternpartei, z.B. Söder kann ich mir vorstellen, weil das die Union weniger instabil machen könnte als ein Vizekanzler aus einem Koalitionär.
Warum wählen noch so viele SPD? Vielleicht, weil ihnen immer noch der nostalgische Nimbus und Wunschtraum von “sozial”, für alle bürger- und arbeiternah, anhängt, der ihnen über Jahrzehnte, anfangs bis zu den ca. 70er Jahren zu Rechts, quasi als mündliche Überlieferung, anhängt, und weil so manche sozialistisch mit sozial verwechseln und antikapitalistisch mit gerechter Verteilung von Wohlstand, gern auch ohne Eigenleistung für alle auf Kosten arbeitender Steuerzahler.
Merz oder Scholz als Kanzler? Wer als Vizekanzler? Möglich wären auch Linnemann oder Söder. Beide Kanzlerpersonen sollten auf jeden Fall aus der Union gewählt werden. Sensible Ministerien wie Inneres, Wirtschaft, Verkehr, Finanzen, Sicherheit, Bildung, Arbeit sollten innerhalb der Union verteilt werden. Wenn Merz/CDU sich daran hielte, dann könnnten selbst Grüne als Koalitionäre kaum noch Schaden anrichten.
Drohendem Amapelkonflikt nach Sieg der AfD kann/muß(!) die FDP aus dem Stand im Keim ersticken und RotGrün den Wind aus den Segeln nehmen, indem die die Koalition verläßt.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden