Es liegt ein Nebel über Europa, der nicht weichen will. Ein Nebel, der sich aus Desinformation speist, aus Wahlmanipulationen, aus Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen, Sabotage gegen Unterwasserkabel, ja aus Anschlägen, die geeignet sind, Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Die Regierungen in Berlin, Paris, Warschau oder Riga erfahren von westlichen Geheimdiensten und Sicherheitsexperten immer mehr Details darüber, wie Russland und auch China ihre Attacken vorbereiten und führen. Doch diese Erkenntnisse alleine können den Nebel nicht vertreiben. Denn in der Europäischen Union wächst die Bereitschaft nur quälend langsam, die Bedrohungen klar zu benennen und endlich effektive Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Insbesondere die baltischen Staaten, die seit Jahren unmittelbar mit der russischen Bedrohung konfrontiert sind, fordern eine harte Sprache und harte Gegenmaßnahmen gegen die hybriden Attacken. Der frühere Top-Mitarbeiter des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND, Gerhard Conrad, ordnete die Aktionen aus Russland im Gespräch mit unserer Redaktion folgendermaßen ein: „Aktuell sehen wir zunehmend gefährliche Sabotage gegen kritische Infrastruktur bis hin zu Anschlägen mit Brandsätzen auf den Luftverkehr - also im Grunde auch Terrorismus.“ Das hört sich drastischer an, als der Begriff hybride Angriffe vermuten lässt.
Experte Christian Schweppe: Die Situation ist ernster als im Kalten Krieg
Der Journalist und Autor Christian Schweppe lässt keine Zweifel daran, wie brisant die geopolitische Lage aus seiner Sicht ist. „Wir reden über eine Situation, die ernster ist als der Kalte Krieg. Wir reden über die größte sicherheitspolitische Gefahr unserer Zeit - für Europa, also auch für Deutschland“, sagte der Experte für Sicherheitspolitik in einem Interview mit unserer Redaktion. „Der für den ‘Operationsplan Deutschland´ zur Sicherung von für die Verteidigungsfähigkeit elementarer Infrastruktur zuständige General Andre Bodemann hat erklärt, dass wir nicht mehr im Frieden, sondern in einem Zustand irgendwo zwischen Frieden und Krieg leben. Das halte ich für treffend“, fügte er hinzu. Schweppe beklagt in seinem aktuellen Buch „Zeiten ohne Wende“, dass die von Kanzler Olaf Scholz nach dem russischen Generalangriff auf die Ukraine groß angekündigte Zeitenwende weitgehend verpufft ist.
Die Liste Moskau zugeschriebener Attacken ist lang. Seit vielen Jahren beobachten Experten, Behörden und Unternehmen Hackerangriffe. Auch die SPD-Parteizentrale wurde Opfer eines Cyberangriffs. Immer wieder - insbesondere vor Wahlen - werden Versuche beobachtet, auf die Stimmung in der Bevölkerung durch Desinformation und Manipulation Einfluss zu nehmen. In Rumänien wird nun sogar die erste Runde der Präsidentschaftswahlen wiederholt. Die Sicherheitsbehörden werfen Russland eine massive Manipulation auf der Plattform TikTok vor. Ebenfalls fast schon Tradition hat die regelmäßige Verletzung des Luftraums von Nato-Mitgliedern durch russische Kampfjets - vorwiegend über der Ostsee.
Brandsatz auf dem Flughafen Leipzig/Halle
Weltweite Schlagzeilen machte ein brennendes Paket, das am Flughafen Leipzig/Halle im Juli ein Feuer auslöste. Sicherheitsexperten erklärten, dass eine Katastrophe denkbar gewesen wäre, wenn sich das Paket an Bord der DHL-Transportmaschine entzündet hätte. Hinter dem Vorfall wird der russische Militärgeheimdienst GRU vermutet, der verdächtigt wird, auch für Brandanschläge in Großbritannien, Polen oder Lettland verantwortlich zu sein. Weiter völlig ungeklärt ist die Frage, ob es sich bei dem Absturz eines von Leipzig gestarteten DHL-Frachters im litauischen Vilnius am 24. November um einen Unfall oder um Sabotage handelt.
Direkte Attacken gegen Personen sind offensichtlich ebenfalls kein Tabu mehr. Der Nachrichtensender CNN meldete im Juli 2024, dass westliche Sicherheitsbehörden, einen Anschlag auf den Vorstandschef des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall, Armin Papperger, vereitelt hätten. Details wurden allerdings nicht bekannt. Auch in diesem Fall geht der Blick nach Moskau - Rheinmetall liefert Munition für die Artillerie der ukrainischen Armee.
Sicherheitsexperte Christian Mölling spricht von einer großen Bandbreite russischer Aktivitäten
„Es zeigt sich, dass nicht nur die Bandbreite der russischen Aktivitäten gegen Europa und Deutschland, sondern auch die Schlagzahl deutlich zunimmt. Das hat es so noch nicht gegeben“, sagt der Direktor für den Bereich ‘Europas Zukunft´ bei der Bertelsmann-Stiftung, Christian Mölling, unserer Redaktion. „Russland greift uns genau an den Stellen an, an denen wir Schwächen zeigen“, erklärt der Experte für Sicherheitspolitik, der das Geschehen seit vielen Jahren beobachtet. Die Russen würden es immer wieder „einfach mal“ versuchen. Wenn es schiefgehe, dann habe man wenigstens die Abwehrkräfte des Gegners ausgetestet. Das Problem vieler Nato-Staaten sei, dass man zwar gewillt ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, aber angesichts der Vielzahl der Schwachstellen gar nicht wisse, wo man damit anfangen soll. Waffengleichheit gebe es nicht: „Aus moralischen und rechtlichen Gründen kann beispielsweise Deutschland gegen Russland nicht eins zu eins zurückschlagen.“
Mölling sieht EU und Nato in der Pflicht, endlich zu handeln - und zwar in enger Abstimmung. „Schließlich haben wir in Europa einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Infrastruktur, gerade bei der Energieversorgung. Wir sind derart vernetzt, dass wir vereint handeln müssen. Doch leider gibt es zu viele Kräfte, die glauben, wir erleben derzeit lediglich eine vorübergehende Krise. Also Augen zu und durch, dann wird es schon besser werden? Das ist der große Fehler in dieser Denkweise.“
Nicht alle EU-Mitglieder wollen einen konsequenten Kurs gegen Moskau
Hinzu kommt, dass Staaten wie Ungarn oder die Slowakei versuchen, eine effektive Politik gegen Russlands Aggression zu blockieren. Schweppe: „Gerade Europa tut sich schwer, konsequent und mit langem Atem auf die Bedrohung aus Russland zu reagieren. Dafür gibt es innenpolitische, oft auch finanzielle Gründe. In Frankreich beispielsweise ist die wirtschaftliche Lage aktuell schlecht, ähnlich wie in Deutschland. Gleichzeitig setzt Russland sehr konsequent auf hybride Aktionen.“
Wie schwierig der Schutz von Infrastruktur ist, zeigt sich am Beispiel der Unterseekabel in der Ostsee, die wiederholt mutmaßlich von russischen oder auch chinesischen Schiffen beschädigt wurden. In Northwood, nahe London, hat die Nato ein Zentrum für den Schutz kritischer mariner Infrastruktur etabliert. Dort laufen Millionen von Daten über Schiffsbewegungen ein, die mithilfe Künstlicher Intelligenz ausgewertet werden. Doch die Möglichkeiten, einzelnen Verdachtsfällen nachzugehen, werden durch die schiere Zahl von mehr als 45.000 Schiffen, die pro Tag Gewässer der EU-Staaten befahren, überschaubare Kapazitäten der Marine-Verbände des Bündnisses sowie seerechtliche Beschränkungen begrenzt.
In der EU klafft eine große Lücke zwischen Planung und Umsetzung
Abseits der immensen technischen Schwierigkeiten, hybride Attacken zu erkennen und sich gegen sie zu wappnen, sieht Mölling insbesondere in der EU eine große Lücke zwischen Planung und Umsetzung. „Es ist ja nicht verkehrt, dass die Außenminister der EU-Länder in Brüssel zusammenkommen, um Strategien gegen die Bedrohungen auszuarbeiten. Doch in den einzelnen Staaten sind die Vorschriften und Vorstellungen völlig unterschiedlich. Jeder hat seine nationalen Gründe, das so oder so zu sehen - in der Summe schwächt uns das dramatisch.“
Kann der viel beschworene heilsame, gemeinschaftsfördernde Schock der bevorstehenden zweiten Amtszeit Donald Trumps als US-Präsident solche Defizite beseitigen oder wenigstens abmildern? Zumindest wird der Druck gerade auf Länder wie Deutschland immens steigen, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. Dies allein wird aber nicht reichen, um widerstandsfähiger zu werden gegen hybride Angriffe. Gefragt ist ein Bewusstseinswandel in Europa.
Dass es Nachholbedarf gibt, klingt plausibel. Wenn man aber einen solchen Artikel schreibt ("Dennoch gelingt es der EU nicht, sich effektiv zu wehren") , sollte man eine Statistik haben ueber efolgte und verhinderte Angriffe. Eine solche wird aber weder erwaehnt noch vorgestellt.
Bedenkt man die Maßnahmen, fehlenden Maßnahmen, Probleme, Herausforderungen etc. der letzten Jahre in und mit der EU, so ist zweifelsfrei festzustellen, dass viele Probleme weder angepackt noch effektiv durch die EU gelöst wurden. Vielmehr war Ignoranz, Gleichgültigkeit, Verharmlosung oder von fehlender gemeinsamer Wille die Ausprägung. Und je mehr Mitgliedsstaaten zusätzlich die EU bilden, desto komplizierter bis unmöglich wird zukünftig die Findung von Entscheidungen.
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