Bei der Viererrunde im Fernsehen wollte Robert Habeck ein bisschen anders sein. Kein Krawattenmann wie seine Konkurrenten Olaf Scholz und Friedrich Merz. Unter dem schwarzen Sakko trug Habeck, ja was eigentlich? Friedrich Merz lästerte im Nachgang der TV-Diskussion am Sonntagabend, dass der Grünen-Kanzlerkandidat im Unterhemd erschienen sei. Habeck klärte auf, dass es sich um einen dünnen dunklen Pullover handelte. „Hat Herr Merz im Sauerland wohl noch nicht mitbekommen. Das trägt das moderne Deutschland“, lästerte die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann zurück.
Es ist eine Petitesse am Ende dieses Wahlkampfes, aber sie sagt einiges aus. Habeck ist der Politiker, der nicht so richtig Politiker sein will. Mehr Mensch als Machtmaschine in Machiavellis Spiel. Früher erzählte er manchmal den Witz, was der Unterschied sei zwischen einem Schlips und einem Kuhschwanz. „Der Kuhschwanz verdeckt das ganze Arschloch“, war die Antwort und man wunderte sich, dass ausgerechnet dieser nachdenkliche Mensch diese Zote brachte.
Der Kandidat am Küchentisch der Wähler
Aber im Grunde fußte seine ganze Kampagne auf dieser Botschaft. Sei kein Arschloch. Deshalb setzte er sich zu Leuten an den Küchentisch und redete in behüteter Atmosphäre über die Probleme dieses Landes. Er besuchte sogar die Chefredakteurin der Bild-Zeitung, Marion Horn. Das Blatt hat mit den aufgedrehten Berichten über das Heizungsgesetz Habeck schwer geschadet. Es kam ein nettes Gespräch dabei heraus und Horn musste sich hernach von konservativer Seite vorwerfen lassen, zu sanft mit ihrem Gast umgegangen zu sein.
Wahlkampf wird mit Parolen gewonnen, aber auch der persönliche Angriff auf die anderen Spitzenkandidaten gehört dazu. Scholz schmähte Friedrich Merz als Fritze, der Tünkram erzählt. Tünkram ist plattdeutsch und heißt so vieles wie dummes Zeug. Merz nannte den SPD-Kanzler abfällig „Klempner der Macht“ und „zum Fremdschämen“. Sollte heißen, Staatsgeschäfte sind die Angelegenheit für Philosophen und nicht für Handwerker. Merz betitelte den Gegner von den Grünen als „Gesicht der Wirtschaftskrise“, an anderer Stelle als „Wuschelbär, dessen Gedanken auch manchmal ziemlich wuschelig sind“.
Wenn Habeck austeilt, dann hört sich das so an. „Die Union verkackeiert die Bevölkerung.“ Markus Söder, der keinen Tag auslässt, um den Grünen und ihrem Spitzenkandidaten die Schuld für alles zu geben, wirft Habeck „Maulheldentum“ vor. Schärfer wird es nicht. Habeck hat sich fest vorgenommen, in der Öffentlichkeit einen anderen Ton zu setzen. Das Gift, das in Facebook- und Whatsapp-Gruppen trieft, will er durch das respektvolle Gespräch entgiften. Gegen die aufgedrehte Lautstärke setzt er die Kraft der starken Vernunft. Es spricht daraus der Hausphilosoph der Bundesrepublik, Jürgen Habermas, der an den zwanglosen Zwang des besseren Arguments glaubte.
Die Grünen als Verteidiger der alten Bundesrepublik
Habeck fürchtet, dass die raue Wirklichkeit der modernen Kommunikation den greisen Philosophenkönig überholt hat. Dass ausgerechnet die Grünen, die einst das „Schweinesystem“ beseitigen wollten, heute den republikanischen Geist verteidigen, zeigt, welchen Weg sie zurückgelegt haben. Unter Habecks Prägung ist das alte Sponti-Erbe von besetzten Häusern, den Kampf mit den Bullen und wider den Kapitalismus erloschen. Sie sorgen sich jetzt um Deutschland, das in ihren wilden Anfängen sterben sollte. Der Kampf gegen das System kommt heute woanders her.

Seinem eigens für den Wahlkampf geschriebenen Buch mit dem Titel Den Bach rauf hat Habeck ein Zitat der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer vorangestellt. „Schaut nicht auf das, was Euch trennt. Schaut auf das, was Euch verbindet.“ Wenn keiner mehr zuhört, nur noch geschrien wird, dann profitieren davon die Populisten und Extremisten. Friedländer ist die Mahnung der deutschen Geschichte, wohin es führen kann, wenn nur noch gebrüllt wird.
Auf dem Parteitag der Grünen Mitte November in Wiesbaden ist es Ricarda Lang, die Wasser in den Messwein kippt. In ihrer Abschiedsrede mahnt sie, dass es nicht genügt, wenn sich die Partei als Hüterin der Demokratie präsentiert, aber darüber Handfestes vergisst, wie zum Beispiel die teuren Lebensmittelpreise. „Wir sind nicht die Staubsauger-Vertreter der Demokratie“, ruft sie in den Saal. Und sie redet ihren Leuten ins Gewissen. „Wir Grüne können uns das mit der Mitte in die Haare schmieren, solange wir als Elitenprojekt wahrgenommen werden.“ In den Umfragen steht die Partei seinerzeit zwischen 11 und 12 Prozent. Wenn Elite eine kleine Gruppe der Bevölkerung ist, dann kommen die Grünen dem sehr nahe.
Habeck stochert ahnungslos im Nebel
Gut zwei Monate späte befasst sich ihr Kanzlerkandidat mit den handfesten Dingen. Er schlägt vor, zur Stabilisierung der steigenden Sozialbeiträge für Rente, Pflege und Gesundheit Kapitalerträge wie Dividenden und Zinserträge zu belasten. Doch Habeck weiß nicht, wie das gehen soll. Er kann es nicht erklären, obwohl er Erklärungsschnipsel und sogar ein Video nachschiebt. Die Parteivorsitzende Franziska Brantner wird in einer Talk-Show durch die Mangel gedreht, weil sie die Idee des Kanzlerkandidaten nicht zu erläutern vermag. „Robert, Du verstehst es nicht“, macht sich FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki lustig. Er verweist genüsslich auf das Prinzip, wonach jeder, der Geld in die Sozialkassen einzahlt, auch Anspruch auf Leistungen daraus hat.

Äquivalenzprinzip heißt der Fachbegriff, und im Hauptstadtbetrieb fragen sich alle, warum der deutsche Wirtschaftsminister die Finanzgrundlagen der Sozialkassen nicht kennt. Er bestätigt damit das Urteil, das seine Gegner über ihn gefällt haben. Ein sympathischer Schwafler, der Kinderbücher geschrieben hat, aber von der Wirtschaft besser die Finger lassen sollte.
Habeck gerät in dieser Woche Mitte Januar schwer in die Defensive. Ausgerechnet da muss er im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Atomausstieg aussagen. Union und FDP haben das Ziel, den Kandidaten als grünen Ideologen dastehen zu lassen, der Deutschland in der Energiekrise um den Strom aus drei Atomkraftwerken gebracht hat. Doch dieser will sich nicht zum Opfer machen lassen. Er hat sich genau vorbereitet, Akten studiert und ist zum Gegenangriff bereit. „Wo haben Sie die Erkenntnis her? Das würde ich gerne mal schriftlich sehen“, verlangt er im Ausschusssaal. Über Stunden wird der Minister befragt, muss sich der Unterstellung erwehren, das Weltbild der Grünen über das wirtschaftliche Wohl des Landes zu stellen. Am Ende der Befragung steht Aussage gegen Aussage. Nach der Ausschusssitzung ist Habeck für einen Moment in einem Treppenaufgang für Journalisten zu greifen. Sie fragen ihn, wie es zur Panne bei der Besteuerung der Kapitalerträge kam. Das stehe seit Jahren im Programm der Grünen. „Ist halt Wahlkampf.“
Bei den Unternehmern unten durch
Die Wähler verzeihen ihm seine Unwissenheit bei den Sozialbeiträgen. Ende Januar liegen die Grünen in den Umfragen in der Spanne zwischen 13 und 15 Prozent. Weniger nachsichtig ist die Wirtschaft, für die der Wirtschaftsminister dem Namen nach zuständig ist. Als er am 29. Januar ein weiteres Mal die Wachstumsprognose senken muss, rufen mehr als 100 Unternehmensverbände zum Protest auf. Es ist ein beispielloser Protest gegen die Politik. Die Familienunternehmer sind dabei, der Außenhandelsverband, die Metallindustrie, die Baubranche, die Süßwarenhersteller und die Zigarrendreher. „Wirtschaftskrise ist jetzt“, ist ihr Aufruf überschrieben. Die Parole erinnert nicht zufällig an das Credo „Nie wieder ist jetzt“, mit dem zum Kampf gegen Rechtsextremismus aufgerufen wird.
Kein Zufall ist es auch, dass die Wirtschaft in der Grünen-Kampagne nicht prominent zur Geltung kommt. Bei den Unternehmern ist der Kandidat unten durch. Ihr Fazit lautet: Ordentliches Management des Energieschocks nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine 2022. Danach kam nichts mehr von Habeck. Nach zwei Jahren mit schrumpfender Wirtschaftsleistung, steigender Arbeitslosigkeit und einer hartnäckigen Konjunkturschwäche fragt nicht nur Christian Lindner, was der Wirtschaftsminister beruflich macht.
Wie meist bei lupenreinen Schuldzuweisungen ist die Wirklichkeit vielschichtiger. Habeck hat den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt wie keiner seiner Amtsvorgänger – Windkraft und Photovoltaik boomen, weil er gemeinsam mit den Ländern dafür gesorgt hat, dass genügend Flächen bereitgestellt werden und die Bürokratie zurückgedrängt wurde. „Wir haben den Strom sauber gemacht“, sagt der Wahlkämpfer über seinen Erfolg.
Erfolge im Klimaschutz, die keinen interessieren
Dass der Strom für Wirtschaft und Verbraucher billiger wird, hat er hingegen nicht hinbekommen. Für einen Grünen ist der kräftige Zubau der grünen Energien eigentlich ein Pfund, mit dem man wuchern könnte. Doch es interessiert niemanden. Klimaschutz ist bestenfalls ein Nebenthema. Zurückdrängen der Migration und Belebung der Wirtschaft bestimmen die Schlagzeilen. Beides keine Themen, für die die Grünen die Kernpartei sind. Wenige Tage bevor die Deutschen entscheiden, wer das Land demnächst politisch anführt, stehen die Grünen in den Umfragen auf den Januarwerten. Zwischen 13 und 14 Prozent wollen das Kreuz bei der Partei machen.
Vor der TV-Debatte haben sich am Sonntag Getreue vor dem Studio versammelt. Mit grünen Schals und Mützen bibbern sie gegen die Kälte an. Habeck lässt es sich nicht nehmen, zu ihnen zu gehen. Er ergreift ein Megafon und spricht zu den Jubelnden. „Danke für diesen Wahlkampf. Was da passiert ist in den letzten Monaten und Wochen ist un-, unfassbar. Was für eine Energie.“ Habecks Veranstaltungen waren meistens ausverkauft, überbucht, die Leute warteten draußen bei Wind und Wetter, um seine Gedanken auf Bildschirmen zu verfolgen. Viele in Deutschland finden ihn klug und nett. Die Zuschauer des Fernseh-Vierkampfs wählen ihn in einer Blitzumfrage zum sympathischsten Kandidaten. Bei der Kompetenz liegt er deutlich hinter Friedrich Merz, dem Bundeskanzler und nur knapp vor AfD-Chefin Alice Weidel.
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