Darf ungeborenes Leben abgetrieben werden? Diese Frage ist sensibel und ethisch hochgradig umstritten. Nun wird eben diese Frage zum Thema des Wahlkampfs. Denn eine am Donnerstag im Bundestag diskutierte Reform des berühmten Abtreibungsparagrafen 218 wird es wegen der Ende Februar anstehenden Neuwahl nicht mehr durch das Parlament schaffen. Das Anliegen wurde in den Rechtsausschuss verwiesen und dürfte dort aller Wahrscheinlichkeit nach versanden. Grüne und Linke sind nun entschlossen, mit der Liberalisierung des Abtreibungsrechts Wähler für sich gewinnen zu wollen.
Die aktuelle Rechtslage nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch ist komplex. Grundsätzlich gilt ein Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig, bleibt jedoch in Ausnahmefällen – nach Beratung oder aus medizinischen Gründen – straffrei. Diese Grauzone sorgt in der Praxis jedoch für große Unsicherheiten. SPD-Abgeordnete Carmen Wegge erklärte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass viele Ärztinnen und Ärzte keine Abbrüche anböten, weil sie rechtliche Konsequenzen oder berufliche Nachteile fürchteten. Hinzu kommt, dass die Kosten häufig von den Schwangeren selbst getragen werden müssen, was sozial Schwache besonders belastet. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind ungewollte Schwangerschaften häufiger bei Menschen, die staatliche Unterstützungsleistungen erhalten.
Kompromiss zum Paragraph 2018: Rechtswidrig, aber nicht strafbar
Die Atmosphäre im Bundestag am Donnerstag war angespannt. Die zentrale Forderung der Befürworter der Reform: Schwangerschaftsabbrüche sollen bis zur zwölften Woche entkriminalisiert werden. Bislang ist der Schwangerschaftsabbruch zwar rechtswidrig, aber nicht strafbar, wenn der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Das ist der bisherige Kompromiss. Eine Gruppe aus 328 Abgeordneten aus verschiedenen Parteien und damit beinahe die Hälfte der Parlamentarier wollte das ändern.
Ihr Vorstoß ist das Ergebnis einer längeren Diskussion, die durch eine Expertenkommission und zahlreiche Verbände angestoßen wurde. Die Initiatoren des Entwurfs kritisieren die strafrechtliche Einstufung von Abbrüchen als Eingriff in die Selbstbestimmung der Frauen. Helge Limburg (Grüne) betonte, das Strafrecht sei „das schärfste Schwert“, das in diesem Fall „im Schrank bleiben“ solle. Der Entwurf sieht außerdem vor, dass Frauen künftig ohne Verzögerung über den Fortgang oder Abbruch ihrer Schwangerschaft entscheiden können. Die bisher verpflichtende dreitägige Wartefrist nach einer Beratung soll entfallen, die Beratungspflicht aber bestehen bleiben. Ein weiterer Punkt des Entwurfs ist die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen, um finanzielle Hürden für Betroffene abzubauen. Geplant ist auch, dass nur noch die Ärztin oder der Arzt strafrechtlich belangt werden können, falls der Eingriff ohne Beratungsnachweis durchgeführt wird. Für die Schwangeren soll Straffreiheit gelten. Ulle Schauws (Grüne) forderte: „Schuldgefühle für Frauen: Damit muss endlich Schluss sein.“
In Frankreich und Spanien ist die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs liberaler
Im europäischen Vergleich wirkt die derzeitige deutsche Regelung restriktiv. In Ländern wie Frankreich oder Spanien sind Abbrüche bis zur 14. Woche ohne größere Hürden möglich, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Auch in der DDR war der Abbruch seit 1972 bis zur zwölften Woche legal.
Der Gesetzesentwurf polarisiert. Befürworter und Befürworterinnen, darunter der Deutsche Frauenrat, loben ihn als Schritt zu mehr Selbstbestimmung. Sonja Eichwede (SPD) verwies auf eine Umfrage im Auftrag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, wonach über 80 Prozent der Bevölkerung eine Entkriminalisierung befürworten. Kritik kommt vor allem aus konservativen Kreisen. Dorothee Bär (CSU) warf Bundeskanzler Olaf Scholz Doppelmoral vor. Obwohl der Kanzler zuletzt vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt habe, „rennt er raus und unterschreibt diesen Gruppenantrag“, kritisierte sie. Die Union sieht in der Reform eine Abkehr von einem mühsam gefundenen Kompromiss und sieht die Menschenwürde von ungeborenem Leben gefährdet.
FDP will Debatte nicht in Eile führen
Doch innerhalb der Fraktion gibt es Uneinigkeit. Während Friedrich Merz vergangenes Wochenende andeutete, dass eine Diskussion über das Abtreibungsrecht künftig möglich sei, zeigten sich die Frauen der Union in der Debatte unnachgiebig. Nina Warken (CDU) warf der Koalition vor, die Debatte aus wahlkampftaktischen Gründen zu instrumentalisieren. Gespalten sind auch die Freien Demokraten. Gyde Jensen (FDP) unterstützt den Vorstoß grundsätzlich, kritisiert jedoch das Tempo: „Diese Debatte muss zeitnah geführt werden, aber keineswegs in Eile.“
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