Nach tagelangen blutigen Gefechten im Sudan wächst die Sorge um die Zivilbevölkerung. Die Vereinten Nationen gehen in dem innerstaatlichen Machtkampf inzwischen von mindestens 185 Toten und 1800 Verletzten aus, darunter auch Zivilisten. Das Ärztekomitee des nordostafrikanischen Landes forderte die Konfliktparteien am Montag auf, ihre "ständigen Angriffe" auf Krankenhäuser, Krankenwagen und medizinisches Personal einzustellen. Die EU schaltete sich in die Bemühungen um eine Lösung ein. Das Auswärtige Amt warnt inzwischen vor Reisen in das nordostafrikanische Land.
Der deutsche UN-Vermittler Volker Perthes sagte nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York, dass "internationale Organisationen und Zivilisten" bei den Gefechten zwischen der Armee und den Rapid Support Forces (RSF) nicht geschützt würden. In der Hauptstadt Khartum gebe es weiterhin heftige Gefechte um Brücken, den internationalen Flughafen sowie die Hauptquartiere der Armee und der RSF. Auch in der Region Darfur werde gekämpft.
Angriff auf EU-Botschafter
Der EU-Botschafter im Sudan wurde nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in seiner eigenen Residenz angegriffen. Die Tat stelle einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen dar, schrieb der Spanier im Kurznachrichtendienst Twitter. Die Sicherheit diplomatischer Räumlichkeiten und des Personals liege primär in der Verantwortung der sudanesischen Behörden und sei eine völkerrechtliche Verpflichtung.
Angaben zur Art des Angriffs sowie zu dem Täter oder den Tätern machte Borrell nicht. Er ließ auch unklar, ob der Botschafter verletzt wurde oder mit dem Schrecken davonkam. Borrell schrieb lediglich, dass sich der Angriff einige Stunden zuvor ereignet habe. Die EU wird in dem nordostafrikanischen Land durch den irischen Diplomaten Aidan O'Hara vertreten. Aus Diplomatenkreisen hieß es am Abend in Brüssel, O'Hara sei wohlauf und nicht verletzt worden.
Der schon lange schwelende Machtkampf zwischen der Armee unter Kommando von Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und den rivalisierenden RSF seines Vize Mohammed Hamdan Daglo war am Wochenende eskaliert. Wer auf dem Schlachtfeld die Oberhand hat, blieb angesichts der unübersichtlichen Lage und widersprüchlichen Angaben beider Konfliktparteien unklar.
Ist eine Waffenruhe möglich?
Perthes kündigte für Dienstag neue Versuche an, eine belastbare Waffenruhe auszuhandeln. In Gesprächen gaben sich demnach beide Seiten gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Al-Burhan und Daglo stehen nach Einschätzung des deutschen Vermittlers unter großem Stress, zeigten sich aber offen für Gespräche mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Akteuren. Borrell teilte mit, man arbeite daran, beide Seiten von einer "humanitären Feuerpause" zu überzeugen.
Die medizinische Versorgung der Bevölkerung werde durch den Beschuss von Gesundheitseinrichtungen blockiert, teilte das Ärztekomitee weiter mit. Demnach können Kranke und Verwundete vielerorts nicht mehr behandelt werden. Eine sichere Evakuierung der Patienten sei nicht möglich, hieß es. Zudem hätten viele Kliniken weder Trinkwasser noch Nahrungsmittel. Anwohner in der Hauptstadt Khartum berichteten weiter von Schüssen und Explosionen. Aber auch in anderen Teilen des Landes am Horn von Afrika gingen die Kämpfe weiter.
Der Machtkampf lässt das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas mit seinen rund 46 Millionen Einwohnern und reichen Öl- und Gold-Vorkommen im Chaos versinken. Die Armee und die RSF behaupteten beide, die Kontrolle über das Gebäude des staatlichen Rundfunksenders übernommen zu haben. Die Gefechte in Khartum konzentrieren sich auf strategische Punkte wie das Hauptquartier der Armee, den Präsidentenpalast und den Flughafen. Diese liegen in dicht besiedelten Vierteln der Stadt.
Kämpfer auch in Wohnhäusern
Artillerie, Panzer und Kampfflugzeuge sind im Einsatz. Die Armee fliegt Luftangriffe auf Stellungen der RSF. Anwohner und Beobachter aus Khartum berichteten über das Wochenende in sozialen Medien, RSF-Kämpfer hätten auch in Wohnhäusern Stellung bezogen. Der RSF-Anführer und bisherige Vize Daglo forderte internationale Unterstützung. General Al-Burhan sei "ein radikaler Islamist, der Zivilisten aus der Luft bombardiert". Islamistische Kräfte gehörten zu den Unterstützern des 2019 gestürzten Langzeitherrschers Omar al-Baschir, die weiterhin eine Rolle in der Armee spielen.
Der Sender Sky News berichtete, Al-Burhan habe in einem Telefoninterview am Montag Gesprächsbereitschaft signalisiert. "Jeder Krieg endet in Verhandlungen, auch wenn der Gegner besiegt ist", sagte er demnach. Die Armee werde siegen - "definitiv, so Gott will". Daglo, auch als Hemedti bekannt, und seiner Einheit wurden in der Vergangenheit im Konflikt in der Region Darfur schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
2019 stürzten Daglo und Al-Burhan gemeinsam nach zivilen Protesten Langzeitdiktator Omar al-Bashir und übernahmen 2021 erneut die Macht. Im Zuge des Übergangs zu einer zivilen Regierung sollten die RSF in das Militär eingegliedert werden, was zu einem Konflikt führte. Daglo unterstellt dagegen Al-Burhan, seine Macht nicht aufgeben zu wollen.
(dpa)