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Wie viel Macht hat der französische Präsident Emmanuel Macron noch?

Frankreich

Einsam im Élysée-Palast: Der tiefe Fall des Emmanuel Macron

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    „Er wirkt verloren“, soll ein Minister kürzlich über Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesagt haben. 
    „Er wirkt verloren“, soll ein Minister kürzlich über Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gesagt haben.  Foto: Aurelien Morissard, afp

    Emmanuel Macron hat eine Vorliebe für griffige Sprüche, die hängenbleiben, selbst wenn sie gar nicht von ihm stammen. Den jüngsten brachte er beim EU-Gipfel in Budapest vor einer Woche an, Donald Trumps Wahlsieg stand da seit einem Tag fest. Wie andere Politiker auch ließ der französische Präsident dort durchscheinen, dass für die Europäer raue Zeiten anstehen, ob in der Handels-, Außen- oder Verteidigungspolitik. „Die Welt ist gemacht aus Pflanzenfressern und aus Fleischfressern“, sinnierte er auf der Bühne. „Wenn wir uns dazu entschließen, Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser gewinnen.“ In seinen Augen wäre es deshalb „nicht schlecht, Allesfresser zu sein“. Ohne Deutschland beim Namen zu nennen, kritisierte Macron die Versuchung, „unsere Geopolitik an die USA und unser Wachstumsmodell an unsere chinesischen Kunden zu delegieren“.

    Die Metapher aus der Tierwelt hat der frühere französische Außenminister Hubert Védrine schon mehrmals benutzt, ursprünglich geht sie auf Sigmar Gabriel zurück. „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer“, warnte der frühere deutsche Außenamtschef im Jahr 2018. Aus der Beschreibung einer Situation, in der Nationen einander feindselig gegenüberstehen und die Raub- die Beutetiere reißen, versuchte Macron nun also, einen Appell an die Partner abzuleiten. Doch wird er noch gehört?

    Der französische Staatschef Macron ist in einer fragilen Position

    Schon während der EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs im ersten Halbjahr 2022, in die Russlands Angriff auf die Ukraine sowie seine eigene Wiederwahl fielen, machte er aus dem Begriff der „strategischen Autonomie“ ein gerne wiederholtes Schlagwort. Die Überzeugung, dass die Europäische Union ihre eigene Verteidigung ausbauen, sich sicherheitspolitisch vom amerikanischen Schutzschirm lösen müsse und sich nicht infolge der Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China „schlucken“ lassen dürfe, wurde zu Macrons Leitmotiv.

    Jetzt wählt er noch immer starke Worte, aber vermag der 46-Jährige noch etwas auszurichten? Kann er, der 2017 mit seiner programmatischen Europa-Ansprache in der Elite-Universität Sorbonne ein ambitioniertes Bild von einer eng verbundenen, gefestigten EU entwarf, noch eine europäische Führungsrolle einnehmen? Angesichts des Regierungs-Chaos und der anstehenden Bundestagswahlen in Deutschland, was in der Gemeinschaft ein Machtvakuum schafft, stellt sich die Frage umso dringlicher. Doch auch der französische Staatschef ist in einer fragilen Position. „Es ist offensichtlich, dass sich jede Schwächung auf der nationalen in eine Schwächung auf der internationalen politischen Bühne übersetzt“, sagt Bertrand Badie, ein Spezialist für internationale Beziehungen.

    Startete Macron 2017 als junger Hoffnungsträger mit einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung im Rücken, so war diese seit der Wahl 2022 nur noch relativ. Man ging davon aus, dass er anlässlich der schwierigen Budgetverhandlungen in diesem Herbst die Nationalversammlung auflösen und vorgezogene Parlamentswahlen ausrufen würde. Doch zum allgemeinen Erstaunen tat Macron dies bereits im Sommer, am Abend der Europawahlen mit enttäuschendem Ausgang für seine Partei Renaissance. Der Überraschungscoup konnte eine neuerliche Wahlschlappe nicht verhindern. Renaissance mitsamt Bündnispartnern stellen seitdem nur noch den zweiten von drei großen politischen Blöcken in der Nationalversammlung, hinter dem links-grünen Zusammenschluss und vor dem rechtsextremen Rassemblement National (RN), der größten einzelnen Oppositionspartei mit 125 Abgeordneten.

    Macron gilt in Frankreich jetzt schon als „lahme Ente“

    Die Republikaner verfügen lediglich über 47 Sitze. Dennoch stammt der Premierminister, der frühere EU-Kommissar Michel Barnier, aus ihren Reihen, während die siegreichen Linken das Nachsehen hatten. Barnier galt als einer der wenigen, der nicht sofort durch einen Misstrauensantrag gestürzt würde; so hatte es RN-Fraktionschefin Marine Le Pen versprochen. Das versetzt seine Mitte-Rechts-Regierung in eine Position der Schwäche. Wie lange sie im Amt bleibt, weiß niemand. Regulär finden die nächsten Präsidentschaftswahlen im Mai 2027 statt, doch die potenziellen Kandidaten bringen sich längst in Stellung.

    Macron, dem die Verfassung eine dritte Amtszeit in Folge verbietet, gilt jetzt schon als „lahme Ente“, weitgehend handlungsunfähig, so dynamisch er auch auftreten mag. Nur noch ein Viertel der Menschen in Frankreich bewerten ihn positiv. Als Barnier kürzlich bei einer Gedenkveranstaltung des jüdischen Dachverbandes Crif für die Opfer der Hamas-Anschläge in Israel vom 7. Oktober 2023 Macrons Namen erwähnte, waren Buhrufe zu hören. Mit dem bevorstehenden Abschluss des EU-Freihandelsabkommens mit dem südamerikanischen Staatenblock Mercosur, den Paris kaum noch verhindern kann, drohen neuerliche Proteste der französischen Bauern. Es ist eines der Themen, bei denen Macron, der sich sonst als überzeugter Pro-Europäer darstellt, nationalen Interessen Vorrang gibt.

    Frankreichs Premier Michel Barnier am Mittwoch bei einem Treffen mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission. +++ dpa-Bildfunk +++
    Frankreichs Premier Michel Barnier am Mittwoch bei einem Treffen mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission. +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Wiktor Dabkowski, Zuma Press Wire/dpa

    Viele seiner einstigen glühenden Anhänger haben sich von ihm abgewendet, weil sie sich betrogen fühlen. Sein ehemaliger Premierminister Gabriel Attal, der Macron nicht verziehen hat, erst in letzter Sekunde von der geplanten Auflösung der Nationalversammlung informiert worden zu sein, wurde zu einem regelrechten Gegner. Entgegen Macrons ausdrücklichem Willen möchte Attal, der bereits Renaissance-Fraktionsvorsitzender ist, auch Chef der Partei werden und diese für die Vorbereitung seiner eigenen Präsidentschaftskandidatur nutzen. Der Präsident, so heißt es, schäumt und will sich sein Erbe nicht vorzeitig von seinem ambitionierten Zögling stehlen lassen. Aber kann er es verhindern?

    Frankreich versinkt derzeit in einer Schuldenlast

    Als „der Isolierte im Élysée-Palast“ bezeichnete ihn gerade erst die Zeitung Le Parisien, während das Wochenmagazin Le Point düstere Fotos des sorgenvoll dreinblickenden Präsidenten im Großformat druckte, neben dem Titel „Die seltsame Endzeit“. In einer langen Reportage über die aktuelle Verfassung des Präsidenten ließ sich kaum jemand aus seinem Umfeld mit Namen zitieren. „Er wirkt verloren“, sagte demnach ein Minister. „Wenn ich sentimental wäre, hätte ich mich schon umgebracht“, soll Macron selbst in kleiner Runde getönt haben. „Jupiter, in dessen Wortschatz das Verb ,delegieren‘ nicht vorkam, wird bewusst, dass ihm alles entgleitet“, urteilt Le Point in Anspielung auf den Gott, dessen Namen dem fast allmächtig erscheinenden Staatschef zu Beginn seiner Amtszeit gegeben wurde. Nun wird berichtet, es sei ruhig geworden in den Gängen des Élysée-Palastes. Viele Berater hätten ihre Posten verlassen. Jene, die blieben, werden von den Ministerien nicht mehr in alles eingeweiht.

    Es sei „in seinem eigenen und im Interesse von uns allen, dass er sich selbst jetzt aus der Innenpolitik heraushält“, wird eine Führungspersönlichkeit aus Macrons Partei zitiert. Offiziell heißt es, der Präsident mische sich nicht in die Debatten um den Haushalt ein, um dessen Verabschiedung das Parlament derzeit ringt. Massive Einsparungen sind nötig, denn die Lage ist kritisch: Frankreichs Defizit könnte dem Wirtschaftsministerium zufolge in diesem Jahr 6,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen, gegenüber den ursprünglich anvisierten 4,4 Prozent. Heftig debattiert das Land über die Gründe für die Schuldenexplosion, die das Volk erst jetzt zu entdecken scheint. Bis vor Kurzem war sie kaum ein Thema. Haben Macron und Attal vor den Europawahlen bewusst die volle Wahrheit verschleiert und die öffentlichen Ausgaben dadurch seelenruhig weiter ansteigen lassen? Die Rückzahlung der Schulden macht den zweitgrößten Ausgabenposten nach dem Ressort Bildung und Erziehung aus.

    Schon jetzt gehört die miserable Haushaltslage zum Erbe des ehemaligen Investmentbankers. „Unsere laufenden Ausgaben und unsere Schulden nicht zu senken, wäre unverantwortlich für die nächsten Generationen“ – Macrons eigener Satz aus dem Jahr 2017 fliegt ihm heute um die Ohren. Bis zum Jahresende wird sich das Land seit seinem Amtsantritt um 1000 Milliarden Euro zusätzlich verschuldet haben. Als „Mozart der Finanzen“ war der ehemalige Wirtschaftsberater und -minister unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande einst gerühmt worden. Doch während der aufeinanderfolgenden Krisen von der „Gelbwesten“-Protestbewegung über die Corona-Pandemie bis hin zum Anstieg der Energie-Preise hatte er die Wirtschaft und die Haushalte massiv unterstützt. „Koste es, was es wolle“, lautete das Motto. Macron selbst hält sich zugute, die Arbeitslosigkeit gesenkt, ein besseres Geschäftsklima geschaffen und eine Rezession verhindert zu haben. Er sei „fest entschlossen, sein Erbe zu verteidigen“, sagt ein weiterer Vertrauter. Auch ist er noch jung – und eine Wiederwahl in wenigen Jahren, nach einer politischen Auszeit, nicht ausgeschlossen.

    In Sachen Wiederaufbau von Notre-Dame hat Macron Wort gehalten

    Denn trotz aller Probleme scheint die Resignation nicht zu den Gefühlen zu gehören, die der französische Präsident kennt. Bei seinem angriffslustigen Auftritt in Budapest klang durch, dass er es als europäischer Staatenlenker durchaus weiterhin mit den Großen der Welt aufnehmen will. Innenpolitisch ist er zwar geschwächt, aber seine Gegner ebenso – die Linken sind zerstritten, die Bürgerlich-Rechten dezimiert, während den Rechtsextremen bei den Wahlen einmal mehr Grenzen aufgezeigt wurden.

    In wenigen Wochen wird Macron die nach dem Brand im April 2019 renovierte Pariser Kathedrale Notre-Dame eröffnen und zeigen, dass er Wort gehalten hat mit seinem Versprechen, diese in nur (gut) fünf Jahren aufzubauen, und zwar „noch schöner als zuvor“. Viele hielten ihn damals für verrückt.

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